Warum in der LGBTQI+-Community in Libanon die Angst umgeht...
In Libanon sind Regenbogenflaggen, Drag-Shows und Symbole der LGBTQI-Communty ins Visier geraten - das ist ungewöhnlich in dem Land, das in der gesamten Region lange Zeit als relativ tolerant galt.
Politiker:innen, hohe Vertreter von Religionen und Bürgerwehrgruppen haben ihre Kampagne gegen LGBTQI+ verschärft, während Libanon von einer der schlimmsten Wirtschaftskrisen seit mehr als einem Jahrhundert erschüttert wird.
Die politischen Parteien sind so zerstritten, dass es seit dem Rücktritt von Michel Aoun im Oktober 2022 zehn Monate lang nicht gelungen ist, einen neuen Präsidenten zu wählen.
Nabih Berri, der libanesische Parlamentspräsident, forderte am Donnerstag, den 2. September, die politischen Parteien dazu auf, die Sackgasse zu durchbrechen und sich auf einen neuen Präsidenten zu einigen - und zwar bald.
Es gibt einen tiefgreifenden Streit darüber, wie die wirtschaftliche Krise beendet werden könnte.
In den letzten Wochen haben Vertreter veschiedener Gruppen jedoch offenbar beschlossen, sich zu vereinen und die LGBTQ+-Gemeinschaft zu bekämpfen.
In Anlehnung an die Kulturkämpfe in den USA haben Vertreter:innen aus Politik und Religion zunehmend vor Trends und Symbolen gewarnt, von denen sie glauben, dass sie LGBTQ+ normalisieren könnten.
Der Libanon gilt in der Regel als ein Ort relativer Toleranz im Nahen Osten.
Mehr Angriffe auf LGBTQI in Libanon
Mit der zunehmenden Einschränkung der Rede- und Meinungsfreiheit im ganzen Land haben sowohl die Rhetorik der Politiker als auch die Belästigungen durch Einzelpersonen zugenommen.
"Soldaten Gottes" gegen Drag-Show
In der vergangenen Woche haben Männern einer christlich-extremistischen Gruppe, die sich selbst "Soldaten Gottes" nennt, einen Club in Beirut verwüstet, in dem eine Drag-Show stattfand.
Die Gruppe filmte den Angriff. Auf den Handyvideos ist zu hören: "Dies ist der Schauplatz des Satans!" und "Fördern von Homosexualität ist nicht erlaubt! Das ist erst der Anfang!", die Gäste des Clubs wurden verprügelt und eingeschüchtert.
Und was sagen die Regierenden?
Libanesischen Medienberichten zufolge ist die Situation innerhalb der Regierung nicht viel besser.
Der Bildungsminister soll ein Spiel namens "Chutes and Ladders" verboten haben, das im Rahmen eines Projekts der US-amerikanischen Agentur für internationale Entwicklung (USAID) an Schulen verteilt worden war.
Das offensichtliche Problem? Das Spiel war mit einem Regenbogen verziert.
Im August forderte der Kulturminister Mohammed Murtada die Generaldirektion für Sicherheit auf, den äußerst beliebten Film "Barbie" zu verbieten, da dieser "Homosexualität und Transgender" propagiere.
Doch der Minister kam mit seiner Forderung nicht wirklich durch, und "Barbie" sollte im Libanon noch in diesem Monat gezeigt werden.
Auch das Innenministerium muss noch auf einen Antrag des islamischen Kulturzentrums reagieren, das die Staatsanwaltschaft aufgefordert hatte, Helem, die 2004 gegründete erste Organisation für LGBTQ+-Rechte im Libanon und in der arabischen Welt, zu schließen.
Helem vertritt die Auffassung, dass die politische Führung des Landes die gefährdete Gemeinschaft zum Sündenbock macht, um von den unzähligen Problemen des Libanon abzulenken.
Debatte über die Rechte der LGBTQI+-Community
Im Juni hat das Innenministerium Veranstaltungen im Zusammenhang mit dem Pride-Monat verboten, und es ist klar, dass die Anti-LGBTQ+-Kampagne sowohl von politischen Beamten als auch von religiösen Vertretern der zahlreichen christlichen und muslimischen Gruppen im Libanon angeführt wird.
Im Gegensatz zu einigen Nachbarländern gibt es im Libanon derzeit kein Gesetz, das gleichgeschlechtliche Handlungen direkt verbietet.
Artikel 534 des libanesischen Strafgesetzbuchs verbietet jedoch sexuelle Beziehungen, die "den Gesetzen der Natur widersprechen". Diese Formulierung wurde gelegentlich verwendet, um Homosexualität zu bestrafen, obwohl eine Reihe von Richtern seit langem darauf besteht, dass einvernehmliche gleichgeschlechtliche Beziehungen nicht unter das Gesetz fallen.
Der Artikel hat sich als äußerst umstritten erwiesen. Im Juli forderte eine kleine Gruppe von Abgeordneten seine Abschaffung. Der unabhängige Abgeordnete Mark Daou beschuldigte die militante schiitische Gruppe Hisbollah, die LGBTQI+ zu benutzen, um ein Ablenkungsmanöver durchzuführen und eine Gruppe innerhalb der Gesellschaft zu terrorisieren.
Das geistliche Oberhaupt der drusischen Minderheit im Libanon, Scheich Sami Abou el-Mouna, führte daraufhin die Gegenreaktion an.
Er behauptete, die Streichung des Artikels würde "das Laster und die Erlaubnis von Verbotenem" fördern.
Der Führer der Hisbollah, Hassan Nasrallah, hat sich ähnlich geäußert.
In einer kürzlich gehaltenen Rede forderte er die Todesstrafe für Menschen, die gleichgeschlechtliche Handlungen vollziehen, und bezeichnete Homosexualität als "eine klare und gegenwärtige Gefahr".
Gleichzeitig beschuldigte Nasrallah Nichtregierungsorganisationen, Bücher für Schulkinder zu verbreiten, die den LGBTQI+-"Lebensstil" fördern.
Der geschäftsführende Ministerpräsident Najib Mikati hat zunächst keine klare Position bezogen, erklärte aber vor kurzem gegenüber Reportern, dass "Einigkeit darüber besteht, an den moralischen libanesischen und familiären Werten festzuhalten".
Da jedoch hochrangige Politiker und religiöse Persönlichkeiten wie der sunnitische Geistliche Khaldoun Oraymet Homosexualität als "satanisch" und "ein sehr gefährliches Phänomen" bezeichnen, geht unter LGBTQI+-Personen die Angst um.
Die neue vergiftete Atmosphäre im Libanon kommt zu einer Zeit, in der in der gesamten Region immer härter gegen die Gemeinschaft vorgegangen wird.
Proteste gegen Koranverbrennungen in Europa
Im gesamten Nahen Osten haben Koranverbrennungen in Europa wütende Proteste ausgelöst, und viele Menschen haben als Vergeltung Regenbogenflaggen verbrannt.
In Ländern mit muslimischer Mehrheit wie dem Irak haben sich lokale religiöse und politische Führer dafür entschieden, die LGBTQ+-Gemeinschaft als einen großen Teil des Grundes für die offensichtlichen westlichen Angriffe auf islamische Werte darzustellen.
Im Irak treiben einige Gesetzgeber weiterhin einen Vorschlag voran, der eine Erweiterung des Prostitutionsgesetzes von 1988 vorsieht, einschließlich eines Paragraphen, der eine lebenslange Haftstrafe oder die Todesstrafe für Personen vorsieht, die gleichgeschlechtliche Beziehungen haben.