Kommentar: Wohin steuert Amerika?

Nach der historischen Abwahl des Sprechers im US-Repräsentantenhaus steht das Land vor einem Scherbenhaufen. Die Partei der Republikaner scheint einzugehen wie eine welke Blume, während die Demokraten abgehoben und visionslos wirken. Nun beginnt das große Warten. Bloß: Ist die Zeit der Lichtgestalten nicht vorbei?

Ein Kommentar von Jan Rübel

Eine Fernsehaufnahme von der Sitzung des US-Repräsentantenhauses, das am vergangenen Dienstag für die Abwahl seines Sprechers stimmte (Bild: REUTERS)
Eine Fernsehaufnahme von der Sitzung des US-Repräsentantenhauses, das am vergangenen Dienstag für die Abwahl seines Sprechers stimmte (Bild: REUTERS)

In Washington D.C. werden heute viele Leute aufwachen und sich den Schädel kratzen. Was ist eigentlich gestern passiert? Oder besser: Wie konnte es geschehen? Einmalig in der Geschichte der USA ist der Sturz von Kevin McCarthy. Der Republikaner war bis gestern Sprecher des US-Repräsentantenhauses – das ist eine mächtigere Stellung als etwa die eines Bundestagspräsidenten in Deutschland. McCarthy war nicht nur für die Tagesordnung zuständig: Er bestimmte sie, die Ausschüsse und zeichnete fürs Ausverhandeln der Gesetzesvorhaben mit dem Senat und dem Weißen Haus verantwortlich

Gestürzt von der eigenen Partei - das gab es noch nie

Doch seine eigene Partei stürzte ihn, beziehungsweise eine kleine Gruppe in ihr. Sowas passierte noch nie. Amerikas Politik erscheint heute kopflos. Wichtige Prozesse sind gelähmt, ohne Sprecher im Repräsentantenhaus läuft nur wenig in der US-Bundespolitik. Nächste Woche soll schnell ein neuer gewählt werden. Aber der Ausgang ist völlig offen; gut möglich, dass die USA in einer Sackgasse verharren.

Einigen Hardlinern innerhalb der mittlerweile alles andere als soften Republikaner war es gegen den Strich gegangen, dass sich McCarthy in konstruktiver Politik versucht hatte: Er hatte mit den Demokraten, die im Weißen Haus und im Senat das Sagen haben, einen Deal zu einem vorübergehenden Haushalt gezimmert. Damit wurde sichergestellt, dass in den kommenden Wochen die Gehälter von Staatsangestellten ausgezahlt werden; eigentlich eine Selbstverständlichkeit, doch nicht in den Augen jener, denen der Staat in den USA zu mächtig vorkommt, zu ausgabenlastig. Über Etatdisziplin lässt sich immer streiten. Man stelle sich aber vor, die FDP oder die SPD würde deshalb mit einem Veto dafür sorgen, dass Lehrer, Polizisten, Feuerwehrleute und Standesbeamte von einem Tag auf den anderen kein Geld mehr kriegen.

Kevin McCarthy wurde von seiner eigenen Partei entthront. Aber was kommt jetzt? (Bild: REUTERS/Jonathan Ernst)
Kevin McCarthy wurde von seiner eigenen Partei entthront. Aber was kommt jetzt? (Bild: REUTERS/Jonathan Ernst)

Der Kater danach

Die Aktion der Republikaner ist verhoben. Genauer gesagt: Eine kleine Gruppe innerhalb der Partei zettelte einen Putsch an. Denn die Republikaner regieren im Repräsentantenhaus nur mit einer dünnen Mehrheit von fünf Stimmen. Und es war klar, dass McCarthy nicht mit der Unterstützung von Demokraten rechnen konnte. Zum einen hat er sich durch einen ansonsten harten Kurs ihnen gegenüber nicht gerade beliebt gemacht. Und zum anderen würde der Support durch einen eigentlich politischen Gegner ihn nur schwächen und die Demokraten in der Mär der Hardliner nur als unmoralische Strippenzieher dastehen lassen. Acht Republikaner stimmten also gegen ihren eigenen Sprecher. Das Chaos ist perfekt.

Die Lage wird unübersichtlich

Denn nicht klar ist, was sie genau damit bezweckten. McCarthy war auf Linie mit dem mächtigsten Republikaner, Donald Trump. Dies zwar notgedrungen, aber immerhin. Und die Front der wenigen gegen ihn wurde von Trump-Anhängern initiiert, es stimmten aber auch welche für ihn. Was also nun?

Auszumachen ist nur, dass es den Putschisten weniger um Etatdisziplin und mehr um sich selbst geht. Eine Clique von Ichlingen hat auf Aufmerksamkeitserregung gesetzt, von der sie nun profitiert. Konstruktive Politik ist diesen Trump-Jüngern ein Gräuel, ihnen geht es nur um the art of the deal, aber ein guter Deal ist für sie nur einer, der ihnen nützt, nicht dem Land. Die Republikaner sind mit ihrem Engagement unpatriotisch. Und widersprüchlich.

Der republikanische Abgeordnete Matt Gaetz führte die Revolte in seiner Partei an. (Bild: REUTERS/Jonathan Ernst)
Der republikanische Abgeordnete Matt Gaetz führte die Revolte in seiner Partei an. (Bild: REUTERS/Jonathan Ernst)

Wenn man die Vergangenheit und Beständigkeit besingt, warum dann ein historisches Novum durch die Abwahl eines Sprechers? Wenn man Stärke demonstrieren will, warum dann die Schwächung des Systems? Die Republikaner sind keine Grand Old Party mehr, wie sie einst hieß. Sie sind eine New Angry Clique. Vor Jahren begann die Partei eine Radikalisierung, in der das Toben für die Galerie wichtiger wurde als das Dienen fürs Volk. Im Grunde stehen die Republikaner vor der Auflösung, wie die italienischen Christdemokraten Anfang der vorigen Neunziger. Nur ist das, was auf sie folgte, schon jetzt das Vorbild für die aktuellen Republikaner: der Staatsraub Berlusconis.

Triumph für Trump-Flügel - Chaos für die US-Politik

Trump wird sich heute freuen. Chaos liebt er. Und auch die Demokraten können sich zumindest versichern, dass sie nichts Falsches getan haben. Doch die Situation ist verfahren. Von Trump wissen wir, dass nichts Gutes von ihm zu erwarten ist. Und die Demokraten sind immer noch zu abgehoben und zu wenig bodenständig. Ihr Präsident Joe Biden ist zu alt, um Visionen vorgeben zu können – trotz einer Bilanz, die sich durchaus sehen lassen kann.

Also warten alle. Trump harrt seiner Chance. Biden will schlicht Kurs halten. Und die Republikaner wissen heute nicht, was sie morgen wollen. Ein Hoffnungsträger müsste her, jenseits von Trump und Biden. Einer, der das Land mitnimmt und eint, eine Vision hat, hinter der man sich versammelt. Doch der ist derzeit nicht in Sicht. International gesehen wird Amerika auf absehbare Zeit weniger agieren, sich zurückziehen. Das ist für Europa nur dann keine schlechte Nachricht, wenn es das Vakuum selbst füllt.

Im Video: Chaos-Revolte gegen McCarthy: Jetzt ist der US-Kongress blockiert