Kommentar: Wie arrogant Sigmar Gabriel die Rechtsverletzungen Katars verteidigt

Der ehemalige SPD-Politiker wirft Kritikern der Fußball-WM in Qatar Arroganz vor. Dabei ist er selbst ein herausragender Vertreter dieser Haltung. Und nebenbei zeigt er Geschichtsvergessenheit und Desinteresse für die Rechte anderer.

Ein Kommentar von Jan Rübel

Sigmar Gabriel bei einer Rede in Berlin im Januar (Bild: Bernd Von Jutrczenka/Pool via REUTERS)
Sigmar Gabriel bei einer Rede in Berlin im Januar (Bild: Bernd Von Jutrczenka/Pool via REUTERS)

Unterm Logo von Sigmar Gabriel steht bei Twitter: „Mehr Mut“. Den muss auch haben, wer sich derart mit Despoten ins Bett legt und das auch noch öffentlich verteidigt. Der ehemalige Außen- und Wirtschaftsminister kennt Qatar aus zahlreichen Besuchen – sie fanden meist statt in klimatisierten Räumen, alles war superduper gepflegt, gut zu essen wird es auch gegeben haben. Die Elendsquartiere der „Gastarbeiter“, die heimlichen Büros von Aktivisten oder gar Leuten aus der Opposition wird er eher kaum kennengelernt haben; obwohl ein Besuch Gabriels bei einer Baustelle vermerkt ist. Schließlich ist Gabriel, was Qatar angeht, meinungsstark.

Darf er sein. Sind ja viele, bin ich auch. Nur irritiert seine Perspektive bei der Frage, ob es ok ist, dass Qatar die Fußball-WM ausrichten wird. Denn Gabriel schafft das Kunststück, Kritikern Hochmut und Arroganz vorzuwerfen, indem er genau das Gleiche meisterlich offenbart. Gabriel ist schon ein Unikum. Selbst in moralischer Schieflage zeigt er Grandezza.

Was ist passiert? Drei Tweets setzte er am Wochenende ab. Darin trieb Gabriel auf die Spitze, was er seit Monaten behauptet. Kurz zusammengefasst: In Qatar gebe es Fortschritte in Sachen Menschenrechte, das sei durch Austausch zu fördern, wie etwa die Ausrichtung einer Fußball-WM. Punkt. Das ist natürlich eine verengte Sicht, Stichwort „klimatisierte Räume“.

Ablenken vom Thema als Programm

Seine erste Twitter-Granate lautete: „Auch wir haben Jahrzehnte gebraucht, um ein liberales Land zu werden. Fortschritt kommt nicht über Nacht, sondern Schritt für Schritt. Das galt für D und gilt auch jetzt für Qatar. Die UNO, die ILO loben das Land für seine Reformen. Nur wir Deutschen beleidigen es jeden Tag.“

Es stimmt nicht, dass „nur wir Deutschen“ qatarische Politikbedingungen kritisieren, was übrigens nichts mit Beleidigungen zu tun hat – und Gabriel möge bitte nicht mit der so genannten arabischen Seele an und für sich kommen, die arg mit Ehre angerührt sei, denn das ist orientalistischer Mumpitz. Weltweit hagelt es Unverständnis über die Menschenrechtsbedingungen auf der Arabischen Halbinsel und daher auch in Qatar. Die „International Labor Organization“ (ILO), die Arbeits-Institution der Vereinten Nationen, lobt Qatar seit zwei Jahren tatsächlich für beschlossene Reformen. Aber: Damit steht ILO komplett isoliert. Jegliche Profis, die mit Menschenrechten zu tun haben, sämtliche Profis, die golfarabische Verhältnisse wissenschaftlich begleiten, sehen diese Fortschritte nicht so. Denn sie sind nur auf dem Papier. Jene, die Gabriel ausmacht, möge er gern konkretisieren. Ich bin gespannt. Qatar ist bis heute eine faszinierende Gesellschaft, die aus der rassistischen Ausbeutung vieler Menschen durch eine sehr kleine Gruppe besteht. Um dieses Banditentum rechtfertigen zu können, gibt man sich Werte, in diesem Falle islamische, die natürlich besonders konservativ interpretiert werden, denn umso härter ist ihr Klebeffekt; und die herrschenden Qataris wollen ja den Laden zusammenhalten, wie er ist. Nur so schöpfen sie weiterhin ihre Privilegien ab. All dies will Gabriel in den klimatisierten Räumen nicht gesehen haben, interessant. Übrigens lobt die ILO Qatar auch erst, seit die Organisation in Doha ein Büro etabliert hat; es scheint da einen Strategiewechsel gegeben zu haben, der mit den Verhältnissen on the ground wenig zu tun hat.

Wenn sich der Spiegel krümmt

Beim zweiten Tweet wird es noch haarsträubender: „Die deutsche Arroganz gegenüber Qatar ist ‚zum Ko…‘! Wie vergesslich sind wir eigentlich? Homosexualität war bis 1994 in D strafbar. Meine Mutter brauchte noch die Erlaubnis des Ehemanns, um zu arbeiten. ‚Gastarbeiter‘ haben wir beschissen behandelt und miserabel untergebracht.“

Gabriel vergleicht. Kann man machen, Vergleiche sind nie verboten, auch wenn das die Spiegelfechter gegen eine Political Correctness gern behaupten. Vergleichen wir also: Wurden Homosexuelle in Deutschland bis 1994 ausgepeitscht? Wurden sie in Gefängnissen gefoltert? Mussten sie außer Landes fliehen? Gabriel kennt die Antwort. Hatte seine Mutter einen ähnlich begrenzten Bewegungsradius wie die qatarischen Frauen von heute – konnte ihr das Reisen verboten werden, das Studieren, die Annahme von Stipendien, die Vor- und Fürsorge über ihre Kinder aus dem alleinigen Grund heraus, dass sie eine Frau ist? Und haben wir die so genannten „Gastarbeiter“ auf Baustellen binnen weniger Monate zu vielen Tausenden sterben lassen, weil wir für ungenügende Sicherheiten sorgten? Haben wir massenhaft über Jahre hinweg Löhne verweigert, die Leute von heute auf morgen aus dem Land geschmissen? Unser Umgang mit den damals zum Arbeiten nach Deutschland gezogenen Menschen ist wirklich eine einzige Schande gewesen. Aber Qatari Style ist noch etwas anderes.

Was ein Tausendsassa so sagt

Weiter in Gabriels Absurditätenkabinett, ab zum dritten Tweet: „Ich bin mal gespannt, was wir zur Fußball WM in México sagen. In diesem Land werden pro Jahr etwa 1.000 Frauen ermordet und die Dunkelziffer liegt weit höher. Mal sehen, ob wir mit einem christlich geprägten Land genauso hart ins Gericht gehen wie mit einem muslimischen.“

Aha. Gabriel, der einmal Staatsaufgaben übernommen hat, die Verantwortung der Öffentlichkeit auf seinen Schultern trug, verwechselt hier augenzwinkernd private Kriminalität mit staatlicher. Die ermordeten Frauen in Mexiko gibt es nicht durch einen förmlichen Regierungsbeschluss. Die massenhafte Vorenthaltung von Rechten in Qatar dagegen fußt auf gesetzlichen Grundlagen. Und während mexikanische Sicherheitsbehörden zumindest versuchen, der Gewalt gegen Frauen etwas entgegenzusetzen – spricht man in Qatar schlicht offiziell nicht über jene gegenüber zum Arbeiten ins Land gezogene Frauen. Aber ich vergaß: Die sind ja keine qatarischen Staatsbürgerinnen, die sind es nicht wert, dass man sich mit ihnen auseinandersetzt. So viel Fingerspitzengefühl muss offenbar sein.

Gabriel, der Germanistik, Politik und Soziologie studiert hat und nun im Aufsichtsrat der Deutschen Bank sitzt, als Mann der qatarischen Anteilseigner, sollte an seinem Geschichtswissen arbeiten. Okay, er hat von Geldpolitik und Finanzen nicht überbordende Ahnung, aber für einen kleinen Laden wie die Deutsche Bank wird es schon reichen, nicht wahr? Nur, für historische Zusammenhänge braucht es noch etwas Zielwasser.

Denn es ist egal, welche Unbill früher in Deutschland herrschten. Ja, Homosexuell orientierte Menschen und „Gastarbeiter“ wurden früher noch schlimmer diskriminiert, als es heute passiert. Aber es gab Fortschritte. Und die sind größer als das, was in Qatar zu sehen ist. Das festzustellen, hat nichts mit Arroganz zu tun, die unabhängig davon in Deutschland durchaus herrschaftlich gedeiht. Gabriel könnte auch sagen: 1944 haben wir Menschen noch in die Gaskammern geschickt. Oder die Schweden haben im 30-jährigen Krieg für jahrzehntelange Verheerungen gesorgt. Und die Punischen Kriege, meine Güte, diese bösen Römer! Was bedeutet das jetzt für die Beurteilung der aktuellen Politik in Stockholm und Rom?

Im Grunde sind Gabriels Worte selbst voller Arroganz. Er attestiert „Fortschritte“ wie ein gutmütiger Onkel, der dem qatarischen Neffen kurz die Schulter klopft, ohne sich für diese näher zu interessieren. Er behandelt Qataris wie kleine Kinder, die so viel Zeit benötigten, um in Sachen Menschenrechte etwas auf die Reihe zu kriegen.

Gabriel spricht wie einer, der nur gewisse Dinge sehen will. Warum, sollte er selbst erklären.

Im Video: Kurz vor der WM: Australische Nationalmannschaft kritisiert Katar