Eine Legende des deutschen Sports wird 60
Schon kurz bevor die berühmteste deutsche Hochspringerin ihren letzten großen Triumph feierte, deutete sich an, dass die goldene Ära mit ihr nicht enden würde.
Es war der 24. Juni 1984, wenige Wochen vor den Olympischen Spielen 1984 in Los Angeles. Die große Ulrike Meyfarth, 1972 durch ihren Sieg bei Olympia in München zum Liebling der Sportnation aufgestiegen, war bei den Deutschen Meisterschaften im Düsseldorfer Rheinstadion angetreten, um sich Rückenwind für ihre letzte Mission in L.A. zu holen - doch ein junges Talent stahl ihr völlig überraschend die Show.
Heike Redetzky, gerade 20 Jahre alt geworden, erreichte mit 1,91 Meter dieselbe Höhe wie das acht Jahre ältere Idol - und holte Platz 1 vor Meyfarth wegen der geringen Anzahl Fehlversuche.
Trotz der unerwarteten Niederlage sprang Meyfarth dann in L.A. ein zweites Mal zu Gold, Talent Redetzky landete auf Platz 11. Trotzdem war schon da zu ahnen: Auch in der 1,82 Meter großen Kielerin - von Meyfarths Triumph erklärtermaßen inspiriert - steckte das Potenzial für internationale Großtaten. Und die Frau, die heute Heike Henkel heißt und 60 Jahre alt wird, bestätigte den Eindruck.
Heike Henkel war Vorzeigefigur des deutschen Sports
Sieben Jahre nach dem Überraschungscoup gegen Meyfarth kam auch Henkel in der absoluten Weltspitze an: Bei der WM in Tokio - legendär für allem für den historischen Weitsprung-Showdown zwischen Mike Powell und Carl Lewis - krönte sich Henkel mit einem 2,05-Meter-Sprung zur ersten deutschen Freiluft-Weltmeisterin. EM-Gold - im Freien und der Halle - hatte sie schon 1990 gewonnen, die Hallen-WM in Sevilla 1991 ebenso.
Endgültig in Meyfarths Fußstapfen trat Henkel - die sich bei Bayer Leverkusen zusammen mit Trainer-Guru Gerd Osenberg auf Weltniveau hievte - dann bei Olympia 1992 in Barcelona, vier Jahre nachdem sie in Seoul die Qualifikation für das Finale verpasst hatte. Henkel gewann das Duell mit der Rumänin Alina Astafei und sicherte sich ihren größten Triumph.
Henkel war damals eine Vorzeigefigur der frisch vereinten Sportnation, wurde 1992 auch Sportlerin des Jahres, zusammen mit Langstrecken-Ass Dieter Baumann, der am selben Tag und fast zeitgleich mit seiner Leverkusener Teamkollegin Olympia-Gold gewonnen hatte.
Bewunderung erntete Henkel vor allem für ihre mentale Stärke, die sie von anderen, körperlich ähnlich veranlagten Konkurrentinnen abhob: Bester Beweis war der Triumph von Barcelona, wo Henkel mit zwei Fehlversuchen über 1,97 Meter vor dem Aus stand, aber die Nerven behielt. Nach eigenen Angaben half ihr dabei die parallel laufende 5000-Meter-Konkurrenz mit Baumann - die dafür sorgte, dass sich in der Halle nicht alle Augen auf sie richteten.
Klaren Kopf bewies sie auch mit einer offensiven Anti-Doping-Haltung - sie weigerte sich bei Wettkämpfen ohne Kontrollen anzutreten und saß ab 2001 vier Jahre im Vorstand der damals neu gegründeten NADA - und der Organisation ihres Lebens nach dem Sport. Henkel arbeitete nach dem Abitur in der Werbeabteilung bei Bayer und schloss in den Neunzigern ein Grafikdesign-Studium ab. Heute verdient Henkel ihr Geld als Keynote-Speakerin und Mentaltrainerin.
Tochter in den Fußstapfen der berühmten Eltern
Henkel - zwischen 1989 und 2001 verheiratet mit dem zweifachen Schwimm-Weltmeister Rainer Henkel - ist dreifache Mutter und setzte nach der Geburt ihres ersten Sohn ein weiteres Signal, als sie schnell in den Leistungssport zurückkehrte und die Vereinbarkeit mit der Familie vorlebte. 1999 wurde sie nochmals Deutsche Meisterin und hatte Olympia 2000 in Sydney im Visier - es reichte letztlich aber nicht mehr.
2004 schloss Henkel, die in Pulheim bei Köln lebt, eine zweite Ehe mit einem berühmten Sport-Weggefährten: Paul Meier, in Erinnerung vor allem für sein umjubeltes Zehnkampf-Bronze bei der Leichtathletik-Heim-WM in Stuttgart 1993.
Marlene Meier, die Tochter der beiden, ist in die Fußstapfen ihrer Eltern getreten: Sie wurde 2022 Deutsche Meisterin über 100 Meter Hürden.