"Mariupol ist keine Geisterstadt": ZDF-Reporter berichtet aus Mariupol - und erntet heftige Kritik

Für seine Schilderungen aus Mariupol erntete der ZDF-Korrespondent in Moskau, Armin Coerper, Kritik. (Bild: ZDF)
Für seine Schilderungen aus Mariupol erntete der ZDF-Korrespondent in Moskau, Armin Coerper, Kritik. (Bild: ZDF)

Kaum eine Stadt wurde im Ukraine-Krieg so sehr zum Symbol von Zerstörung wie Mariupol. Nun berichtete ein ZDF-Korrespondent aus der Hafenstadt: "Diese Stadt funktioniert." Für einige Schilderungen musste der Reporter aber in den sozialen Medien heftige Kritik einstecken.

Zu Beginn des Ukraine-Krieges avancierte Mariupol zum Sinnbild der Grausamkeit der russischen Invasion. Im Frühsommer bombardierte Russlands Armee die Hafenstadt unaufhörlich, bis der ukrainische Widerstand - etwa im Asow-Stahlwerk - gebrochen war. Doch wie ist heute die Lage in der Stadt, die seither unter russischer Besetzung steht? Im Rahmen von "zdf heute live" schilderte Moskau-Korrespondent Armin Coerper am Montag die Erfahrungen, die er gerade während eines Recherchebesuchs in der Stadt macht.

Vorab war dem Journalisten wichtig zu betonen, man sei unabhängig angereist, lediglich mit den Einreisepapieren von russischer Seite: "Ich möchte ganz deutlich machen, dass das nicht heißt, dass wir die Besatzung von Russland anerkennen." Trotz des Krieges und der Grausamkeiten von russischer Seite sei es laut Coerper wichtig, sich ein eigenes Bild zu machen. "Wir können uns hier frei bewegen. Wir werden nicht überwacht, zumindest bekomme ich das nicht mit", schilderte der Reporter. Trotzdem müsse klar sein, dass er nur "Momenteindrücke" beschreiben könne: "Mariupol ist kein Ort für einfache und klare Antworten."

Austausch mit Bevölkerung: ZDF-Korrespondent spricht von "keinen Vorbehalten"

"Etwa ein Drittel" der einst in Mariupol lebenden Menschen seien laut Coerper noch immer in der Stadt. Zwar sei durch den Krieg viel zerstört worden, doch es gebe einen Alltag mit geöffneten Geschäften und Restaurants, so der Reporter weiter: "Mariupol ist keine Geisterstadt. Man sieht hier Leute auf der Straße, die führen hier ihr Leben." Elektrizität sei genauso vorhanden wie eine Internetverbindung und fließendes Wasser, was den ZDF-Mann feststellen ließ: "Diese Stadt funktioniert."

Auf die Frage von Interviewerin Jessica Zahedi, ob die Menschen vor Ort bereit seien, mit Coerper zu sprechen, berichtete der von "keinen Vorbehalten". Gleichwohl betonte er: "Wenn es noch Menschen gibt, die pro-westlich sind, dann sind die sehr viel zurückhaltender und fürchten Repressalien." Außerdem wollte Zahedi wissen, "wie russisch" Mariupol sei,

"In Mariupol war und ist die vorherrschende Sprache russisch", entgegnete Armin Coerper. Abgesehen davon habe er mit einigen Schauspielern des in Mariupol zerstörten Theaters gesprochen, die geschildert hätten, dass sie "in den letzten Jahre nicht Russisch spielen" durften, so Coerper: "Jetzt spielen sie wieder Russisch." Unter anderem diese Tatsache halte Menschen laut des ZDF-Reporters in Mariupol, "wenn sie ihre Sprache weiter sprechen können".

Kritik an ZDF-Beitrag: Journalist unterstellt "glatte Lüge"

Genau deshalb brandete allerdings heftige Kritik am ZDF-Beitrag auf. Osteuropaexperte Sergej Sumlenny vom "European Resilience Initiative Center" erzürnte sich via X (ehemals Twitter): "Das ZDF erzählt im Ernst, dass vor russischer Besatzung es verboten war, russisch im Theater zu spielen, und deswegen seien viele Menschen froh, dass Russland die Stadt besetzt hat?" Aufgrund der Berichterstattung sprach Sumlenny von einer "bösen Parodie" und wetterte: "Wenn jemand ein Satire-Stück machen wollte, warum wir keinen ÖRR brauchen, hier haben wir ein brillantes Beispiel."

Sumlenny war nicht der Einzige, der den ZDF-Bericht aus Mariupol kritisierte. Auch Journalist Peter Althaus ("Berliner Kurier") merkte kritisch an, er habe wegen der Liveschalte "erhebliche Bauchschmerzen". Zwar habe Armin Coerper betont, sich als Journalist frei in Mariupol bewegen und mit den Menschen vor Ort sprechen zu dürfen, aber Althaus betonte via X: "Dennoch gibt es dort keine freien Gespräche und schon gar keine Kritik an Russland gegenüber einem ausländischen TV-Team. Menschen, die sich in den von Russland besetzten Gebieten der Ukraine offen als pro-ukrainisch zeigen, werden abgeholt und abtransportiert."

Außerdem setzt Althaus den Schilderungen Coerpers, dass Seniorinnen und Senioren in Mariupol von Russland Rente ausgezahlt bekämen, entgegen: "Es bekommt nur jemand eine Rente, der sich den russischen Pass aufzwingen lässt." Auch die deutsch-polnische Journalistin Olivia Kortas ("Die Zeit", FAZ) bezeichnete die ZDF-Schalte aus Mariupol als "absolutes No-Go".