"Sie ist die Madonna Nordkoreas": So tickt Kim Jong-uns Schattenregentin
Kim Jong-un - und dann? Was hinter den Kulissen des nordkoreanischen Regimes geschieht, ist für viele Außenstehende ein Buch mit sieben Siegeln. Umso erstaunlicher ist der lautlose Aufstieg, den die Schwester des Diktators hinlegte. Eine ZDF-Dokumentation lüftet Geheimnisse um sie.
2011 staunte die Weltöffentlichkeit nicht schlecht. Das lag nicht nur an den Menschenmassen aus Nordkorea, die ob des Todes des bisherigen Machthabers Kim Jong-il in Tränen aufgelöst den Straßenrand des Trauermarsches säumten. Hinter dem trauernden Sohn Kim Jong-un, bekanntlich heute der Autokrat an Nordkoreas Politspitze, ließ auch eine junge Frau ihren Emotionen ihren Lauf: Kim Jong-uns Schwester Kim Yo-jong.
"Sie wurde viele Jahre hinter den Kulissen gehalten", bestätigt die einstige AP-Korrespondentin Jean Lee in der ZDF-Dokumentation "Kim Yo-jong - Nordkoreas heimliche Herrscherin" (ab sofort in der ZDFmediathek verfügbar). Filmemacher Pierre Haski nähert sich in seinem 45-minütigen Beitrag der nunmehr einflussreichen Größe in Nordkoreas Führungszirkel an.
Deren Biograf Professor Sung-Yoon Lee weiß zu berichten: "Sie genießt das volle Vertrauen ihres Bruders." Vor allem deshalb legte die 36-Jährige einen beachtlichen Aufstieg im nordkoreanischen Politikwesen hin. Lee geht sogar so weit, dass es in der Geschichte Nordkoreas "noch nie eine so mächtige Frau innerhalb der königlichen Familie" gegeben habe.
Scharfe Rhetorik lässt Wunschbild von "Ikone des nordkoreanischen Regimes" zerplatzen
Die noch immer fast kindlich wirkende Frau steht in der Hierarchie längst vor den stets brav im Akkord klatschenden Generälen. Zwar nahm, Professor Moon Chung-in, der einst Südkoreas Präsidenten Moon Jae-in beriet, Kim Yo-jong eher in der "Rolle der Assistentin" wahr. Das mag aber auch dem brüchigen diplomatischen Verhältnis zuzuschreiben sein, das die beiden Hälften Koreas seit jeher auszeichnet. Sein Eindruck von ihr aus politischen Treffen sei gewesen, dass sie "sehr höflich, sehr aufrichtig" aufgetreten sei.
Doch von dem einst blütenreinen Ruf Kim Yo-jongs ist heute nicht mehr viel übrig. Weil sie sich bei den Friedensgesprächen in den Jahren 2018 und 2019 hervorgetan hatte, sei sie in Südkorea als Star gefeiert worden, berichtet Professor Lee Chung-min von der Carnegie-Stiftung: "Viele dachten: Wow, sie ist die Madonna Nordkoreas." Doch der Eindruck von der "Ikone des nordkoreanischen Regimes" hat sich im Nachbarland verflüchtigt. Von der zwischenzeitlichen politischen Annäherung der beiden Länder ist heute nicht mehr viel übrig. Stattdessen gehören Atomtests und verschärfte Rhetorik wieder zum politischen Alltag.
Zu Letzterem trägt auch Kim Yo-jong bei, die ab 2019 ihren Kurs radikal änderte. Seither drohte sie dem Nachbarn wahlweise mit "Apokalypse und Zerstörung" oder ließ das koreanische Verbindungsbüro sprengen - inklusive eines großen medialen Boheis im Staatsfunk. "Eine Mischung aus Hoffnung und Enttäuschung" auf südkoreanischer Seite sei laut Lee Chung-min die Folge gewesen.
Bringt sich Kim Yo-jong als Nachfolgerin von Kim Jong-un in Stellung?
Das politische Gewicht, das Kim Yo-jong mittlerweile verkörpert, ist auch deshalb so bemerkenswert, weil sie damit eine bisher zutiefst patriarchalische Machtstruktur der Kim-Dynastie aufbricht. Dabei wird bei ihrem öffentlichen Auftritt nichts dem Zufall überlassen. "Die Nordkoreaner wollen sie furchterregend und stark zeigen", erklärt Jean Lee die Strategie, sieht aber aus nordkoreanischer Sicht noch Optimierungsbedarf: "Sie sieht immer noch aus wie eine junge Frau, die weiß, dass sie eine Rolle spielen muss."
Dem pflichtet in der Doku auch Kim Yo-jongs Biograf Sung-Yoon Lee bei. Über deren Auftritt bei den Olympischen Spielen 2018 in Pyeongchang urteilt er: "Sie sah aus, als wäre sie die Chefin. All das hat sie trainiert." Und noch einen zentralen Unterschied zwischen Kim Yo-jong und hochrangigen Generälen in Nordkorea arbeitet die ZDF-Doku heraus. "Sie hat keine Angst vor ihrem Bruder", schätzt Sung-Yoon Lee ein. Trotzdem erkenne sie, dass es "unpassend" wäre, bei einem öffentlichen Anlass "zu sprechen, es sei denn, er (Kim Yong-un) fordere sie dazu auf".
Die 36-Jährige scheint klug genug zu sein - so zumindest vermittelt es die Dokumentation -, auf ihren Moment zu warten. Über die gesundheitliche Verfassung ihres älteren Bruders halten sich hartnäckig Gerüchte. So könnte der Weg nach ganz oben für "Nordkoreas heimliche Herrscherin" schon früher als gedacht geebnet sein.