Als Markus Lanz nach Zäunen fragt, fährt Jens Spahn aus der Haut: "Es ist doch normaler Grenzschutz!"
Deutschland steht vor immer größeren migrationspolitischen Herausforderungen. Bei "Markus Lanz" erklärte Jens Spahn am Donnerstagabend, wie die Asylproblematik seiner Ansicht nach entschärft werden könnte. Beim Stichwort "Abschottung" kam es zum Streit mit dem Gastgeber.
In Deutschland suchen Jahr für Jahr Hunderttausende Menschen Zuflucht und Asyl. Den Ländern und Kommunen fehlt aber nicht nur das Geld, sondern es fehle auch der Platz und die Fachkräfte, um der großen Zahl der Geflüchteten gerecht zu werden. Beim aktuellen Flüchtlingsgipfel im Kanzleramt wurden zwar erste Schritte beschlossen, doch wie es langfristig zu einer besseren Steuerung der Migration innerhalb Europas kommen kann, bleibt weiterhin fraglich.
Kein Wunder also, dass Markus Lanz am Donnerstagabend mit seinen Gästen konkret werden wollte. Vor allem CDU-Politiker Jens Spahn blieb im ZDF-Talk starke Aussagen nicht schuldig - aber er blieb auch nicht unwidersprochen.
"Es kommt mir vor, als würden wir heute über die Dinge diskutieren, über die wir schon seit Jahren diskutieren", sagte Spahn zu Beginn der Sendung. Migrationsforscher Gerald Knaus stellte derweil klar: "In diesem Jahr waren rund 80 Prozent der Geflüchteten in Deutschland aus der Ukraine." Dem entgegnete Publizist Wolfram Weimer: "Natürlich ist die Aufnahme so vieler Ukrainer ein gewaltiger Vorgang und eine gewaltige humanitäre Leistung. Ich finde, wir können stolz darauf sein."
Doch ZDF-Moderator Markus Lanz machte deutlich, dass die Problematik der Flüchtlingskrise nicht mit dem Krieg in der Ukraine vermengt werden dürfe, denn: "Wir werden in diesem Jahr bei 300.000 Asylsuchenden landen - ohne Ukrainer." Darauf reagierte Wolfram Weimer mit sorgenvollem Blick und den Worten: "Ich glaube, dass die Flüchtlingslage wirklich dramatisch ist im Moment. Es fühlt sich wieder nach 2015 an. Ich verstehe, dass die Bundesregierung jetzt sagt, wir müssen ernsthaft agieren."
Jens Spahn: "Es gibt geradezu einen Sog hinein nach Deutschland"
Mit Blick auf den aktuellen Flüchtlingsgipfel kritisierte CDU-Mann Jens Spahn am Donnerstagabend : "Ich beginne, den Glauben daran zu verlieren, dass die europäische Lösung gelingt." Er plädierte für Asylverfahren an den EU-Außengrenzen und erklärte: "Wir sollten an der EU-Außengrenze die Kontrolle haben, wer warum Europa betritt." Zu einem solchen Verfahren sei es bisher nie gekommen.
"Es gibt geradezu einen Sog hinein nach Deutschland", stellte Spahn fest, dass man "attraktiv als Zielland" sei. "Das hat mit den sozialen Leistungen zu tun, die es hier gibt." Solange es jedoch keine europäische Einheit in der Frage gebe, werde es immer eine unfaire Verteilung geben."
"Sind sie für Zäune?", wollte es Markus Lanz an anderer Stelle ganz konkret wissen. Die Antwort des CDU-Politikers: "An den Stellen, wo es Sinn macht, ja." Als Lanz hierzu das Stichwort "Abschottung" einfiel, fuhr sein Gegenüber aus der Haut: "Es ist doch normaler Grenzschutz!", beharrte Jens Spahn aufgebracht. "Wenn es nach der Rechtslage geht, dürfte eigentlich gar niemand in Deutschland ankommen."
Wolfram Weimer befand dazu: "Die Stimmung ist deutlich gekippt. Die illegale Zuwanderung müssen wir bekämpfen. Ich glaube aber nicht, dass Grenzzäune, sondern nur Abkommen mit Drittstaaten zu einer Besserung führen können."
"Aber lasst es uns doch künftig mit Kontingenten machen!"
Eine andere Sichtweise brachte Nahost-Expertin Kristin Helberg ein: "Es geht darum, dass wir anfangen, Migration zu gestalten, um sie in unserem Interesse auch in diesem Land praktikabel zu machen. Wir müssen einen Weg für legale Einwanderung bieten." Spahn fügte nickend hinzu: "Es geht nicht darum, keinen aufzunehmen. Aber wir sehen in den Städten und Gemeinden, dass es Grenzen gibt."
Aktuell, so Spahn weiter, entschieden Schleuser und Schlepper darüber, wer Europa betete. "Vielleicht müssen wir darüber nachdenken, ob die Flüchtlingskonventionen so noch funktionieren. Die stammen nämlich aus den 50er-Jahren, und die Frage ist, macht das im Jahr 2023 so noch mit diesen individuellen Verfahren Sinn?"
Es gebe "kaum ein Land auf der Welt und in Europa", das so viel tue wie Deutschland, bekräftigte der frühere Gesundheitsminister. "Aber lasst es uns doch künftig mit Kontingenten machen! Es geht nicht darum, nicht der Verantwortung gerecht zu werden. Aber wenn man es einfach so weiter passieren lässt, wird es einen Punkt geben, an dem die Bevölkerung so nicht mehr weitermachen will."
Wolfram Weimer: "Frage der Migration ist der große AfD-Elefant im Raum"
Auf die politische Stimmung im Land blickte auch Publizist Wolfram Weimer mit Sorge. Er warnte: "Wir haben in einem Jahr Europa-Wahlen, und es sieht gerade danach aus, dass die AfD in Deutschland die zweitstärkste Partei wird. Diese Frage der Migration ist der große AfD-Elefant im Raum." Weimer verglich die Lage mit der Reform des Steuerrechts. "Wir reden darüber seit 20 Jahren, und ich fürchte, dass es auch in diesem Prozess keine Änderung geben wird. Das macht mich sorgenvoll. Es braucht jetzt einen Kanzler, der agiert!"
Während Gerald Knaus über eine europäische "Theaterpolitik" wetterte, kritisierte Kristin Helberg den Vorschlag von Spahn, nur eine gewisse Anzahl an Flüchtlingen aufzunehmen: "Ein Mensch, der individuell verfolgt wird, hat immer ein Recht auf Asyl. Da können Sie nicht sagen, wir nehmen nur 20.000 Asylbewerber!" Zugleich bekräftigte sie: "Illegale Migration darf sich nicht mehr lohnen. Was wir bislang versucht haben, ist, uns mit Gewalt und Zäunen abzuschotten. Das erhöht nur die Raten der Toten und das stärkt das Geschäftsmodell der Schlepper. Die EU-Abschottungspolitik hat nur zu mehr Toten geführt. Wir müssen legale Wege für Einwanderung schaffen, aber die gibt es zum jetzigen Zeitpunkt nicht."
Jens Spahn wollte dies nicht unkommentiert lassen und erklärte mit ruhiger Stimme: "Wir werden uns eingestehen müssen, dass wir nicht jeden in die EU kommen lassen können. Wir müssen bereit sein, zu sagen: Hier geht's nicht für jeden weiter. Wir werden nicht jeden Bewerber nehmen können."