Mark Waschke über seinen Solo-"Tatort": "Männer sollen den geraden Weg gehen"

Wer den Berliner "Tatort"-Ermittler besser kennenlernen will - was sich durchaus lohnt - sollte dessen Solofall "Das Opfer" nicht verpassen. Schauspieler Mark Waschke, der dem Berliner Team nach dem Ausstieg Meret Beckers erhalten bleibt, über einen sehr besonderen Film über Männerbilder, körperliche Leiden und einer äußerst reizvollen Geschichte. (Bild:  rbb / Stefan Erhard)

Sieben Jahre Berliner "Tatort" mit Meret Becker sind Geschichte. Ein Zweiteiler mit der neuen Partnerin Corinna Harfouch ist abgedreht. Die Zeit dazwischen füllte Mark Waschke mit einem atemberaubenden Solofall seines Ermittlers Robert Karow. Ein Gespräch über sexuelle Verwirrung und Körperhorror.

Nach dem Tod seiner Partnerin Nina Rubin (Meret Becker) ermittelt Mark Waschkes im Berliner "Tatort"-Krimi verbliebene Figur Robert Karow alleine und stellt sich dem sehr besonderen Fall "Tatort: Das Opfer" (Sonntag, 18. Dezember, 20.15 Uhr, Das Erste). Im Interview erzählt der 50-jährige Schauspieler von seiner Lust, bezüglich klassischer Männerbilder Verwirrung zu stiften, und er lässt die vergangenen sieben Jahre mit Meret Becker - in sehr ehrlichen Worten - Revue passieren. Auch über die Arbeit mit seiner neuen Berlin-Partnerin Corinna Harfouch erfährt man etwas, das man so nicht erwartet hätte.

teleschau: Wie kam es dazu, dass Sie so eine persönliche Geschichte wie "Das Opfer" als Solo-"Tatort" auf den Leib geschneidert bekommen haben? Hatte das nur mit dem Abgang von Meret Becker zu tun?

Mark Waschke: Ja und nein. Schon seit der Folge "Meta", für die Erol Yesilkaya das Drehbuch geschrieben hatte, war klar, dass er Lust hatte, noch mal für Robert Karow ein sehr persönliches Stück zu schreiben - und ihn als Mensch weiter auszuleuchten. Als Meret dann ging, passte es mit diesem Solo-Fall.

teleschau: Tatsächlich wird die Jugend, die Sexualität und Liebesfähigkeit von Karow so intensiv erzählt, wie in wohl keinem Film zuvor ...

Waschke: Es ging Erol unter anderem darum, warum der Karow gegenüber seinen Mitmenschen oft so ein Stinkstiefel ist. Grundsätzlich sind Erols Geschichten immer ein bisschen "larger than life", aber niemals komplett verrückt. Es hätte alles so passiert sein können - das ist eine seiner Regeln. Aber trotzdem sind es unfassbar clevere, toll konstruierte Geschichten.

Großstädtische "Tatort"-Figuren mit undefinierter Beziehung: 15 Filme lang rangen und stritten sie miteinander, dann wieder liebten sie sich: die Berliner Ermittler Robert Karow und Nina Rubin. Im Interview zu seinem Solofall "Das Opfer" zieht Schauspieler Mark Waschke eine Bilanz der besonderen Zusammenarbeit mit Meret Becker. (Bild: rbb / ARD / Hans Joachim Pfeiffer)

"Es geht nicht darum, zu sagen: 'Ich steh' auch auf Männer"

teleschau: Wie in "Meta" müssen Sie in "Das Opfer" körperlich wieder ziemlich leiden. Dieser "Tatort" ist nichts für zarte Gemüter. Was hat es mit dem Körperhorror auf sich?

Waschke: Wir wollen jetzt natürlich nicht spoilern, was dem Karow passiert, aber es geht Erol auch darum, dass Karow alte Wunden seines Leben anschaut und vielleicht schließen kann, er aber gleichzeitig neue Wunden bekommen muss. Wunden, die vielleicht sogar bleiben. Er freut sich beim Schreiben drauf, wie wir in den nächsten Filmen damit umgehen. Diesmal kriegt Karow unter anderem eine Tätowierung. Mal sehen, so denkt sich Erol wohl, ob die Maskenbildnerin die dann in den nächsten Filmen immer draufsetzen muss, wenn der Oberkörper mal frei ist (lacht). Ich mag diese Lust an der körperlichen Grenzüberschreitung ...

teleschau: Provokant für manche Zuschauer ist der "Tatort" auch deshalb, weil er von gleich mehreren Figuren mit unklarer oder sagen wir vielseitiger sexueller Orientierung erzählt. Gefiel Ihnen das?

Waschke: Ja, es gefällt mir. Aber vor allem deshalb, weil diese Fragen der sexuellen Orientierung gar nicht im Vordergrund der Geschichte stehen. Natürlich spielt Liebe in "Das Opfer" eine große Rolle, aber die geschlechtliche Orientierung wird eher beiläufig erzählt. Es gab sogar frühere Drehbuchfassungen, da war eine der Männerfiguren eine Frau. Dann kamen wir darauf, dass es ja auch ein Mann sein könnte. Was ich anstrengend finde, ist, wenn man extra was ins Drehbuch schreibt oder inszeniert, nur um irgendeinem vermeintlichen Establishment, einem bürgerlichen Fernsehpublikum etwas um die Ohren zu hauen.

teleschau: Und mit der sexuellen Verwirrung, die im Film dargestellt wird, arbeitet man dagegen subtil?

Waschke: Mir gefällt der Begriff "Verwirrung" ganz gut. Männer haben oft Probleme damit, dorthin zu schauen, wo es wehtut. Es fällt ihnen immer noch schwer, damit umzugehen und es auszuhalten. Das hat mit unserer Prägung zu tun, unserer sozialen Konditionierung. Männer sollen immer noch wissen müssen, wo es lang geht. Sie sollen den geraden Weg gehen. Ein Erzählstrang im Film beschäftigt sich mit dem Boss eines Verbrecher-Clans. Das sind Familienstrukturen, die uns allen gut vertraut sind. Einerseits geben sie dir Halt, eine tolle Geborgenheit. Eine wirkliche Verletzlichkeit und Sensibilität kann dort aber nicht gelebt und gezeigt werden. Dabei geht es noch nicht mal darum, zu sagen: "Ich steh' auch auf Männer." Oder: "Ich stehe eigentlich nur auf Männer". Es geht vielmehr darum, überhaupt nur mit Gefühlen umzugehen.

Robert Karow (Mark Waschke) muss im "Tatort: Das Opfer" nach dem Tod seiner Kollegin Nina Rubin (Meret Becker) alleine ran, bevor er demnächst mit Corinna Harfouch einen neuen Co-Star bekommt. Der Solo-Fall erzählt von einem erschossenen verdeckten Ermittler, den Karow in seiner Jugend gut kannte. Bald wandelt er auf den Spuren von dessen Leben. (Bild:  rbb / Stefan Erhard)

"Wir haben sehr großstädtische, moderne Figuren kreiert."

teleschau: Also ist "Das Opfer" eigentlich ein Film über moderne, verletzliche Männer - verpackt in eine knallharte Gangstergeschichte?

Waschke: Es ist beides: ein toller, knallharter Genrefilm und eine solche Studie. Als das Drehbuch fertig war, dachten wir zuerst: "Wow, das ist ja ganz schön viel auf einmal." Aber wenn man - und Frau - sich so im eigenen Umfeld umsehen, bleibt die Feststellung: "That's life, Baby!".

teleschau: Blicken wir doch mal über den Solofall hinaus. Zunächst mal in die Vergangenheit. Welches Fazit ziehen Sie über die sieben Jahre Berliner "Tatort" mit Meret Becker und Ihnen?

Waschke: Ich war durchaus geschockt, als Meret sagte, dass sie nicht mehr weitermachen will. Dieses Trauma ist mittlerweile ein bisschen verarbeitet. Aber ich war lange untröstlich, weil ich die Zusammenarbeit und die Ergebnisse fantastisch fand. Wir hatten am Anfang ein paar Probleme mit dem horizontalen Erzählen. Damals, es war 2014 oder 2015, waren die Streamingdienste am Boomen. Und wir wollten auch so etwas machen wie eine Serie. Die Geschichten unserer ersten vier Fälle hingen alle zusammen. Aber das funktionierte nicht so richtig, weil man keine Serie erzählen und zwischen den Folgen ein halbes Jahr pausieren kann. Als wir uns davon gelöst hatten, wurde es richtig gut. "Tatorte" sind Filme, keine Serien.

teleschau: Das heißt, Sie waren selbst unzufrieden mit Ihren ersten vier "Tatorten" mit Meret Becker?

Waschke: Nein, das nicht, aber wir waren alle ein bisschen überfordert. Doch es war eine fruchtbare Auseinandersetzung. Durch die Reibung bei den ersten vier Filmen haben wir uns gefunden und weiterentwickelt. Die darauf folgenden Filme entfalteten dann eine ganz andere Wucht. Am glücklichsten bin ich darüber, was Meret und ich da miteinander geschaffen haben. Wir haben sehr großstädtische, moderne Figuren kreiert. Sehr reif, sehr "mature".

2015 bildeten sie das damals neue Ermittlergespann an der Spree: Meret Becker als Kommissarin Nina Rubin und Mark Waschke als Kommissar Robert Karow. Auch wenn es anfangs erzählerisch etwas zäh anlief: In 15 gemeinsamen Filmen erschufen die beiden zwei faszinierende Metropolen-Ermittler und große "Tatort"-Momente. (Bild: RBB / Thomas Ernst)
2015 bildeten sie das damals neue Ermittlergespann an der Spree: Meret Becker als Kommissarin Nina Rubin und Mark Waschke als Kommissar Robert Karow. Auch wenn es anfangs erzählerisch etwas zäh anlief: In 15 gemeinsamen Filmen erschufen die beiden zwei faszinierende Metropolen-Ermittler und große "Tatort"-Momente. (Bild: RBB / Thomas Ernst)

"Vielleicht ist es wirklich am besten aufzuhören, wenn es am schönsten ist"

teleschau: Waren Karow und Rubin in ihrem "verrückten" Lifestyle und Liebesleben denn realistisch - oder auch eher "larger than life"?

Waschke: Wir haben uns nie auf die Karte geschrieben, dass wir zwei potenziell polyamouröse, bisexuelle Figuren erzählen wollen, die ihr Leben halbwegs auf die Reihe kriegen, aber dann doch immer wieder hier und da scheitern. Das ist so passiert und entstanden. Es hatte tatsächlich viel damit zu tun, was Meret und ich selbst reinbrachten. Wir haben oft noch am Script mitgearbeitet und den "Sound" der Charaktere maßgeblich mitgeprägt. Einige sehr spezielle Zeilen, die Zerbrechlichkeit und gleichzeitig Wucht hatten, sind Meret und mir auch oft erst beim Drehen eingefallen.

teleschau: Bei Karow und Rubin war vieles immer maximal undefiniert. Nicht nur ihr Beziehungsstatus, aber daran kann man es wohl festmachen ...

Waschke: Die vielen Richtungen, in die das bei uns immer ging, auch in unserer eigenen Beziehung, das ist ja eigentlich nicht überhöht, sondern sehr realistisch. Ich komme vom Theater, ich schätze Brecht sehr und die Dialektik. Wahrheit fließt immer in mindestens zwei Richtungen und das oft im gleichen Moment. Rückblickend würde ich sagen: Wir haben versucht, dialektische "Tatorte" zu machen. Da bin ich sehr froh drüber, und ich bedaure auch, dass es in so in dieser Form vorbei ist.

teleschau: Warum hat Meret Becker eigentlich aufgehört?

Waschke: Das müssen Sie Meret fragen. Vielleicht ist es wirklich am besten aufzuhören, wenn es am schönsten ist. Ich kann ihre Gründe ja durchaus nachvollziehen. Sie wollte in ihrem Leben noch andere Sachen machen, auch ihre Soloprojekte und eigenen Filme. Auch war sie mit der Figur Nina Rubin, glaube ich, durch.

teleschau: Hatten Sie überlegt, ebenfalls hinzuschmeißen?

Waschke: Meret hatte es ja anderthalb oder zwei Jahre vorher angekündigt, dass sie aussteigen würde. Damals dachte ich: "Was weiß ich denn, was ich in zwei Jahren machen will?" Ewig wollte ich es auch nicht fortführen, doch die Zusammenarbeit mit der Redaktion läuft sehr gut. Auf jeden Fall will ich das erst mal noch eine Weile weitermachen. Für mich ist das Ganze auch noch nicht auserzählt. Und es ist auch einfach toll, diese Figur in der Stadt Berlin zu erzählen, wo ich selbst lebe. Ich arbeite hier, kann meine Familie sehen und komme dort an Orte, die ich noch nie gesehen habe, die mir selbst etwas bedeuten oder die mir sehr vertraut sind.

Robert Karow (Mark Waschke) muss in dieser Folge nicht nur seelisch, sondern auch körperlich leiden. Leider darf man nicht verraten, was ihm alles passiert, denn das wäre ein ziemlicher Spoiler ... (Bild:  rbb / Stefan Erhard)
Robert Karow (Mark Waschke) muss in dieser Folge nicht nur seelisch, sondern auch körperlich leiden. Leider darf man nicht verraten, was ihm alles passiert, denn das wäre ein ziemlicher Spoiler ... (Bild: rbb / Stefan Erhard)

"Es gibt eine Menge Altersdiskriminierung in unserer Gesellschaft"

teleschau: Dazu gibt es mit Corinna Harfouch eine neue Partnerin, deren schauspielerische Klasse unbestritten ist. Sie haben mit ihr auch schon einen "Tatort"-Zweiteiler abgedreht ...

Waschke: Ja, Robert Thalheim, mit dem ich für Netflix "Billion Dollar Code" gemacht habe, hat da Regie geführt. Mit Corinna ist es eine ganz andere Zusammenarbeit als mit Meret. Doch es ist mit ihr auf eine andere Art mindestens genauso spannend. Ich finde, es ist eine super Idee, eine ältere Ermittlerin ins Boot zu holen. Eine, die eigentlich schon in Rente gehen könnte und dann noch mal was ganz Neues anfangen will. Bei der ganzen Gender-Race-Class-Diskussion fällt ja eine Gruppe gern mal unter den Tisch, das sind die Älteren. Es gibt eine Menge Altersdiskriminierung in unserer Gesellschaft. Da nun eine Kommissarin ins Rennen zu schicken, die es noch mal richtig wissen will - sowohl die Figur als auch Corinna - finde ich einen großartigen Ansatz für unseren "Tatort".

teleschau: Wie kam es denn dazu, dass Sie nun gleich einen Zweiteiler gemacht haben? Und wann wird er laufen?

Waschke: Wir waren bereits länger an einem Stoff dran - schon in der Zeit mit Meret - bei dem es um die Verflechtung von Polizeiapparat und rechtsradikalen Strukturen geht. Irgendwie wussten wir immer, dass wir für diesen Stoff mehr Raum brauchen würden. Einen "Tatort"-Zweiteiler bekommt man aber nur selten im Programm unter. Hier hat es nun geklappt, und wir versuchen, ihn an zwei aufeinanderfolgenden Tagen zu senden. Wenn ich wissen will, wie es weitergeht, schalte ich doch lieber morgen wieder ein und will nicht noch eine Woche warten. Der Zweiteiler passt natürlich auch gut, um Corinnas Figur einzuführen. So haben wir beide mehr Raum, aufeinanderzuprallen und uns kennenzulernen. Wir haben über 50 Tage gemeinsam gedreht. Danach weiß man, ob es miteinander klappt - und das tut es (lacht).

Abschied im Mai 2022: Mit dem "Tatort: Das Mädchen, das allein nach Haus' geht" machte Meret Becker beim "Tatort" Schluss. Ihren Partner Mark Waschke, der die Zusammenarbeit liebte, machte das schwer zu schaffen. Er dachte sogar über einen eigenen "Ausstieg" nach. (Bild: rbb / ARD / Hans Joachim Pfeiffer)
Abschied im Mai 2022: Mit dem "Tatort: Das Mädchen, das allein nach Haus' geht" machte Meret Becker beim "Tatort" Schluss. Ihren Partner Mark Waschke, der die Zusammenarbeit liebte, machte das schwer zu schaffen. Er dachte sogar über einen eigenen "Ausstieg" nach. (Bild: rbb / ARD / Hans Joachim Pfeiffer)