Kommentar: Wie "Bild" und "Spiegel" gegen eine Ministerin hetzen

Bundesverteidigungsministerin Christine Lambrecht bei einem Truppenbesuch einer Bundeswehr-Luftwaffenbasis in Wunstorf (Bild: REUTERS/Fabian Bimmer)
Bundesverteidigungsministerin Christine Lambrecht bei einem Truppenbesuch einer Bundeswehr-Luftwaffenbasis in Wunstorf (Bild: REUTERS/Fabian Bimmer)

Christine Lambrecht steht dem Verteidigungsressort vor und gerade viel in der Kritik. Jüngste Unbill: Die Bundesministerin soll bei einem Termin mit Hubschrauber ihren Sohn mitgenommen haben. Dazu entlädt sich in den Medien ein lächerlicher Shitstorm.

Ein Kommentar von Jan Rübel

In der SPD wittern sie eine Kampagne. Eine Wagenburg bauen die Sozialdemokraten gerade um ihre Verteidigungsministerin. Stehenden Applaus habe Christine Lambrecht in der Bundestagsfraktion erhalten, heißt es. Der Grund: Die Kritik und die angeblich fiese Berichterstattung über sie.

Nun wird Lambrecht zurecht für manche Ungereimtheiten gescholten. Zuweilen wirkt sie nicht vollkommen in der Materie versunken. Und bei der Frage nach Waffenlieferungen in die Ukraine eierte sie herum, als gehe sie sowas nicht wirklich an. Doch dann gibt es bei den Kritiken an ihr ein Geschmäckle. Es mag sein wie der Blutgeruch, der eine Jagdmeute anzieht: Lambrecht wird für Pillepalle angegangen.

Jüngstes Beispiel ist die so genannte Helikopter-Affäre. Die Ministerin hatte einen Termin in Norddeutschland, irgendwelche Funkmasten in der Peripherie sollten besichtigt werden, und nur mit Hubschrauber kam man von Berlin aus dort gut hin. Gesagt, getan: Die Bundeswehrverantwortliche flog los – und nahm ihren Sohn mit, einen jungen Erwachsenen. Man urlaubte nämlich anschließend für ein paar Tage auf der nahen Insel Sylt.

Ein Skandal? Er wäre es, wenn sich der Junior für lau angehängt hätte – aber den Regeln entsprechend wurde für den Mitflug eine Rechnung ausgestellt, gemäß den Statuten. Und schon früher, als Lambrecht Justizministerin war, soll er ein paar Mal mit einer Regierungsmaschine mitgeflogen sein – immer wurde brav extra bezahlt.

Was ist eigentlich hier los?

Ich kann den Fall drehen und wenden, aber selbst beim bösesten Willen kann ich darin kein Vergehen erkennen. Wenn die Ministerin sowieso geflogen wäre, eh der gleiche Sprit verbraucht worden wäre, dann hat die Genossin doch gar diese Flüge privat mitfinanziert. Skandalös? Es sei denn, dieser Funkmastentermin wäre hingebogen worden, um in die Nähe von Sylt zu gelangen – aber dafür müssten Belege auf den Tisch.

Gegen Lambrecht kann man offenbar. Schon kurz nach ihrer Vereidigung ging es los. „Bild“ fragte im ersten Interview in seiner ersten Interviewfrage: „Können Sie schon einen Oberleutnant von einem Oberstleutnant unterscheiden?“ Wegen: Frau und so. Dann mokierte man sich über ein Foto, bei dem sich die aus einem Schützenpanzer steigende Lambrecht helfen ließ. Wegen: Wer selbst kein Rambo ist, sollte nicht vom Schreibtisch aus regieren. Dass gerade die Streitkräfte von einer Zivilperson, nämlich einem ernannten Mitglied der Bundesregierung zu leiten und kontrollieren sind, gehört aber zu den Grundfesten unserer Demokratie, ein Rambo dagegen eher nicht.

Als der Krieg in der Ukraine losging, sah man Lambrecht, wie sie sich in einem Studio die Nägel machen ließ. Na und? Hätte eine Verteidigungsministerin bei diesem Krieg in einem Gefechtsstand hocken und Befehle per Funkgerät geben sollen? Die Aufregung erhält eine zunehmend symbolische Ausrahmung. Auch ihr Sylt-Trip wird in Frage gestellt – nach dem Motto: Es sei taktlos, in Zeiten des Krieges zu verreisen. Nun könnte man ja mal schauen, wer alles in der Politik unterwegs gewesen war; Lambrecht wird nicht die einzige gewesen sein. Und Politiker haben die richtigen Entscheidungen zur rechten Zeit zu fällen. Ob da ein Urlaub eingeschoben wird oder nicht, hat keine Bedeutung. Politiker sind nicht 24 Stunden am Tag im Einsatz. Dann sollten wir auch nicht so tun, als wäre es so.

Schulhofjournalismus

Besonders pikant wird es beim „Spiegel“. Das Nachrichtenmagazin nimmt den Sohn ins Visier: „Wer fährt mit Anfang 20 noch so oft mit seiner Mutter in Urlaub?“, fragt man dort. „Sieben Auslandsreisen sollen die Lambrechts in der letzten Legislatur unternommen haben, als Mutti noch Justizministerin war – nach Slowenien, Helsinki, Liechtenstein, Lissabon, Luxemburg, Paris und Prag. Gut, nach Liechtenstein sollte man vielleicht wirklich nur mit den Eltern reisen, das geht richtig ins Geld, aber Paris? Prag? Hat Lambrecht junior keine anderen Freunde?“ Damit erfüllt der „Spiegel“ den Tatbestand journalistischen Mobbings.

Zum einen soll „Mutti“ vermitteln, dass da jemand am Ärmel eines Elternteils hänge. Die Frage nach „anderen Freunden“ ist lediglich gehässig. Für die politische Bewertung dieser Vorgänge hat es keine Relevanz, wer in welchem Alter wie viel mit Vater oder Mutter unternimmt, und wie groß das Sozialumfeld ist. Persönlich-moralisch verbietet es sich sowieso. Das Magazin basht mal eben kurz einen womöglich ihm unbekannten Menschen. Der Beifall ist kurz, der Nachgeschmack fahl, so sad.

Was sagen wir übrigens all jenen Eltern, die laut pädagogischen Ratgebern zu ihren Kindern im Erwachsenwerden den Kontakt halten sollen, ihnen besser signalisieren, dass sie ihnen beistehen, Vertrauenspersonen auch in Zeiten der Loslösung sind? Ist jetzt ein gemeinsamer Wochenendtrip peinlich, oder was? Liebe Experten vom „Spiegel“, klärt uns bitte auf…

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