Krieg gegen die Ukraine: So ist die Lage

Belgorod/Kiew (dpa) - Nach dem Eindringen Bewaffneter in die russische Grenzregion Belgorod nahe der Ukraine haben laut Angaben offizieller Stellen viele Bewohner ihre Häuser verlassen. Der Gouverneur der Region, Wjatscheslaw Gladkow, sprach von mindestens acht Verletzten. Tote unter den Zivilisten habe es nicht gegeben.

Zudem verhängte er gestern Abend Terroralarm. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj kehrte indes nach den Gipfeltreffen in Saudi-Arabien und Japan in sein Heimatland zurück. In mehreren Gebieten wurde in der Nacht erneut Luftalarm ausgelöst.

Unklare Lage an der ukrainischen Grenze

Von einer angespannten Lage sprach der Gouverneur am Abend. Gestern Vormittag war die Grenzregion unter Beschuss geraten. Betroffen waren Gladkow zufolge die Kleinstadt Graiworon und mindestens zwei Dörfer. Mehrere Bewohner mussten mit Verletzungen ins Krankenhaus. Die Rede war zudem von beschädigten Häusern.

Unklar ist, was genau vorgefallen war und ob der Einsatz in der Nacht noch lief. Gladkow schrieb, das Militär, der auch für den Grenzschutz zuständige Inlandsgeheimdienst FSB und die Nationalgarde seien im Einsatz. Einzelheiten sollten noch mitgeteilt werden. Es wird damit gerechnet, dass heute Details bekannt gegeben werden.

Russland hat vor 15 Monaten seinen Angriffskrieg gegen die Ukraine begonnen und beschießt immer wieder Städte und Ortschaften im Nachbarland. In den vergangenen Monaten klagten aber auch russische Regionen in Grenznähe über zunehmenden Beschuss von ukrainischer Seite aus. Es gab zudem Explosionen auf Militärbasen.

Der Gouverneur sagte nach dem Vorfall, ein Großteil der Bevölkerung habe das Gebiet verlassen. Die Stadt Graiworon zählte einst 6000 Einwohner und der angrenzende Landkreis mehr als 25.000. Unklar aber ist, wie viele Bewohner in der Grenzregion ihre Häuser bereits in den vergangenen Monaten wegen des Krieges verlassen haben.

Wer steckt hinter dem Beschuss?

Gouverneur Gladkow machte eine Sabotagegruppe des ukrainischen Militärs verantwortlich. Kiew selbst bestritt eine Verwicklung. Die aus russischen Staatsbürgern bestehenden Einheiten «Russisches Freiwilligenkorps» und «Legion Freiheit Russlands» behaupteten bei Telegram, ihre Kämpfer seien dafür verantwortlich. Zu sehen war, wie sie angeblich auch Militärfahrzeuge erbeuteten. In dem Krieg kämpfen beide Einheiten auf der Seite der Ukraine. Die Regierung in Kiew dementiert allerdings ihre Beteiligung an der Aktion.

Unklar war, wie viele Bewaffnete ums Leben kamen. In russischen Telegram-Kanälen war von Toten die Rede. Die «Legion Freiheit Russlands» teilte im ukrainischen Fernsehen mit, sie wolle eine «entmilitarisierte Zone entlang der Grenze» schaffen. Diese Angaben ließen sich nicht unabhängig überprüfen. Die Einheiten riefen die Bevölkerung auf, keinen Widerstand zu leisten. «Wir sind nicht Ihre Feinde.» Die Freiheit sei nahe, hieß es bei Telegram.

Selenskyj rechnet mit weiteren Waffen

Präsident Selenskyj zeigte sich gestern nach seiner Rückkehr zuversichtlich, dass weitere Waffen an sein Land geliefert werden. «Es wird noch mehr Waffen für unsere Krieger geben», sagte der Staatschef in einem im Zug aufgezeichneten Video. «Jedes Mal gibt es mehr Ergebnisse für die Ukraine: mehr Flugabwehr, Artillerie, Panzertechnik, Munition, Ausbildung.»

Selenskyj hatte auf dem Gipfel der Länder der Arabischen Liga für Unterstützung in dem Abwehrkampf geworben. Anschließend erhielt er beim G7-Gipfel der größten Wirtschaftsnationen in Japan von den USA die prinzipielle Zusage für die Lieferung von F-16-Kampfjets.

Diskussion über Waffenlieferung in Deutschland

Der CDU-Verteidigungsexperte Roderich Kiesewetter sprach sich für die Lieferung deutscher Marschflugkörper vom Typ Taurus an die Ukraine aus. «Die Partner der Ukraine müssen jetzt "all-in" gehen und der Ukraine alles liefern, was die Ukraine im Gefecht der verbundenen Waffen einsetzen kann und völkerrechtlich zulässig ist», sagte er dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND).

Die Taurus-Lenkwaffen mit bis zu 500 Kilometern Reichweite könnten ein «sehr hilfreicher Beitrag aus Deutschland» sein. Der CDU-Obmann im Auswärtigen Ausschuss sagte, die Marschflugkörper brächten der Ukraine massiven Mehrwert und ermöglichten «Schläge gegen die militärische Infrastruktur der Russen weit hinter der Frontlinie».

Russlands Regierungschef führt Gespräche in China

Der russische Regierungschef Michail Mischustin ist in der Nacht in China eingetroffen. Das meldete die Staatsagentur Tass. In Shanghai will er zunächst an einem russisch-chinesischen Business-Forum teilnehmen. Anschließend sind in Peking Gespräche mit der chinesischen Führung geplant. China ist Russlands größter Handelspartner und beteiligt sich nicht an den Sanktionen, die der Westen im Zuge des Ukraine-Kriegs gegen Moskau erlassen hat.

BND sieht keine Risse im System Putin

Hat der Krieg gegen die Ukraine den russischen Präsidenten Wladimir Putin geschwächt? Der Präsident des Bundesnachrichtendienstes, Bruno Kahl, erkennt keine Anzeichen dafür. Man sehe keine erkennbaren Risse im System Putin, sagte der Chef des deutschen Auslandsgeheimdienstes gestern vor der Bundesakademie für Sicherheitspolitik (BAKS) in Berlin. Trotz vereinzelter Kritik - etwa, was Munitionslieferungen angehe - gebe es auch keine Anzeichen, dass das System ins Wanken gerate oder implodiere. Dies sei aber auch nicht auszuschließen.

"Die Lage um Bachmut", Grafik: P. Massow/J. Reschke; Redaktion: B. Schaller/M. Lorenz
"Die Lage um Bachmut", Grafik: P. Massow/J. Reschke; Redaktion: B. Schaller/M. Lorenz

Was heute wichtig wird

Die Verteidigungsminister der EU-Staaten beraten über die gemeinsame militärische Unterstützung für die Ukraine. Es wird unter anderem erwartet, dass über den Stand von Munitionslieferungen an das von Russland angegriffene Land gesprochen wird.

Unklar ist weiterhin die militärische Lage rund um Bachmut. Russland hatte am Wochenende behauptet, die einstige 70.000-Einwohner-Stadt unter Kontrolle zu haben. Der ukrainischen Regierung zufolge wehren sich dort weiterhin ukrainische Soldaten gegen die Angriffe.