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Marie-Luise Marjan im Interview: "Eigentlich müssten die Kirchen gerade rappelvoll sein"

"Ich glaube, dass es den Verantwortlichen und dieser Gesellschaft immer mehr bewusst wird, wie sehr die 'Lindenstraße' fehlt, je länger sie nicht da ist", meint Marie-Luise Marjan, die als "Mutter Beimer" TV-Geschichte schrieb. Im Interview stellt die 82-Jährige aber klar, dass sie selbst keineswegs von einer Neuauflage träumt: "Ich bin dagegen, etwas Vergangenes aufzuwärmen. Aber es braucht etwas Ähnliches. Man muss etwas Neues erfinden." (Bild: 2021 Getty Images/Andreas Rentz)

Auch wenn sie mit der "Lindenstraße" abgeschlossen hat: Irgendwie ist Marie-Luise Marjan natürlich immer noch die Helga Beimer, die man aus der von 1985 bis 2020 ausgestrahlten Mutter aller realitätsnahen Fernsehserien kennt. Im Interview spricht die 82-Jährige nun über Gott und die Welt, was die "Lindenstraße" ja keinesfalls ausschließt.

Ach, die "Lindenstraße". Vielen fehlt sie immer noch. Gerade in Krisenzeiten darf man durchaus fragen: Was hätte die vor drei Jahren eingestellte Geißendörfer-Serie nicht alles zu Corona, Krieg und Inflation beigetragen? Und wer macht so etwas denn heute sonst noch - im Fiktionalen die gesellschaftspolitische Aktualität spiegeln? "Ich glaube, dass es den Verantwortlichen und dieser Gesellschaft immer mehr bewusst wird, wie sehr die 'Lindenstraße' fehlt, je länger sie nicht da ist", meint Marie-Luise Marjan, die als "Mutter Beimer" weißgott TV-Geschichte schrieb. Im Interview stellt die 82-Jährige aber auch klar, dass sie selbst keineswegs von einer Neuauflage träumt. "Ich bin dagegen, etwas Vergangenes aufzuwärmen. Aber es braucht etwas Ähnliches. Man muss etwas Neues erfinden", betont die Schauspielerin robust und herzlich wie eh und je. Sie suche lieber nach neuen Herausforderungen. Im "Inga Lindström"-Film "Hanna und das gute Leben" ist sie am Sonntag, 26. März, im ZDF in einer kleinen, aber feinen Rolle als lebenskluge Ratgeberin zu sehen, deren Leitsatz so geht: "Wer ewig auf der Suche ist, merkt womöglich nicht, dass er das Gute schon gefunden hat." Ein Satz, den Satz sich nach ihrem Befinden, jeder über die Tür hängen sollte.

teleschau: Frau Marjan, wie geht es Ihnen? - An einem Ihrer letzten Drehtage für die "Lindenstraße" hatten Sie sich ziemlich heftig verletzt!

Marie-Luise Marjan: Ja, ich holte mir einen Meniskusaußenbandriss - ausgerechnet nach einer Liebeszene. Ich bin über eine Bordsteinkante gestolpert und der Länge nach hingefallen. Owei, owei. Aber jetzt ist alles wieder gut - also fast.

teleschau: Wie brachten Sie den Dreh damals zu Ende?

Marjan: Wir mussten weiterdrehen - ein Schauspieler kennt keinen Schmerz und keine Krankheitstage, also wurde das durchgezogen. "Bei uns kommst Du noch mit dem Kopf unterm Arm zur Arbeit", lautet eine alte Theaterregel (lacht). Kurzum: Eigentlich sollte ich damals am Meniskus operiert werden, aber das ist nie geschehen. Ich hatte einfach nicht die Zeit. Jetzt geht es so einigermaßen. Dank Physiotherapie. Ich muss ja nicht mehr über Tische und Bänke springen.

teleschau: Wie sehr schlaucht Sie so ein Interview-Marathontag wie heute?

Marjan: Ich bin immer noch fröhlich. Natürlich strengt so ein Tag an - ich stell' mich auf jeden Menschen neu ein. Aber das bin ich gewöhnt: Für die "Lindenstraße" habe ich all die Jahre viel Pressearbeit gemacht. Und auch jetzt ist mir nie langweilig.

teleschau: Sie spielen auf Ihre Tournee an, die jetzt schon seit rund einem Jahr läuft?

Marjan: Genau. Meine Krimi-Abende "Mord mit Mutter'n" laufen gut, mein Programm dauert, inklusive Pause, in der ich mit den Besuchern ins Gespräch komme, Selfies mache und Autogramme gebe, immer gut zwei Stunden.

teleschau: Ein ordentliches Pensum für eine 82-Jährige ...

Marjan: Und ich habe noch viele Termine vor der Brust. Ich habe das Gefühl, dass sich die Leute aufrichtig freuen, wenn sie mich oder "Mutter Beimer" wiedersehen - und das trägt mich natürlich. Für mich heißt auf Tour sein ansonsten: Viel Bahn fahren! Neulich bei einer Vorstellung sagte ich, darüber könnte ich auch ein Buch schreiben und das wird ein Bestseller, worauf spontan Applaus aufbrandete. Immer schön, wenn man ein Gefühl der Gemeinsamkeit erzeugen kann. Also, Sie fragen, was mich anstrengt: Die Bahn!

Im "Inga Lindström"-Film "Hanna und das gute Leben" ist Marie-Luise Marjan (rechts, mit Sina Tkotsch) am Sonntag, 26. März, im ZDF in einer kleinen, aber feinen Rolle als lebenskluge Ratgeberin zu sehen, deren Leitsatz so geht: "Wer ewig auf der Suche ist, merkt womöglich nicht, dass er das Gute schon gefunden hat." Ein Satz, den Satz sich nach ihrem Befinden, jeder über die Tür hängen sollte. (Bild: ZDF / Ralf Wilschewski)

"Mein Rat: Bleiben Sie ein fröhlicher Mensch"

teleschau: Woher ziehen Sie die Kraft?

Marjan: Die kommt aus meiner Grundeinstellung zum Leben. Mein Rat: Bleiben Sie ein fröhlicher Mensch, bleiben Sie konzentriert bei der Arbeit, dann haben Sie immer Energie! Alles andere, sage ich mir, kommt dann vielleicht später - wenn ich mal alt bin (lacht).

teleschau: Werden Sie bei Ihren Auftritten immer auf die "Lindenstraße" angesprochen?

Marjan: Ja, aber als "Mutter Beimer" werde ich, im Gegensatz zu früheren Jahren, seltener wahrgenommen. Es ist eher so, dass mich die Leute so wie eine liebe Nachbarin ansprechen, wie jemanden, den sie schon sehr lange kennen - und den sie gerne mögen. Das hat so eine schöne Selbstverständlichkeit, die meisten sind vollkommen unbefangen, kommen ganz normal auf mich zu. Den Satz: "Wie schön, dass ich Sie sehe!" höre ich oft. Mich rührt das wirklich. Dann unterhalte ich mich mit den Menschen und weise darauf hin, dass es nicht nur "Lindenstraße" gibt für mich. Dass ich zum Beispiel offizielle Märchenbotschafterin der Brüder Grimm Festspiele Hanau bin, und ich weise auf mein soziales Engagement (Plan International, Unicef, Malteser, d. Red.) hin.

teleschau: Sie sind Märchenbotschafterin? Erzählen Sie!

Marjan: Gerne, denn diese Aufgaben nehme ich ernst. Wer kennt denn zum Besipiel heute noch Märchen? Gehen Sie mal in eine Buchhandlung und fragen nach wirklich guten Märchenbüchern ... Da fällt die Auswahl spärlich aus.

teleschau: Was meinen Sie?

Marjan: Zum Beispiel: Eltern drücken ihren Kindern lieber ein Handy in die Hand, mit welchem sie die Zeit verbringen, als dass sie ihnen aus einem Märchenbuch vorlesen. Welches Kind wird heute noch mit einem Märchen ins Bett geschickt! Ich finde das schade, nein: grundfalsch, weil es wichtig für die Kinder ist, und weil da gesellschaftlich etwas verloren geht. Generell tun uns diese neuen Kommunikationsformen nicht immer gut. Die Begegnung ist doch das, was uns Menschen ausmacht. Wir müssen uns sehen, spüren , Freude und Kummer miteinander teilen, das ist Leben, aber das kann man nicht nur mit einer Whatsapp.

"Schon früher bei der 'Lindenstraße' war ich immer gerne die Ratgeberin - für die jungen Kollegen, aber auch für manchen Zuschauer", verrät Marie-Luise Marjan (beim Deutschen Fernsehpreis 2021). (Bild: 2021 Getty Images/Andreas Rentz)
"Schon früher bei der 'Lindenstraße' war ich immer gerne die Ratgeberin - für die jungen Kollegen, aber auch für manchen Zuschauer", verrät Marie-Luise Marjan (beim Deutschen Fernsehpreis 2021). (Bild: 2021 Getty Images/Andreas Rentz)

"Staunen ist was Wichtiges - das habe ich mir aus der Kindheit bewahrt"

teleschau: Sie sind eine Frau, vor der jeder Respekt hat. Sind Sie stolz darauf?

Marjan: Stolz - das ist so ein Wort, das ich eigentlich nicht gerne benutze. Aber sprechen wir doch über das Staunen, das fängt auch mit "St" an. Staunen ist was Wichtiges - das habe ich mir aus der Kindheit bewahrt. Das Staunen sollten wir uns bis ins hohe Alter bewahren.

teleschau: Sie sind im vergangenen Jahr umgezogen. War es sehr belastend?

Marjan: Oh ja. Ich zog von Köln nach Bonn, weil mir die alte Wohnung wegen Eigenbedarfs gekündigt wurde. Belastend war aber weniger der Umstand der Veränderung als vielmehr der Akt des Umziehens selbst. Das war mit vielen Mühen verbunden. Ich musste alles alleine machen - wäre Bodo (Bodo Bressler, der langjährige Lebenspartner, d. Red.) bei mir gewesen, wäre es mir leichter gefallen. Wir waren vier Jahrzehnte beieinander. Der Abschied von ihm war furchtbar: Man denkt, man hat einen lieben Menschen an der Seite, mit dem man alt wird, und dann ist er ist einfach weg. Es ist wie eine Zäsur.

teleschau: Wie kamen Sie mit dem Verlust klar?

Marjan: Schwer. Aber es war wichtig, dass ich mir Raum für einen Neuanfang schaffen konnte - ohne zu vergessen.

teleschau: Sie sagten, wie viele andere Darsteller, immer, dass die "Lindenstraße" Ihre Familie ist. Gibt es die Familie noch?

Marjan: Es ist weniger geworden. Aber da gibt es vor allem diesen einen Fanclub, Jour Fixe aus Essen, der das Ganze immer wieder belebt. Er besucht Schauspieler, organisiert Treffen mit uns, und somit wird die "Lindenstraßen"-Familie nie ganz aufhören. Aber man darf nicht vergessen: Viele des Ensembles - und auch alle anderen aus der Produktion - hatten plötzlich existenzielle Sorgen, als das Ende verkündet wurde. Sie kämpfen um ihre Jobs, um jedes Engagement, da hat man nicht mehr so viel Zeit für die alten Kontakte. Aber wenn man sich mal trifft, ist es immer sehr herzlich .

teleschau: Haben Sie noch Sehnsucht nach dem "Lindenstraßen"-Set?

Marjan: Ach, nein. Es war eine tolle Zeit, ich habe das sehr gerne gemacht, es ist ein wichtiger Teil meines Lebens. Aber nun ist Schluss, und jetzt bin ich offen für andere Aufgaben.

teleschau: In dem "Inga Lindström"-Film "Hanna und das gute Leben" sind Sie jetzt in einer ganz besonderen Rolle zu sehen: Als ehemalige Lehrerin, die eine Linedance-Gruppe gegründet hat und lebenskluge Ratschläge gibt.

Marjan: Schon früher bei der "Lindenstraße" war ich immer gerne die Ratgeberin - für die jungen Kollegen, aber auch für manchen Zuschauer.

teleschau: Tatsächlich?

Marjan: Ja. Sie glauben nicht, wie viele junge Väter mich angeschrieben und um Rat gebeten haben, weil sie in der Erziehung ihres Kindes nicht weitergekommen sind. Immer so nach dem Motto: "Sie müssen das doch wissen!" Vor allem jene, die eher schwierige Teenager-Jungs hatten, wollten wissen, was zu tun ist, wenn ihr Kleiner mal wieder die Autoreifen beim Nachbarn beschädigt hatte ... - Nicht immer konnte ich meinen Beitrag zur Besserung leisten (lacht).

Zwei, die für die "Lindenstraße" stehen: Marie-Luise Marjan und der Produzent und Serienerfinder Hans W. Geißendörfer (2016 in Köln). (Bild: 2016 Getty Images/Andreas Rentz)
Zwei, die für die "Lindenstraße" stehen: Marie-Luise Marjan und der Produzent und Serienerfinder Hans W. Geißendörfer (2016 in Köln). (Bild: 2016 Getty Images/Andreas Rentz)

"Man muss etwas Neues erfinden"

teleschau: "Hanna und das gute Leben" heißt der Film. Wann ist ein Leben ein gutes Leben, Frau Marjan?

Marjan: Wenn man mit sich im Gleichgewicht ist - und wenn man in der Lage ist, das was man hat wertzuschätzen.

teleschau: Also geht es nicht um Materielles?

Marjan: Nein!

teleschau: Sagen Sie mit Ihren 82 Jahren ... Hatten Sie in gutes Leben?

Marjan: Ja! Ich hatte, nein: Ich habe ein gutes Leben. Es geht ja weiter. Natürlich gab es Schicksalsschläge - aber die habe ich überwunden, und sie waren immer auch mit manch einer Einsicht verbunden. Man muss lernen, zu akzeptieren. Und man muss seine Lehren aus dem Leben ziehen. Schicksalsschläge kann niemand ausradieren. Sie sind Teil unseres Lebens. Ich gehöre noch zur Kriegsgeneration, wurde nach meiner Geburt in ein Waisenhaus gegeben. Später im Krieg lagen die toten Soldaten vorm Haus, und meine Pflegemama hat gesagt: "Geh ma' runter, und tu die Plane drüber!" Ja, ich habe es früh erfahren: Auch der Tod gehört zum Leben - auch wenn dieses Bewusstsein in unserem Kulturkreis in den vergangenen Jahrzehnten verloren gegangen ist. Es ist wichtig, eine Einstellung zu den Dingen, die auf einen zukommen, zu haben. Mir hilft das. Für ein gutes Leben.

teleschau: Sie haben als junge Frau miterlebt, wie der Krieg nach Deutschland kam. Wie geht es Ihnen, wenn Sie heute die Bilder aus der Ukraine sehen?

Marjan: Gar nicht gut. Es ist furchtbar. Auch, weil es so irre nah ist. Die Ukraine ist nur ein paar Stunden entfernt. Wir leben zum Glück in Frieden, möge es so bleiben! Und möge endlich dieser schreckliche Krieg in der Ukraine aufhören und dieses Land wieder aufgebaut werden. Da kann man nur beten. Eigentlich müssten die Kirchen gerade jetzt rappelvoll sein.

teleschau: Wofür genau würden Sie beten?

Marjan: Für Putin - damit der Mann wieder zur Besinnung kommt. Wir haben nur diese eine Welt.

teleschau: Fehlt nicht die "Lindenstraße" gerade in genau solchen Krisenzeiten? - Man fragt sich, welche Geschichten den Geißendörfers zu diesem Krieg eingefallen wären ...

Marjan: Hundertprozentig. Man merkte schon in der Zeit von Corona, wie sehr die Serie diesem Land gefehlt hat. Was hätten wir nicht alles thematisiert - mit allen Konsequenzen. Wo sonst werden in einer halben Stunde vier relevante Erzählstränge gesponnen - immer mit dem aktuellen Zeitgeschehen versehen? Das ist einmalig, das hat es noch nie gegeben. Ich glaube, dass es den Verantwortlichen und dieser Gesellschaft immer mehr bewusst wird, wie sehr die "Lindenstraße" fehlt, je länger sie nicht da ist.

teleschau: Sollte Sie wiederbelebt werden?

Marjan: Nein, ich bin dagegen, etwas Vergangenes aufzuwärmen. Aber es braucht etwas Ähnliches. Man muss etwas Neues erfinden.

teleschau: Im Film geben Sie der Hauptfigur Hanna, gespielt von Sina Tkotsch den Rat, man sollte nicht immer nach Besserem streben, weil man sonst nicht bemerkt, dass man das Gute vielleicht schon gefunden hat.

Marjan: Ja, das ist wahr. Wer ewig auf der Suche ist, merkt womöglich nicht, dass er das Gute schon gefunden hat. Den Satz sollte sich jeder über die Tür hängen (lacht).

Einer der herzlichsten Menschen im TV-Geschäft überhaupt:  Marie-Luise Marjan, die in der "Lindenstraße" als "Mutter Beimer" Fernsehgeschichte schrieb, hat sich ihre gute Laune bewahrt. (Bild: 2015 Getty Images/Andreas Rentz)
Einer der herzlichsten Menschen im TV-Geschäft überhaupt: Marie-Luise Marjan, die in der "Lindenstraße" als "Mutter Beimer" Fernsehgeschichte schrieb, hat sich ihre gute Laune bewahrt. (Bild: 2015 Getty Images/Andreas Rentz)