Mark Waschkes Solo-"Tatort": War das der "diverseste" Krimi des Jahres?

Robert Karow (Mark Waschke) musste in seiner Solo-Folge
Robert Karow (Mark Waschke) musste in seiner Solo-Folge

Beim Solo-"Tatort" mit Robert Karow (Mark Waschke) musste man bis zum Ende dranbleiben, um den tollen Twist zu kapieren. Wer früher ausstieg: selbst schuld! Dabei präsentierte der Berliner Krimi drastischen Körperhorror und die wohl freizügigste sexuelle Orientierung in einem Primetime-Krimi 2022.

"Diversity Wins" stand auf dem Flieger, der die deutsche Fußball-Nationalmannschaft nach Katar und - recht bald - wieder zurückbeförderte. Während der Aufruf für Menschen- und Liebesrechte während des FIFA-Turniers verhalllte oder verhöhnt wurde, funktionierte die sexuelle Diversität im Berliner "Tatort: Das Opfer" sehr viel besser.

Gleich drei Hauptfiguren, inklusive Kommissar, stellten sich bei der Liebe als "geschlechtsflexibel" heraus, was - und darin liegt die eigentliche Leistung des Films - nicht groß problematisiert wurde. Doch wie denkt Hauptdarsteller Mark Waschke über seinen cleveren Solo-Fall mit Körperhorror und sexuellen Verwirrspielen? Woher kennt man eigentlich den toten Freund? Und welches Ehepaar im wahren Leben stand hier gemeinsam vor der Kamera?

Robert Karow lernt ein
Robert Karow lernt ein

Worum ging es?

In einem Waldstück wird die Leiche Maik Balthasars (Andreas Pietschmann) gefunden. Der war nicht nur verdeckter Ermittler, wie Robert Karow (Mark Waschke) an diesem Tag erfährt, sondern auch sein enger Jugendfreund. Staatsanwältin Sara Taghavi (Jasmin Tabatabai) freut sich über Fingerabdrücke an der Tatwaffe, denn es sind Beweise gegen Clan-Chef Mesut Günes (Sahin Eryilmaz), den Taghavi schon lange jagt.

Karow findet Ungereimtheiten, ermittelt weiter und wird von der Staatsanwältin alsbald in den Urlaub geschickt. Den löst der eigenwillige Ermittler so, dass er heimlich in die leer stehende Tarnwohnung seines verstorbenen Freundes Maik einzieht, seinen Look annimmt (Jogginghosen!) und auch ein bisschen dessen Leben. Über seine Recherchen lernt Karow die Prostituierte Camilla (Kim Riedle) kennen, die auch Maik irgendwie nahestand.

Gut gecastet, die beiden jugendlichen Darsteller von Robert Karow (Jona Levin Nicolai, rechts) und seinem damaligen Freund Maik (Laurids Schürmann)! Doch nicht nur optisch passen die beiden, auch darstellerisch machen sie ihre Sache ausgezeichnet. (Bild:  rbb / Stefan Erhard)
Gut gecastet, die beiden jugendlichen Darsteller von Robert Karow (Jona Levin Nicolai, rechts) und seinem damaligen Freund Maik (Laurids Schürmann)! Doch nicht nur optisch passen die beiden, auch darstellerisch machen sie ihre Sache ausgezeichnet. (Bild: rbb / Stefan Erhard)

Worum ging es wirklich?

Es war ziemlich ausgefuchst, was der mit dem Grimmepreis ausgezeichnete Drehbuchautor und Spezialist für ungewöhnlich clevere Thriller-Plots, Erol Yeliskaya ("Tatort: Parasomnia", "Tatort: Meta"), mit den Zuschauern anstellte. Da gab es die alte Psychokrimi-Idee, dass einer das Leben des anderen übernimmt. Wobei sich immer die Frage stellt: Wird diese Person gerade verrückt? Was ist real und was eingebildet? So etwas kann in einem ziemlich bekloppten Mummenschanz-Grusel enden. Tut es hier aber nicht.

Stattdessen vollzieht "Das Opfer" mehrere kühne, aber geglückte Wendungen: vom Psychokrimi zur Prostitutions-Milieustudie, vom Körperhorror-Thriller zum ungewöhnlichen Liebesfilm. Und am Ende folgt die Auflösung eines episch großartigen (Krimi)plots. Das alles in 90 Minuten hinzubekommen, trotzdem spannend zu bleiben und die Stimmung zu "halten", ist echte TV-Kunst.

Rückblick auf das Leben des Mordopfers Maik Balthasar (Andreas Pietschmann), einem verdeckten Ermittler. Nach seiner Zwangsbeurlaubung zieht Robert Karow in die Wohnung des toten Jugendfreundes und erkundet dessen Leben.
 (Bild:  rbb / Stefan Erhard)
Rückblick auf das Leben des Mordopfers Maik Balthasar (Andreas Pietschmann), einem verdeckten Ermittler. Nach seiner Zwangsbeurlaubung zieht Robert Karow in die Wohnung des toten Jugendfreundes und erkundet dessen Leben. (Bild: rbb / Stefan Erhard)

Warum war dies der "diverseste" Krimi des Jahres?

Mit Kommissar Robert Karow, seinem Jugendfreund Maik und vor allem Gangsterboss Mesut Günes (Sahin Eryilmaz) gab es gleich drei männliche Hauptfiguren, die homosexuell oder bisexuell orientiert waren. Karow-Schauspieler Mark Waschke, dessen Figur zuvor schon mit Frauen und Männern "verkehrte", gehört selbst zu jenen 185 Erstunterzeichnern aus dem deutschen Schauspielgeschäft, die sich im Februar 2021 mit der Initiative #ActOut als der LGBT-Community zugehörig outeten.

Auch die Figur des toten Maik (Andreas Pietschmann), die in Rückblenden erzählt wurde, und die des harten Gangsterbosses Mesut hatten "klassische" Familien, liebten jedoch (auch) Männer. "Ja, es gefällt mir", sagt Mark Waschke im Interview zur LGBT-Figurenfülle in seinem neuen Fall. "Aber vor allem deshalb, weil diese Fragen der sexuellen Orientierung gar nicht im Vordergrund der Geschichte stehen. Natürlich spielt Liebe in 'Das Opfer' eine große Rolle, aber die geschlechtliche Orientierung wird eher beiläufig erzählt."

Staatsanwältin Sara Taghavi (Jasmin Tabatabai) möchte schon lange den Gangster Mesut Günes überführen. Nun scheint es zu klappen: Seine Fingerabdrücke befinden sich auf einer Mordwaffe. 
 (Bild:  rbb / Stefan Erhard)
Staatsanwältin Sara Taghavi (Jasmin Tabatabai) möchte schon lange den Gangster Mesut Günes überführen. Nun scheint es zu klappen: Seine Fingerabdrücke befinden sich auf einer Mordwaffe. (Bild: rbb / Stefan Erhard)

Wer waren die starken Nebenfiguren?

Robert Karows tote Jugendliebe Maik Balthasar wurde in Rückblenden von "1899"-Star Andreas Pietschmann verkörpert, der hier - im Gegensatz zum Netflix-Mystery-Hit - seine natürliche Haarfarbe blond tragen darf. Pietschmann ist privat mit Jasmin Tabatabai verheiratet, die im "Tatort: Das Opfer" die Staatsanwältin spielt. Im wahren Leben hat das Paar zwei gemeinsame Kinder, plus eines aus einer früheren Beziehung der Schauspielerin mit iranischen Wurzeln.

Auffällig stark ist auch die von ihrem Leben gepeinigte Prostituierte Camilla, gespielt von Kim Riedle. Die mittlerweile 40-jährige aus Starnberg galt früher eher als schauspielerisches Leichtgewicht. Unter anderem verkörperte sie ein Model in der Soap "Verbotene Liebe" und bevölkerte so manchen Vorabend-Krimi. Mit diesem Part dürfte sich die Schauspielerin für weitere höhere Aufgaben empfohlen haben. Bleibt noch Sahin Eryilmaz, der den Gangsterboss Günes verkörperte und dessen Gesicht einem aus ähnlichem Gangster-Zusammenhang irgendwie bekannt vorkam. Nicht von ungefähr! In den frühen Hamburger "Tatort"-Krimis mit Til Schweiger spielte der Kölner Mime Ismal Astan vom "Astan Clan", der Schweigers Figur das Leben über mehrere Folgen schwer machte.

Die Tränen des Gangsterbosses: Karow besucht Clanchef Mesut Günes (Sahin Eryilmaz) im Gefängnis. Er wird beschuldigt, Maik erschossen zu haben. (Bild:  rbb / Stefan Erhard)
Die Tränen des Gangsterbosses: Karow besucht Clanchef Mesut Günes (Sahin Eryilmaz) im Gefängnis. Er wird beschuldigt, Maik erschossen zu haben. (Bild: rbb / Stefan Erhard)

Wer spielte Robert Karow in jung?

Nicht immer gelingt der Versuch, jüngere (oder ältere) Versionen bekannter Schauspielerinnen und Schauspieler gut zu besetzen. Anders im "Tatort: Das Opfer", in dem die Teenager-Versionen von Robert Karow und seinem Freund Maik Balthasar so toll gecastet waren, als hätte man tatsächlich die 15-jährige Version von Mark Waschke und Andreas Pietschmann vor Augen. Zudem richtig gut gespielt wurden die beiden Jungen von Jona Levin Nicolai (Waschke) und Laurids Schürmann (Pietschmann). Den jungen Berliner Jona Levin Nicolai sah man bereits in den Serien "Tierärztin Dr. Mertens", "Bettys Diagnose" und zuletzt in der ARD-MIniserie "Das Netz: Spiel an Abgrund". Laurids Schürmann, ebenfalls aus Berlin und im November bereits 20 Jahre alt geworden, sah man zuletzt in den Serien "Das Boot" und "Dr. Ballouz".

Robert Karow (Mark Waschke) muss im
Robert Karow (Mark Waschke) muss im

Wie geht es beim Berliner "Tatort" weiter?

Nach dem Tod seiner Partnerin Nina Rubin (Meret Becker), bleibt Robert Karow kein Solo-Ermittler. Neue Partnerin im Berliner Revier wird Corinna Harfouch als Susanne Bonard. "Nichts als die Wahrheit", ihr Einstiegs-Zweiteiler, wurde bereits im Sommer 2022 abgedreht und soll im Frühjahr oder Frühsommer 2023 gesendet werden. Darin geht es um Verbindungen zwischen Polizei und rechten Gruppen.

Robert Karow (Mark Waschke) zieht in Maiks Ermittlerwohnung im Wedding ein und wandelt auf dessen (Alltags)spuren. Findet er heraus, was passiert ist? (Bild:  rbb / Stefan Erhard)
Robert Karow (Mark Waschke) zieht in Maiks Ermittlerwohnung im Wedding ein und wandelt auf dessen (Alltags)spuren. Findet er heraus, was passiert ist? (Bild: rbb / Stefan Erhard)

Über seine neue Partnerin Corinna Harfouch sagt Mark Waschke im Interview: "Es ist eine super Idee, eine ältere Ermittlerin ins Boot zu holen. Eine, die eigentlich schon in Rente gehen könnte und dann noch mal was ganz Neues anfangen will. Bei der ganzen Gender-Race-Class-Diskussion fällt ja eine Gruppe gern mal unter den Tisch, das sind die Älteren. Es gibt eine Menge Altersdiskriminierung in unserer Gesellschaft." Nun eine Kommissarin ins Rennen zu schicken, so Waschke, die es noch mal richtig wissen wolle - "sowohl die Figur als auch Corinna" - findet der 50-jährige Schauspieler, der vom Ausstieg seiner Langzeit-Partnerin Meret Becker lange geschockt war, "einen großartigen Ansatz für unseren 'Tatort".

Video: Abschied von "Tatort"-Kommissar Lamprecht