"Der Lehrkörper sollte unbedingt Humor haben"
Ein arbeitsloses Mathematikgenie wagt einen Quereinstieg an die Schule - Christoph Maria Herbst verrät, warum der Lehrerberuf für ihn niemals in Frage käme, der Dreh des ZDF-Films "Lehrer kann jeder!" aber eine tolle Erfahrung war.
Er war schon König, Versicherungsangestellter, Tierpfleger, Psychotherapeut und vieles, vieles mehr: Christoph Maria Herbst (56) ist bekannt dafür, sich möglichst unterschiedliche Rollen auszusuchen. Gerne vor allem solche, die mit ihm persönlich ganz und gar nichts zu tun haben. So wie im neuen ZDF-Film mit dem provokanten Titel "Lehrer kann jeder!" (Donnerstag, 8. September, 20.15 Uhr, ZDF). Herbst spielt in der Komödie einen von seiner Liebsten verlassenen Mathematiker, der sich als Quereinsteiger an die Schule seiner Frau wagt, um sie zurückzugewinnen. Nach der Erfahrung, mit Kreide in der Hand vor einem Haufen desinteressierter Pubertiere zu stehen, freut er sich umso mehr, dass er Schauspieler geworden ist. An seine eigene Schulzeit und Lehrer denkt Herbst jedoch gern, wie er im Gespräch verrät.
Latein top, Mathe hop
teleschau: Sie spielen in "Lehrer kann jeder" einen Mathelehrer. Wie fühlte sich das für den Schauspieler und ehemaligen Schüler Herbst an?
Christoph Maria Herbst: Eher so mittel. Wenn ich den Impuls überhaupt gebraucht hätte, noch mal zu überlegen, ob der Schauspielerberuf der richtige für mich ist, dann hätte es dieser Erfahrung bedurft, mich in meiner eigentlichen Haut des Broterwerbs noch wohler zu fühlen. Es zieht sich durch mein berufliches Leben, dass ich den größten Spaß immer mit Rollen hatte, die ganz weit von mir entfernt sind, weil dann bei mir eine Fantasie entsteht und ich der Meinung bin, nur dann die Menschen damit kurzweilen zu können. Wenn ich mich langweile, kann ich die Menschen nicht unterhalten. Spaß für diesen 90-Minüter hat es mir gemacht, aber auf Dauer wäre es nicht das Richtige.
teleschau: Warum nicht?
Herbst: Die Vorstellung, ich müsste mein berufliches Leben lang pubertierende Testosteronbomben und zukünftige Germany's Next Topmodels unterrichten und mir dann das anhören, was unser Autor Marc Terjung in die Dialoge reingeschrieben hat - und ich meine zu erahnen, dass das haarscharf von der Realität abgeguckt ist -, das würde ich nicht aushalten. Und wenn man sich die Burnout-Rate bei Lehrern anguckt, dann gibt mir meine Einschätzung auch so ein bisschen recht. Ich habe den Stromberg lieber gespielt als dass ich im Zuge meiner Banklehre zu einem solchen geworden wäre (lacht). Und bei einem Lehrer geht es mir genauso.
teleschau: Was hat Sie an der Rolle gereizt?
Herbst: Erst mal hatte ich Lust, endlich einmal etwas aus der Feder von Marc Terjung zu spielen, dessen Karriere ich seit vielen Jahren beobachte. Lustigerweise dachte der gar nicht an mich, als er das Drehbuch schrieb. An einer Stelle sagt meine Figur, Richard Glossat, er hätte im vorherigen Leben in der Schadensregulierung einer Versicherung gearbeitet (lacht). Das wurde nicht reingeschrieben, nachdem klar war, dass ich das spielen würde. Es stand schon drin, und das kleine Schmankerl fand ich sehr lustig. Hinzukommt, ein arbeitsloses, promoviertes Mathematikgenie, das versucht, als Quereinsteiger und Lehrkörper Fuß zu fassen ... Ich kann mir fast nichts vorstellen, was noch weiter von mir entfernt wäre. Die Gemengelage von alledem hat dafür gesorgt, dass ich das sehr gerne übernommen habe.
teleschau: Mal ehrlich, waren Sie etwa gut in Mathe? Oder hat es Ihnen keinen Spaß gemacht?
Herbst: Letzteres ist richtig (lacht). Die Naturwissenschaften fühlten sich bei mir nicht so wahnsinnig wohl und umgekehrt auch nicht. Biologie und Chemie würde ich im selben Atemzug nennen. Ich war eher so der Geisteswissenschaftler und fühlte mich bei den Sprachen mehr zu Hause.
teleschau: Sie sind auf einem altsprachlichen Gymnasium zur Schule gegangen und haben dort Abitur gemacht. Wie fit sind Sie in Latein und Altgriechisch?
Herbst: Da bin ich ziemlich fit. Ich könnte mich mit Sokrates oder Julius Cäsar jetzt prima in Originalsprache über den gallischen Krieg unterhalten. Ich könnte Sie auch langweilen und die ersten Zeilen aus der Ilias zitieren. Das ist bis heute so, dass ich eher Altsprachler bin als Neusprachler. Das kam mir auch entgegen, weil ich ja über viele Jahre katholischer Priester werden wollte. Dass ich dann doch lieber Schauspieler wurde, hatte auch andere Gründe. Weil mir dann nämlich meine allererste Freundin dazwischengrätschte und mir auffiel, dass es da ja dieses Zölibat gibt. Das alles unter einen Hut zu bringen, konnte ich mir dann doch nur schlechterdings vorstellen (lacht).
Erst Klassenclown, dann Banklehrling
teleschau: Sind Sie gerne zur Schule gegangen?
Herbst: Ich bin vor dem Hintergrund gern in die weiterführende Schule gegangen, weil wir so tolle Lehrer hatten. In der differenzierten Oberstufe habe ich die zu wählenden Fächer nicht danach ausgesucht, ob sie mich interessieren, sondern ob ich fand, dass eine Lehrerin oder ein Lehrer genügend Charisma hat. Wenn ich zum Beispiel an meinen Altgriechisch-Lehrer denke, den mittlerweile verstorbenen Herrn Hoske, der selber aussah wie Sokrates und so eine Art Universalgenie war, das war einfach eine große Freude, zu dem in den Unterricht zu gehen. Der war Humanist durch und durch, und der hatte etwas Prägendes für mein Leben, wie ich auf die menschliche Existenz und das menschliche Miteinander gucke. Oftmals ging es da gar nicht mehr um Griechisch oder um das Übersetzen irgendwelcher Texte, sondern man hat mehr über das Leben an sich gesprochen, das war echt faszinierend.
teleschau: Wie stehen Sie vor diesem Hintergrund zum Titel des Films?
Herbst: Der Arbeitstitel war "Leerkräfte", das war vielleicht ein bisschen sehr kalauerig. Das ZDF hatte entschieden, ihm jetzt den Titel "Lehrer kann jeder!" zu geben. Erst mal bin ich zusammengezuckt, aber ehrlicherweise muss ich sagen, nachdem ich einmal darüber geschlafen hatte, fand ich den Titel prima, weil es natürlich eine Provokation ist und dadurch ein Hingucker. Am Ende des Tages wünschen sich Produktion und Sender, dass der Film geguckt wird.
teleschau: Welche Anekdote aus Ihrer eigenen Schulzeit teilen Sie mit uns?
Herbst: Gute Frage. Ich weiß noch, als ich in die Sexta kam - das hieß bei uns so, wie in der "Feuerzangenbowle" -, war ich hoffnungslos überfordert mit all den Eindrücken. Und ich saß da in unserer Klasse neben einem neuen Klassenkameraden. Wir mussten sagen, welcher Konfession wir angehören, und der war griechisch-orthodox. Als ich nach Hause kam, fragte mich meine Mutter: "Und, wie war denn der erste Schultag?" Da hab ich gesagt: "Total nett, und ich sitze neben einem ganz netten Jungen, der heißt Otto Dox" (lacht). Da hab ich mal eben den Namen mit der Konfession vertauscht. Ich war total verwirrt.
teleschau: Welche Leistungskurse haben Sie später belegt?
Herbst: Meine Leistungskurse waren Altgriechisch und Deutsch, dann kamen Mathematik, weil man ja was Naturwissenschaftliches brauchte, und Philosophie. In Deutsch haben wir uns mit dem Schaffen von Heinrich Mann befasst, das hat mir unfassbar viel Spaß gemacht. Keiner traute sich, sich zu melden, wenn jemand ein Kapitel vorlesen sollte, aber meine Hand schnellte immer als erste nach oben. Da wurde schon der Grundstein gelegt, dass ich später sehr gerne Bücher zu Hörbüchern machen sollte.
teleschau: Waren Sie in Ihrer Klasse der Klassenclown?
Herbst: Das ist ein lustiges Label, aber vielleicht passt es sogar ein bisschen. Ich kam nicht in die Klasse und erzählte gleich Witze oder machte die Lehrer nach. Aber später habe ich schon für gute Stimmung und Unterhaltung gesorgt. Da poppte ein Entertainment-Gen heraus. Das war aber auch dem Umstand geschuldet, dass wir teilweise sehr alte, verknöcherte, schmallippige Lehrer hatten. Da war es uns allen immer eine große Freude, zu versuchen, die mal zumindest zum Lächeln zu bringen. Meistens habe ich mich dieser Herausforderung gestellt, und das gelang mir dann auch. Es könnte sein, dass der eine oder andere leicht fossiliert wirkende Lehrer dafür gesorgt hat, dass ich später zum Entertainer geworden bin. Mein situationskomisches Talent wurde da tatsächlich aus der Taufe gehoben, ob die Lehrer das jetzt wollten oder nicht.
teleschau: Was hat das mit Ihren Noten gemacht?
Herbst: Meine Noten waren in Ordnung. Ich war nie ein Streber, aber auch nicht der Rüpel aus der letzten Bank. Das kann man auch ganz gut an meinem Abidurchschnittvon 2,3 ablesen: Ich immer ein bisschen über dem Durchschnitt, aber nie der totale Überflieger. Diesen Schnitt habe ich aber auch nur erhalten, weil neben mir vor allem bei den Klausuren die richtigen Klassenkameraden saßen (lacht). Da fallen mir sofort ein paar Namen ein, mit denen ich heute noch dankbar-freundschaftlich verbunden bin.
"Am liebsten mag ich die stromlinienunförmigen, tragikomischen Charaktere"
teleschau: Wie haben Sie die Dreharbeiten mit Schülern erlebt? Mit Kreide in der Hand, vor Ihnen ohrstöpselige Mädels mit dem Traum vom eigenen Fingernagelstudio?
Herbst: Das fühlte sich erst mal absurd an, überhaupt ein Stück Kreide in die Hand zu nehmen. Die Jugendlichen, die bei uns mitgespielt haben, sind natürlich alles Schauspieler. Mit denen konnte man super die Szenen proben und Verabredungen treffen. Film ist ja eben auch Verabredung. Unsere Aufgabe ist es, so zu spielen, dass man das Gefühl hat, der Moment entsteht gerade erst. Das haben die prima umgesetzt, es war wirklich eine Arbeit auf Augenhöhe. Übrigens war es eine echte Schule, der laufende Schulbetrieb war aus den Klassenzimmern auch zu hören. Wir mussten, wenn die Pausenglocke schrillte, immer kurz unterbrechen, und die Schülermassen vorbeilaufen lassen.
teleschau: Wo haben Sie gedreht?
Herbst: Die Schule, die so ein bisschen hogwartsmäßigaussieht, ist in Berlin. Dort haben wir die Innen- und die Außenaufnahmen gemacht. Der Garten, in dem meine Figur arbeiten muss, und das Haus seiner Frau stehen im Potsdamer Weberviertel. Gedreht haben wir vor über einem halben Jahr.
teleschau: Was muss Ihrer Ansicht nach ein guter Lehrer mitbringen? Ohne welche zwei, drei Eigenschaften geht es gar nicht?
Herbst: Der Lehrkörper sollte unbedingt Humor haben, ohne den macht er anderen und sich das Leben nur zu schwer. Er sollte sich nicht zu stramm an den Lehrplan halten. Und,so weit es eben geht und wie es im Film auch thematisiert wird, sollte er die Schülerschaft nicht als homogenes Kollektiv missverstehen. Da sitzen lauter einzelne Persönlichkeiten in ihrer Individualität, auf die er sich mit größtmöglicher Empathie einlassen sollte. Träumen darf man ja (lacht).
teleschau: Was denken Sie über den Lehrer, den Sie dargestellt haben?
Herbst: Ich mochte den irgendwie. Aber das ist natürlich auch eine Schauspielerkrankheit, weil man jede Rolle, die man spielt, am Ende ein bisschen mögen muss. Ich könnte mir vorstellen, dass Anthony Hopkins bei "Schweigen der Lämmer" seinen Hannibal Lecter auch gemocht hat. Der Mathematiker, den ich spiele, ist ein bisschen schief ins Leben gebaut und kämpft um die Liebe zu seiner Frau und seiner Tochter und versucht, sich wieder in deren Leben reinzuwanzen auf eine ziemlich unorthodoxe Weise, nämlich, in einer Schule Fuß zu fassen. Er hat sich über so viele Jahre selbst im Weg gestanden mit seinem Mathegenie und die beiden wichtigsten Menschen in seinem Leben nicht so richtig gesehen. Jetzt wird er zum Büßer und kasteit sich reumütig und sagt: "Gib mir bitte noch eine Chance, ich versuche alles besser zu machen." Mich hat das schon berührt. Das war sicherlich auch der dritte wesentliche Punkt, warum ich diese Rolle gerne angenommen habe, weil mir diese etwas stromlinienunförmigen, tragikomischen Charaktere eigentlich immer am besten gefallen.
teleschau: Bestimmt ist mit der Schülerschar etwas Lustiges oder Spannendes beim Drehen passiert, von dem Sie erzählen können?
Herbst: Hmmm... Nee (lacht). Wir hatten einige Coronafälle, aber das ist ja weder spannend noch lustig, das gehört fast zum Alltag. Wir mussten dann sehr wirbeln und neu besetzen und neu casten und dann stand die ganze Produktion kurz davor, gestoppt werden zu müssen. Aber wir schafften es dann doch irgendwie, uns da durchzulavieren. Das war ehrlicherweise unschön. Ich selbst habe übrigens noch kein Corona gehabt. Ich bin dreifach geimpft und habe Blutgruppe 0, und wenn man einer französischen Studie Glauben schenken darf, dann kriegen die, die Blutgruppe 0 haben, am allerwenigsten Corona.
teleschau: Sie haben unendlich viel Verschiedenes gemacht. Was schauen Sie sich selbst am liebsten an, wenn Sie Zeit haben, ins Kino zu gehen oder sich vor den Fernseher zu setzen?
Herbst: Das ist eine ganz bunte Mischung. Im Öffentlich-Rechtlichen gucke ich am liebsten Reportagen und Dokumentationen, aber im Kino habe ich zuletzt Zeit gefunden für Tom Cruise und "Maverick", so was gucke ich mir dann durchaus auch an. Was ich am allerwenigsten gucke, was man vielleicht nicht glauben sollte, sind Komödien oder Comedys. Da bin ich wie ein Metzger, der sich vegetarisch ernährt. Das finde ich auch eigenartig, aber es ist so. Vielleicht bin ich da ein bisschen übersättigt.