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Kommentar: Wie eine Ministerin Deutschland in eine Forschungswüste verwandelt

Demonstranten protestieren an diesem Freitag vor dem Bundesministerium für Bildung und Forschung in Berlin (Bild: Jan Rübel)
Demonstranten protestieren an diesem Freitag vor dem Bundesministerium für Bildung und Forschung in Berlin (Bild: Jan Rübel)

Die Bundesregierung plant eine Reform des umstrittenen Sonderarbeitsrechts bei Hochschulen und Forschungseinrichtungen. Doch was Ministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) vorlegt, macht alles nur noch schlimmer. Während ihre eigenen Staatssekretäre den Entwurf vorerst zurückziehen, schweigt die Ressortchefin. Dieses Chaos wirft Deutschland weit zurück.

Ein Kommentar von Jan Rübel

Die Ministerin schweigt. Draußen, vor ihrem Dienstsitz in der Nähe des Berliner Hauptbahnhofs, lässt sie sich nicht blicken – vor den rund 500 versammelten Demonstranten, die rasch mobilisiert wurden. Was sie eint: Wut über eine Planung aus dem Hause Bettina Stark-Watzingers, die „ein bereits dysfunktionales System verschlechtern“ würde. Rasseln und Pfiffe prallen gegen die Glasfassade. Aus dem Lautsprecher tönt „Revolution“ von den Beatles. „Können Sie uns hören, Frau Ministerin?“, ruft ein Sprecher von einem Lieferwagen.

Da sind eine Menge Leute sauer. Die Studierenden, die Promovierenden und die „Post-Docs“, selbst 2600 Professoren haben einen Protestaufruf unterschrieben, weil sie merken: So geht es nicht weiter. Seit in den Nullerjahren ein Wortungetüm namens „Wissenschaftszeitvertragsgesetz“ herrscht, geht es abwärts. Und seit einer Woche immer schneller.

Am vergangenen Wochenende hatte Stark-Watzinger stolz ein paar „Eckpunkte“ vorgestellt, bevor sie zur Dienstreise nach Taiwan entschwebte. „Mehr Verlässlichkeit, Planbarkeit und Transparenz im Wissenschaftsbetrieb“ wolle sie damit schaffen, sagte sie. Die Vorschläge würden „signifikante Veränderungen“ bringen. Doch diese gehen für viele nach hinten los. Vor allem eine Reduzierung der Postdoc-Verträge von sechs Jahren auf drei Jahre bringt die Leute auf die Palme. Wo schon jetzt Prekariat regiert, wird dieses noch einmal verschärft. „Das Gesetz ist ein Trugschluss“, sagt eine Professorin auf der Demo. „Alle können das wissen. Auch das Ministerium.“ Genau 51 Stunden nach der Präsentation der Eckpunkte durch die Ministerin wurden diese von ihren beiden Staatssekretären wieder zurückgezogen – von den wütenden Reaktionen überrascht.

Worum geht es genau? Eigentlich sollte dieses Gesetz von 2007 frischen Wind und Flexibilität bringen. Es führte ein besonderes Arbeitsrecht ein, das länger als anderswo Stellenbefristungen erlaubt – mit der Begründung, der wissenschaftliche Arbeitsmarkt diene vor allem der Ausbildung und Qualifizierung künftiger Forschergenerationen und müsse daher flexibel bleiben. Doch das Ergebnis: Von allen hauptamtlich wissenschaftlich Beschäftigten ohne Professur haben 81 Prozent einen Zeitvertrag.

Daraus folgt, dass eine Entscheidung für den Wissenschaftsberuf einher geht mit einer großen Unsicherheit, ob man von diesem Beruf überhaupt länger als ein paar Jährchen leben kann. Befristung heißt, eine Familienplanung immer mit Risiken zu betreiben, daran zu denken, doch vor die Tür gesetzt zu werden und mit dem Taxifahren die Supermarkteinkäufe zu finanzieren. Das Gesetz legt den Arbeitgebern einen tollen Folterinstrumentenkasten vor die Füße, mit dessen Hilfe sie einstellen und kündigen können wie Gutsherren im 19. Jahrhundert – alles unter dem Label einer „Flexibilität“.

Dann wurd es immer doller

Besonders aberwitzig wird das Gesetz dadurch, dass es auch auf die so genannten außeruniversitären Forschungsorganisationen Anwendung findet. Denn als Begründung für das Dekret wurde stets angeführt, dass die angestellten Wissenschaftler eine befristete Phase zur „Qualifizierung“ nutzen sollten. Was schon komisch für Universitäten ist, denn Qualifizierungen enden in der Regel mit der Promotion, dann hat man eine Art Meisterbrief in der Tasche, wird noch rätselhafter dort, wo die Leute schon promoviert sind, ihren wissenschaftlichen Aufgaben nachgehen und wo nicht einmal auf dem Papier eine Qualifizierung auf ihrem Arbeitsplan steht: Es handelt sich um tausende von Angestellten der Akademien der Wissenschaften und anderer Forschungsgemeinschaften – sehr viele von ihnen sind befristet, hangeln sich von einem absurden Ein-Jahres-Vertrag zum nächsten. Ihre Aufgabenstellung bleibt stets die gleiche, für die sie bereits ausqualifiziert sind; weil aber Gesellschaften wie Helmholtz und Leibniz in den Nullerjahren kräftig lobbyierten, wurde in den Gesetzentwurf in letzter Minute eingeschoben, dass auch für sie das Gesetz gelten solle. Es ist das Verwechseln von Äpfeln mit Birnen. Das einzige Motiv: Herrschaftlicher walten können, eine Art akademischen Sklavenmarkt installieren.

Wissenschaft – das klingt abgehoben, auch respektvoll, irgendwie gut. Deutschland, das Land der Dichter und Denker: Damit rühmen wir uns gern. Dumm nur, wenn die Denker nicht zum Denken kommen; entweder hecheln sie von einem befristeten Beschäftigungsvertrag zum nächsten, stecken mehr Arbeit in Förderanträge als in Forschung, oder sie werden kurzerhand vor die Tür gesetzt. Denn das Wissenschaftssystem in Deutschland beruht auf einem großen Missverständnis. Es heuchelt vor, den Leuten Ruhe und Gewissheit zu geben. In Wirklichkeit ist es eine Mad-Max-Kulisse aus Hire & Fire.

Die Zerfleischung von Wissen

Woanders gelten Arbeitnehmerrechte. Für die in der Wissenschaft Arbeitenden aber gibt es ein Sonderrecht, das besonders diskriminiert. Es gibt ein Hochschulsystem, das nur auf Professoren ausgerichtet ist – und ohne Mittelbau. Dieses Nadelöhr-Prinzip frustriert viele junge Forschende. Und daher sind nun endlich auch die Professoren erbost: Sie merken, dass sie keinen guten Nachwuchs mehr kriegen, wer will sich diesen Tort der Ungewissheit denn antun? Daher leuchtet die Forderung der Demonstranten ein: „Nach der Qualifizierung“, ruft eine Rednerin, „also nach der Promotion: Entfristung oder Anstellung mit einer Entfristungszusage!“ Nur so entsteht ein Mittelbau. Einer, der forscht, lebendig und kreativ in der Wissensvermehrung und nicht nur im Schreiben von Anträgen ist. Einer, der Deutschland nicht wie eine Bildungswüste dastehen lässt.

Die Zukunft der Wissenschaft liegt nun in den Händen der FDP. Auf der Demo formulierte es ein Vertreter der Linkspartei so: „Ich begrüße euch mal so, damit es die FDP versteht: Liebe Leistungserbringerinnen und Leistungserbringer!“ Am Ende der Demo riefen die 400: „Academics united, you’ll never be divided!“ Es scheint sich ein Zorn breit zu machen, der nicht mehr aufzuhalten ist. Damit hatten die Liberalen wohl nicht gerechnet.

Video: Heikler Besuch auf Kabinettsebene: Deutsche Bildungsministerin in Taiwan