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Liverpool wird Peter Urbans persönliches ESC-Finale: "Man hört dann auf, wenn noch alles gut ist"

Er bekommt sein Finale von Liverpool: Peter Urban, mittlerweile 75 Jahre alte Musikjournalisten-Legende des NDR, moderiert 2023 seinen letzten ESC. Es ist sein 25. Einsatz. Die letzten beiden Jahre hatte der erfolgreiche Radio- und Podcastmacher wegen der Pandemie von einem Hamburger Studio die Finalwettbewerbe des ESC kommentiert. (Bild: NDR / Christian Spielmann)

Peter Urban, seit 25 Jahren die deutsche Stimme des ESC, macht Schluss. Die 75-jährige Musikjournalisten-Legende verabschiedet sich beim "Eurovision Song Contest 2023". Im Interview wagt er eine Prognose und erzählt von den größten Popstars der Erde, die er natürlich alle im Interview hatte.

25 Jahre, ein Drittel seines Lebens, verbrachte der promovierte Musikjournalist und charismatische NDR-Radiomann Peter Urban mit dem Eurovision Song Contest. Nun macht der 75-Jährige Schluss, zumindest als deutsche Stimme des ESC. Der "Eurovision Song Contest 2023" (Samstag, 13. Mai, 20.15 Uhr, Das Erste) wird die letzte Reise des Hamburgers zum größten europäischen Sangeswettstreit sein. Im Interview blickt er auf das Phänomen, dass es keinen typischen ESC-Sound mehr gibt, und ordnet die deutschen Chancen der Rockband Lord of the Lost ein. Doch Peter Urban ist viel mehr als der ESC. Gerade ist seine Autobiografie "On Air" erschienen, in der er sein ungewöhnliches Leben erzählt.

teleschau: Lord of the Lost werden Deutschland beim ESC in Liverpool vertreten. Laut Buchmacher haben sie keine Chance. Sehen Sie das genauso?

Peter Urban: Da bin ich mir nicht so sicher. Ich finde es zumindest positiv, dass wir mal mit einer anderen Sorte Musik beim ESC antreten. Mit hartem Rock haben es die Deutschen noch nie versucht. Man sollte die Szene jener Menschen, die etwas mit diesem Sound anfangen können, nicht unterschätzen. Sie ist viel größer, als man denkt. Auch visuell ist die Band mal was anderes - das auffällt. Und auffallen ist wichtig beim ESC.

teleschau: Sie meinen, auffallen ist wichtiger, als zu gefallen?

Urban: Die Aufgabe ist, in die Top-Ten-Wertungen möglichst vieler Länder zu kommen. Denn nur in den Top-Ten gibt es Punkte. Wer auffällt, wurde zumindest wahrgenommen. Und Rock-Bands wie Lordi oder Måneskin haben ja schon gezeigt, wie weit man mit einem härteren Sound kommen kann.

Seit zehn Jahren ist er als NDR-Mitarbeiter in Rente. Doch der 75-jährige Peter Urban verbringt nach wie vor die meiste Zeit seines Lebens mit Musik - sofern nicht gerade Fußball läuft. Die Hamburger Musiklegende moderiert noch immer eine wöchentliche, mehrstündige Radiosendung bei NDR 2 und produziert einen der erfolgreichsten Musik-Podcasts. (Bild: NDR/Niklas Kutsche)

"Ich sehe keine Ausnahme-Nummern, die alles wegfegen"

teleschau: Ist der Wettbewerb so spannend wir nie, weil es keinen ESC-Stil mehr gibt - also im Prinzip jede Art von Musik gewinnen kann?

Urban: Ja, das sehe ich so - und das war vor zehn oder 15 Jahren noch ganz anders. Früher konnte man in etwa voraussagen, welche Stile gut laufen würden. Da gab es die Ära der schwedischen Mainstream-Produktionen, vielleicht verbunden mit ein wenig Folklore oder R'n'B. Am wichtigsten war jedoch eine hymnische Melodie. Genau das gilt nicht mehr. Es kann eine James Bond-Ballade gewinnen wie von Conchita, es kann aber auch ein portugiesischer Jazz-Song von Salvador Sobral ganz vorne landen. Das Unwahrscheinlichste überhaupt! Damit hätte ich nie gerechnet, dass so etwas Erfolg haben kann.

teleschau: Wer wird 2023 gewinnen?

Urban: Ich sehe keine Ausnahme-Nummern, die alles wegfegen. Insofern wird es eine spannende Angelegenheit, denke ich. Ich selbst lag immer ziemlich daneben mit meinen Prognosen. Sowohl in die eine, als auch in die anderen Richtung. Sehr hoch wird der Finne Käärijä mit "Cha Cha Cha" gewettet. Das ist ziemlich schrill und geht auch in die Lord of the Lost-Richtung, da lassen Rammstein ein wenig grüßen. Ich denke, er wird sehr gut abschneiden.

teleschau: Welcher Song gefällt Ihnen persönlich am besten?

Urban: Der spanische Beitrag von Blanca Paloma. Das ist ein moderner Flamenco-Sound mit elektronischen Beats. Sehr aufregend und mitreißend, so wie man es auch von Rosalía kennt. Die Spanier haben da einen sehr eigenen Sound am Start, das ist ein richtiger Schatz. Ich finde es toll, dass sie jetzt auch mal darauf setzen. Wahrscheinlich ist es zu speziell für eine Top-fünf-Platzierung. Aber ich kann mich da wie immer komplett täuschen (lacht).

Peter Urban und seine Frau Laura bei einer Musical-Premiere 2018 in Hamburg. Das Paar hat zwei Kinder. (Bild: 2018 Getty Images/Christian Augustin)
Peter Urban und seine Frau Laura bei einer Musical-Premiere 2018 in Hamburg. Das Paar hat zwei Kinder. (Bild: 2018 Getty Images/Christian Augustin)

"Wann hört der alte Zausel endlich auf?"

teleschau: Der ESC in Liverpool wird Ihre letzte Reise als deutscher Kommentator sein. Passt der Ort für Sie?

Urban: Ja, passt wunderbar, denn ich war tatsächlich noch nie in Liverpool. Mindestens 30-mal bin ich nach London gereist, aber komischerweise nie in die Heimatstadt der Beatles, obwohl die mein Leben als Musikfan und Journalist stark geprägt haben. Es ist auch ein symbolischer Ort, weil mein erster ESC vor 25 Jahren in Dublin stattfand. Das ist ein Katzensprung von Liverpool. Einmal über die irische See rüber. Liverpool hat ganz enge Verbindungen mit Irland.

teleschau: Wie viel Wehmut schwingt mit, wenn Sie zum letzten Mal den ESC kommentieren?

Urban: Ich bin zu sehr mit der Vorbereitung beschäftigt. Deshalb ist noch kein Platz für Wehmut, aber die wird sicher irgendwann kommen. Andererseits bin ich froh, zum Abschied überhaupt noch mal irgendwo hinzufahren, denn die letzten beiden Jahre habe ich wegen Corona aus Hamburg kommentiert. Da saß ich in einem kleinen Kabuff. Nun werde ich es noch einmal genießen, aus meinem Kabinenfenster direkt in die Halle zu schauen und die ganze Atmosphäre aufzusaugen. Das hat mir schon sehr gefehlt. Aber klar, es wird auch ein Kloß im Hals sitzen, denn der ESC hat immerhin ein Drittel meines Lebens begleitet.

teleschau: Aber es war schon Ihre private Entscheidung, dass Sie nun aufhören?

Urban: Ja, mich hat niemand dazu gedrängt. Ich habe im letzten Jahr meine Autobiografie geschrieben und dabei ein dreiviertel Jahr über mein Leben nachgedacht. Im Frühjahr bin ich 75 geworden, und ich kommentiere meinen 25. ESC. Diese Zahlen sprechen für eine runde Sache. Außerdem hätte ich keine Lust auf Kommentare wie: "Wann hört der alte Zausel endlich auf?". Man hört dann auf, wenn noch alles gut ist. Das ist zumindest mein Weg. Aber die überwältigende Reaktion des Publikums nach der Verkündung meines Abschieds hat mich doch überrascht und sehr bewegt, so viele Leute schienen echt betroffen zu sein und sind fast so traurig wie ich selbst.

Peter Urban kommentiert den ESC seit 1997. Den Rekord hat er damit dennoch verpasst, denn ein Schweizer Kollege ist noch länger dabei: Jean-Marc Richard kommentiert den Musikwettbewerb seit 1991 für das französischsprachige Radio und Fernsehen der Eidgenossen. (Bild: NDR/Benjamin Hüllenkremer)
Peter Urban kommentiert den ESC seit 1997. Den Rekord hat er damit dennoch verpasst, denn ein Schweizer Kollege ist noch länger dabei: Jean-Marc Richard kommentiert den Musikwettbewerb seit 1991 für das französischsprachige Radio und Fernsehen der Eidgenossen. (Bild: NDR/Benjamin Hüllenkremer)

"Je später der Abend, desto persönlicher wird übrigens die Musik"

teleschau: Lesen Sie denn in den sozialen Medien mit, was die über Sie schreiben?

Urban: Manchmal, eher selten. Man darf manche Äußerungen nicht zu nah an sich ranlassen.

teleschau: Sie waren früher Chef des "Nachtclubs", der Musiksendung bei NDR Info. Aber wahrscheinlich wissen viele Menschen, die Sie nur über den ESC kennen, nicht, wie Sie heute leben ...

Urban: Ich bin 2013 beim NDR in Rente gegangen, aber seitdem mache ich weiterhin bei NDR 2 wöchentlich eine vierstündige Sendung am Donnerstag, die heißt jetzt seit einigen Jahren "Die Peter Urban Show". Da stelle ich neue Musik vor, und so eine lange Sendung will natürlich vorbereitet werden. Je später der Abend, desto persönlicher wird übrigens die Musik. Da spiele ich dann auch Jazz-Nummern und Singer-Songwriter. Außerdem nehme ich seit zwei Jahren einen der erfolgreichsten Musik-Podcasts in Deutschland auf: "Urban Pop", wir haben da jetzt schon 1,4 Millionen Zugriffe. Es gibt mittlerweile über 70 monothematische Folgen über bestimmte Künstler oder Gruppen angefüllt mit persönlichen Erinnerungen von mir.

teleschau: Sind Musik-Podcasts etwas, das Sie als alter Radiomann schätzen?

Urban: Ja, sehr. Sie sind im Prinzip die Fortsetzung des alten Radios, das wir früher gemacht haben. Ein Medium, in dem ein Host den Menschen seine Entdeckungen nahebringt. Diese persönliche Ebene haben wir beim klassischen Radio leider irgendwann verloren. Das Medium hat eindeutig manche Entwicklungen verschlafen. Die meisten Menschen erstellen sich ihre Playlists heute auf Spotify oder Apple Music, weil sie dort Vielfalt und jene Musik hören können, die sie interessiert. Mit dem Podcast kann man die Leute dann erreichen, wenn Sie Lust darauf haben - egal, ob das beim Joggen, in der Bahn oder irgendwann während einer schlaflosen Nacht ist.

Für Peter Urban, ESC-Veteran und die deutsche Stimme des Wettbewerbs seit 1997, schließt sich der Kreis. Nach seiner ersten Sendung aus Dublin 1997 reist er nun noch einmal ins von dort aus nahe gelegene Liverpool. Skurrilerweise eine Stadt, in der Popkenner Urban - trotz der Beatles - noch nie war. (Bild: NDR / Rolf Klatt)
Für Peter Urban, ESC-Veteran und die deutsche Stimme des Wettbewerbs seit 1997, schließt sich der Kreis. Nach seiner ersten Sendung aus Dublin 1997 reist er nun noch einmal ins von dort aus nahe gelegene Liverpool. Skurrilerweise eine Stadt, in der Popkenner Urban - trotz der Beatles - noch nie war. (Bild: NDR / Rolf Klatt)

"Es roch intensiv nach Massage-Öl, Kampfer oder so"

teleschau: Das heißt, wie viele Stunden pro Woche beschäftigen Sie sich noch mit Musik?

Urban: Sehr viele Stunden. Zu viele Stunden, würde meine Familie wahrscheinlich sagen. Außerdem könnte meine Frau noch sagen, dass Fußball meine andere Hauptbeschäftigung ist. Denn nebenbei muss ich leider noch jedes Fußballspiel schauen, das übertragen wird (lacht). Es sind schon zwei sehr zeitintensive Hobbys, die ich da habe.

teleschau: Gerade ist Ihre Autobiografie "On Air" erschienen, in der Sie unter anderem von Ihren Begegnungen mit den Größten des Pop berichten: Keith Richards, Elton John, David Bowie, Bruce Springsteen oder Joni Mitchell. Was war größer: Der Mensch oder die Musik?

Urban: Es war durchaus unterschiedlich. Auch mit solchen Menschen führt man letztendlich ein ganz normales Gespräch. Mal klüger, mal spannender, mal nicht so spannend. Mich haben diese Begegnungen nicht verändert, sie waren nur Teil einer Mission, die ich irgendwann gespürt habe. Am Anfang habe ich mich für Musik interessiert, weil ich selber dafür gebrannt habe. Da bin ich dann als Jugendlicher nach London gefahren, um mir Dinge anzusehen, die es hier noch nicht gab. Irgendwann kommt der Punkt, da möchte seine Leidenschaft teilen. Da waren dann Zeitschriften, für die ich geschrieben habe, und das Radio ein wichtiges Ding für mich. Ich wollte den Leuten erzählen, was ich über die Musik erfahren hatte. Das war ein immer ein wichtiger Antrieb für mich.

teleschau: Was waren die wichtigsten Begegnungen?

Urban: Ich erinnere mich an ein sehr offenes Gespräch mit Keith Richards, das unfassbare Charisma eines Harry Belafonte oder ein langes Interview mit Bruce Springsteen, das er Backstage mit freiem Oberkörper geführt hat, in einer Massagekabine, weil er sich irgendwie einen Muskel gezerrt hatte. Es war während seiner ersten Europatournee 1981, die Premiere war in Hamburg. Es roch intensiv nach Massage-Öl, Kampfer oder so. Ich habe besondere Momente erlebt, aber ich war dabei nie "star-struck", sondern relativ natürlich - was für die Qualität der Gespräche sicher von Vorteil war.

Porträtbild von Peter Urban zum Erscheinen seiner Autobiografie "On Air": Wohl kein anderer noch aktiver deutscher Journalist hatte so viele Musiklegenden wie Urban vor dem Mikrofon. Manchmal war der Mensch größer als die Musik, manchmal war es umgekehrt - sagt er. (Bild: Jan Northoff Photography)
Porträtbild von Peter Urban zum Erscheinen seiner Autobiografie "On Air": Wohl kein anderer noch aktiver deutscher Journalist hatte so viele Musiklegenden wie Urban vor dem Mikrofon. Manchmal war der Mensch größer als die Musik, manchmal war es umgekehrt - sagt er. (Bild: Jan Northoff Photography)

"Ich hatte mehrere misslungene Hüftoperationen"

teleschau: Gab es auch Enttäuschungen?

Urban: Sagen wir so: Es gab Begegnungen, die eher professionell abliefen. Billy Joel war nicht besonders sympathisch, aber wer weiß - vielleicht habe ich ihn einfach in einem schlechten Moment erwischt. David Bowie war sehr höflich, aber er wahrte auch stets eine professionelle Distanz. Joni Mitchell, von der ich ein Riesenfan bin, war eher leicht im Gespräch - außer, wenn sie von ihren Träumen erzählte. Da merkte man dann doch, was für eine Poetin sie ist. Das Gute ist: Früher hatte man einfach mehr Zeit. Da hatte man einfach mal eine Stunde für ein Interview. Paul Simon habe ich dreimal etwa für eine Stunde getroffen. Da bleibt dann auch etwas hängen, über die Jahre. Heute hat man dann mit solchen Leuten oft nur zehn Minuten - oder noch schlimmer: ein sogenanntes Roundtable-Gespräch mit vielen anderen Journalisten, die für völlig unterschiedliche Medien und mit unterschiedlichen Interessen arbeiten. Schrecklich!

teleschau: Was wünschen Sie sich noch für Ihr Leben? Gibt es etwas, das Sie gerne noch machen möchten?

Urban: Ich würde gerne mehr reisen, aber durch meine körperliche Behinderung - ich hatte mehrere misslungene Hüftoperationen - ist es etwas schwierig. Ich kann keine langen Strecken gehen und bin auf den Stock angewiesen. Durch das Schreiben des Buches habe ich zuletzt viel am Schreibtisch gesessen und muss wieder an meiner Fitness arbeiten. Andererseits war das Buch eine tolle Erfahrung. Der Verlag hatte mich danach gefragt, ich wäre selbst gar nicht auf die Idee gekommen. Aber es hat so viel Spaß gemacht, dass ich mir überlege, vielleicht noch weiteres Buch zu schreiben.

teleschau: Was liegt Ihnen denn noch auf der Seele?

Urban: Im aktuellen Buch war es das Aufwachsen in den 60-ern. In einer Kleinstadt, in einem katholischen Elternhaus. Damals gab es noch Generationskonflikte, die wir heute gar nicht mehr kennen. Es ging darum, da draußen eine neue Welt zu entdecken, die den Leuten zu Hause völlig fremd war. Das hat mich fasziniert. Wahrscheinlich dachten die Leute, die mich nach einem Buch gefragt haben, ich würde über den ESC schreiben. Aber ich habe dann doch Dinge erlebt, die für mich persönlich noch ein bisschen größer waren (lacht).