Der Tag im Überblick: Gaza-Konflikt gefährdet israelisch-arabische Normalisierung, Israel bereitet Offensive vor

Eine Normalisierung der Beziehungen zwischen Saudi-Arabien und Israel hätte weitreichende Veränderungen im Nahen Osten ausgelöst. Vor dem Hintergrund der Eskalation stoppt Riad aber die Gespräche. Währenddessen bereitet Israel seine Offensive vor, und die Bundeswehr fliegt Deutsche vorsorglich aus dem Land.

(Bild: Amir Levy/Getty Images)
(Bild: Amir Levy/Getty Images)

Der blutige Überfall der islamistischen Hamas auf Israel mit mindestens 1300 Toten und die harte israelische Reaktion im Gazastreifen gefährdet die Normalisierung des jüdischen Staates mit seinen arabischen Nachbarn. Saudi-Arabien stoppte am Samstag Gespräche über eine mögliche Aufnahme von Beziehungen mit Israel, wie die Deutsche Presse-Agentur aus saudischen Diplomatenkreisen erfuhr. Israels Erzfeind Iran erklärte eine mögliche Annäherung zwischen Israel und Saudi-Arabien damit schon für gescheitert. «Das ist völlig vom Tisch», meinte Irans Außenminister Hussein Amirabdollahian in der libanesischen Hauptstadt Beirut.

Nach Krisengesprächen in Ägypten appelierte Außenministerin Annalena Baerbock eindringlich an die Hamas, alle aus Israel verschleppten Geiseln freizulassen. Der Bundesregierung seien acht Fälle von deutschen Staatsangehörigen unter ihnen bekannt - die meisten Doppelstaatler, sagte die Grünen-Politikerin nach einem Treffen mit ihrem ägyptischen Kollegen Samih Schukri in Kairo. Man nutze alle Kanäle, «um alles dafür zu tun, dass diese unschuldigen Menschen freigelassen werden». Mehr als 150 Menschen sind in den Gazastreifen verschleppt worden.

Bundeswehr fliegt Deutsche mit A400M aus Israel aus

Eine Woche nach den Terrorangriffen der islamistischen Hamas in Israel soll die Bundeswehr deutsche Staatsbürger ausfliegen. Dazu waren am Samstagabend zwei Militärtransporter vom Typ A400M von Deutschland aus nach Tel Aviv unterwegs, wie das Verteidigungsministerium in Berlin erklärte. Wie die Deutsche Presse-Agentur aus Sicherheitskreisen erfuhr, sollen sie unter anderem auch einen «Hub» errichten - ein Drehkreuz für mögliche weitere Flüge. Schon für Sonntag wurde demnach der Einsatz einer weiteren Bundeswehrmaschine vorbereitet.

Weitere Flüge sind laut Verteidigungsministerium in Vorbereitung. Minister Boris Pistorius (SPD) erklärte dazu: «Die Bundeswehr ist mit dem Auswärtigen Amt in enger Abstimmung und unterstützt es bei der so genannten schnellen Luft-Abholung. Auch auf militärische Evakuierungen sind wir vorbereitet, falls dies erforderlich werden sollte. Ich bin stolz, dass sich unsere Bevölkerung auf die schnelle Einsatzbereitschaft dieser Kräfte verlassen kann.»

In den vergangenen Tagen hatte das Auswärtige Amt schon etwa 2800 Bundesbürger und Familienmitglieder bei der Ausreise unterstützt. Die Lufthansa hat ihre Linienflüge aus Israel jedoch vorerst gestoppt und zwischenzeitlich Sonderflüge eingesetzt.

Wolfgang Hellmich, verteidigungspolitischer Sprecher der SPD im Bundestag, erklärte: «Wir begrüßen es sehr, dass die Bundesregierung nun die bereitstehenden und erprobten Fähigkeiten der Luftwaffe einsetzt, um deutsche Staatsbürgerinnen und Staatsbürger aus Israel in Sicherheit zu bringen.» Beide Maschinen hätten Hilfsmaterial für Israel an Bord, und der Rückflug werde für die Evakuierung deutscher Staatsbürger genutzt. «Mögen so viele Personen wie nur möglich heil zurückkehren.»

Scholz und Netanjahu warnen vor Flächenbrand

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) versicherte den Menschen in Israel in einem Telefonat mit Ministerpräsident Benjamin Netanjahu erneut die volle Solidarität Deutschlands. Beide seien sich einig gewesen, «dass es gilt, einen regionalen Flächenbrand und insbesondere das Eingreifen der Hisbollah in den Konflikt zu vermeiden», teilte Regierungssprecher Steffen Hebestreit. Die Schiitenorganisation im Südlibanon ist ein enger Verbündeter des Irans und war bereits 2006 in einen Krieg mit Israel verwickelt. In den vergangegen Tagen kam es an der Grenze zu mehreren Gefechten mit Toten auf beiden Seiten.

Chaos im Gazastreifen: Zehntausende auf der Flucht

Unterdessen waren im Gazastreifen vor einer erwarteten israelischen Bodenoffensive Zehntausende Zivilisten auf der Flucht in den Süden des Gebiets. Die israelische Armee hatte über zwei zeitlich begrenzte Fluchtrouten informiert, die bis zum Samstagnachmittag von Angriffen verschont bleiben sollten.

13.10.2023, Palästinensische Gebiete, Gaza-Stadt: Palästinenser fliehen aus dem nördlichen Gazastreifen in den Süden. Foto: Hatem Moussa/AP +++ dpa-Bildfunk +++
Foto: Hatem Moussa/AP +++ dpa-Bildfunk +++

Seit den beispiellosen Hamas-Massakern in Israel am Samstag vergangener Woche fliegt das israelische Militär heftige Luftangriffe auf Ziele im Gazastreifen. Dabei wurden nach Angaben des israelischen Militärs vom Samstag auch zwei der mutmaßlichen Hamas-Drahtzieher der blutigen Angriffe getötet. Die Zerstörungen sind massiv. Insgesamt starben im Gazastreifen mehr als 2200 Menschen, über 8700 wurden verletzt, wie das Gesundheitsministerium mitteilte.

Scharfe Kritik an Israel von Nachbarländern

Saudi-Arabien und auch Ägypten, mit dem Israel schon 1979 Frieden geschlossen hat, kritisierten den Aufruf des israelischen Militärs zur Massenevakuierung von mehr als einer Million Bewohnern des nördlichen Gazastreifens scharf. Saudi-Arabien lehne die «Zwangsumsiedlung ab», teilte das Außenministerium mit. Den Menschen seien die Grundvoraussetzungen für ein menschenwürdiges Leben entzogen worden, was «einen Verstoß gegen das humanitäre Völkerrecht» darstelle, hieß es aus Riad. Ägypten sprach von «einer schwerwiegenden Verletzung der Regeln des humanitären Völkerrechts».

Experten äußerten die Vermutung, dass es die Hamas mit ihrem Angriff auf Israel auch darauf abgesehen haben könnte, die unter Vermittlung der USA angestrebte Normalisierung zwischen Israel und Saudi-Arabien zu verhindern.

USA und Saudi-Arabien betonen bei Blinken-Besuch Zusammenarbeit

Die USA und Saudi-Arabien haben angesichts des beispiellosen Massakers von islamistischen Hamas-Terroristen auf israelische Zivilisten ihre Zusammenarbeit betont. Der gemeinsame Austausch sei wichtig, sagte US-Außenminister Antony Blinken bei einem Treffen mit seinem saudischen Amtskollegen Faisal bin Farhan Al Saud am Samstag in Riad laut einem Transkript des US-Außenministeriums. Dieser äußerte sich demnach ähnlich. Es sei wichtig, sicherzustellen, dass dieser Konflikt nicht auf andere Orte und andere Fronten übergreife.

Irans Außenminister warnt Israel vor Angriffen gegen Hisbollah

Irans Außenminister warnte Israel vor Angriffen gegen die Schiitenorganisation Hisbollah im Südlibanon. «Hinsichtlich der Szenarien gegen die Hisbollah wird jede Aktion ein Erdbeben gegen die Zionisten sein», sagte Amirabdollahian in Beirut.

Wasser im Gazastreifen wird knapp

Das UN-Hilfswerk für Palästinensische Flüchtlinge (UNRWA) warnte mit drastischen Worten vor einer lebensbedrohlichen Wasserknappheit für die Menschen im Gazastreifen durch die israelische Blockade. «Es ist eine Frage von Leben und Tod geworden», sagte Philippe Lazzarini, UNRWA-Generalkommissar. Es müsse dringend Treibstoff geliefert werden, um Wasser für zwei Millionen Menschen bereitstellen zu können. «Die Menschen, darunter kleine Kinder, Ältere und Frauen, werden an schwerer Dehydrierung sterben», warnte Lazzarini.

Israel macht Ende der Blockade von Geiselfreilassung abhängig

Nach den blutigsten Massakern an israelischen Zivilisten seit der Staatsgründung hat Israel den nur 40 Kilometer langen und zwischen sechs und zwölf Kilometern breiten Küstenstreifen abgeriegelt. Die Wiederaufnahme der Versorgung macht die Regierung von der Freilassung der verschleppten Israelis abhängig. Einem Medienbericht zufolge bargen israelische Soldaten bei ersten begrenzten Kommandounternehmen im Gazastreifen Leichen von Verschleppten. Die Hamas berichtete, bisher seien 22 Geiseln durch israelischen Beschuss gestorben.

UN warnen vor Katastrophe

Die UN befürchten nach Angaben eines Sprechers eine «katastrophale Situation», sollte die Armee in das dicht besiedelte Küstengebiet einmarschieren. Augenzeugen berichteten von Panik unter der Bevölkerung. Die UN forderten Israel auf, die Anweisung zur Evakuierung der etwa 1,1 Millionen Menschen zu widerrufen. UN-Generalsekretär António Guterres forderte sofortigen Zugang zum Gazastreifen für humanitäre Hilfe. Auch der EU-Außenbeauftragter Josep Borrell bezeichnete die Massenevakuierung als unmöglich.

US-Präsident Joe Biden sicherte Israel erneut die Solidarität zu, äußerte sich aber ebenfalls besorgt. «Wir dürfen die Tatsache nicht aus den Augen verlieren, dass die überwältigende Mehrheit der Palästinenser nichts mit Hamas oder den abstoßenden Attacken der Hamas zu tun hat», sagte Biden.

Auswärtiges Amt: 2800 Deutschen und Angehörigen bei Ausreise geholfen

Das Auswärtige Amt hat nach eigenen Angaben etwa 2800 Bundesbürger und Familienmitglieder bei der Ausreise aus Israel unterstützt. Die Menschen hätten das Land nach Beginn der Angriffe der islamistischen Hamas vor einer Woche zu Land, Luft und See verlassen. An diesem Sonntag gebe es eine Ausreisemöglichkeit mit Sonderflügen der Fluggesellschaft Condor aus der jordanischen Stadt Akaba, die direkt an der Südgrenze Israels liegt.

Video: Israel beharrt auf Evakuierung des Gazastreifens - Panik vor drohender Bodenoffensive