Mehmet Kurtuluş im Interview: "Heimat ist der Ort, an dem man lacht"

"Wir sind Herdentiere und gemeinschaftlich unterwegs, aber ich glaube, dass jeder mal einen Moment braucht, um alleine aus der Tür zu gehen. Dafür sind die Berge perfekt", findet Schauspieler Mehmet Kurtuluş (hier bei der Premiere zur "Der junge Häuptling", 2022). (Bild: 2022 Getty Images/Robin Marchant)
"Wir sind Herdentiere und gemeinschaftlich unterwegs, aber ich glaube, dass jeder mal einen Moment braucht, um alleine aus der Tür zu gehen. Dafür sind die Berge perfekt", findet Schauspieler Mehmet Kurtuluş (hier bei der Premiere zur "Der junge Häuptling", 2022). (Bild: 2022 Getty Images/Robin Marchant)

Für Mehmet Kurtuluş ist Rassismus kein Fremdwort. Im Krimi-Zweiteiler "Mordach - Tod in den Bergen" spielt er einen Mann, der mit blankem Fremdenhass konfrontiert wird. Ein Gespräch über Heimat und die Angst vor dem Unbekannten.

Da sitzt er, tiefenentspannt und mit einem Lächeln, das nicht im Mindesten aufgesetzt wirkt, obwohl er heute ein Interview nach dem anderen hat. Mehmet Kurtuluş, derzeit bei Dreharbeiten in Marokko, hat es sich vor seinem mobilen Endgerät gemütlich gemacht und beantwortet jede Frage freundlich und so tiefgründig, als hörte er sie zum ersten Mal - was, wie er sagt, oft sogar stimmt. Der populäre 51-jährige Schauspieler mit türkischen Wurzeln, der als "Tatort"-Kommissar ebenso bekannt ist wie für große Kinorollen ("Honig im Kopf"), die Netflix-Serie "Into the Night" oder auch die Nibelungenfestspiele in Worms ist nun als Gejagter und Jäger gleichzeitig zu sehen: In dem in Südtirol gedrehten Zweiteiler "Mordach - Mord in den Bergen" (Donnerstag, 27., und Samstag, 29. April, 20.15 Uhr, im Ersten, beide Teile ab 20. April in der ARD Mediathek) gibt er Cuma Ozan, einen Ermittler, den alle für den Täter halten. Im Gespräch berichtet er von seinen eigenen Erfahrungen mit Rassissmus, von Sprache als Schlüssel und warum er beinahe Meeresbiologe geworden wäre.

Für den viel beschäftigten Schauspieler Mehmet Kurtuluş sind die Berge ein wunderbarer Ort, um den Kopf freizukriegen. (Bild: ARD Degeto / UFA Fiction / Roland Suso Richter)
Für den viel beschäftigten Schauspieler Mehmet Kurtuluş sind die Berge ein wunderbarer Ort, um den Kopf freizukriegen. (Bild: ARD Degeto / UFA Fiction / Roland Suso Richter)

teleschau: Herr Kurtuluş, Sie sagen, dass Sie Rollen nicht suchen, sondern dass Sie gern von ihnen gefunden würden. Wie war es bei "Mordach - Mord in den Bergen"?

Mehmet Kurtuluş (lacht): ): Genauso. Mir hat die Geschichte sehr gefallen, vor allem auch die etwas anfänglich undurchsichtige Figur des Ermittlers, den ich spiele. Und dann natürlich die Landschaft. Wenn man an extremen Orten dreht, Berge oder Wüste, dann spielt die Umgebung eine ganz große Rolle. Die hat dann ein Wörtchen mitzureden als dritte Hauptrolle sozusagen.

teleschau: Stichwort Berge: Wie stehen Sie zu Bergen?

Mehmet Kurtuluş: Ich liebe die Berge. Wir sind Herdentiere und gemeinschaftlich unterwegs, aber ich glaube, dass jeder mal einen Moment braucht, um alleine aus der Tür zu gehen. Dafür sind die Berge perfekt. Sie sind ein großes Energiefeld und nehmen Ihnen Kraft, wenn Sie den Berg hochlaufen, aber sie geben auch wahnsinnig viel Kraft. Ich bin gerne in den Bergen.

teleschau: Sie sind im niedersächsischen Salzgitter aufgewachsen, wo Berge buchstäblich nicht naheliegend sind. Woher kommt die Begeisterung für die Berge?

Mehmet Kurtuluş: Interessanterweise bin ich in der Türkei an dem großen Berg Murat, 2.600 Meter hoch, aufgewachsen. Dann hat es mich nach Hamburg an die Waterkant verschlagen. Möglicherweise liebe ich die Berge deswegen, weil ich als Kind schon die Bergluft geschnuppert habe. Wirklich bewusst ist es mir nicht, aber so könnte ich es mir erklären.

teleschau: Im Film geht es um Rassismus und Beleidigungen. Ihr Ermittler steht im Zentrum der Anfeindungen. Inwiefern sehen Sie sich im privaten Umfeld mit Rassismus konfrontiert?

Mehmet Kurtuluş: Rassismus habe ich nur sehr bedingt erlebt, jedenfalls was den offenen in mein Gesicht betrifft. Da kenne ich ganz andere Beispiele. Ich glaube sehr an den Satz: Wie man in den Wald reinruft, so schallt es heraus. Viele Menschen sind xenophob, sie haben Angst vor dem Fremden, in den meisten Fällen grundlos. Dann gilt es, die Angst zurückfahren, die Neugier hervorholen und den Menschen einfach so erleben, wie er ist. Ich persönlich kenne das Konzept Rassismus bis heute nicht in meinem Leben, Es ist natürlich eine Perspektivfrage.

teleschau: Inwiefern spielt die Perspektive eine Rolle?

Mehmet Kurtuluş: Die Perspektive ist das Entscheidende. Für Kriminalhauptkommissar Cuma Ozan heißt es in der Tat vom Regen in die Traufe. Für ihn erweist sich der Wechsel von Frankfurt nach Mordach als ein Wechsel von einem Mafia-Clan zum nächsten. Schaut man von Mordach auf meine Figur, wird man den Ermittler verfluchen, blickt man dagegen aus meiner Perspektive auf das Dorf, wird man vermutlich Mordach verfluchen. Eine der großen Leistungen im Leben ist doch, einen Perspektivwechsel vornehmen zu können. Die Geschichte erzählt über die Ermittlungsarbeit hinaus von Ressentiments und Xenophobie - das heizt die Stimmung in Mordach erst richtig auf. Jeder Figur ist nun gezwungen, Flagge zu zeigen. Das zeigt auch die Zerrissenheit jeder Figur, die durchaus auch nur Mitläufer in dieser vergifteten Atmosphäre sein kann und wieder nicht machen darf, was sie eigentlich will. Übrigens habe ich das Prinzip Rassismus noch nie verstanden, bei mir erzeugt das "Fremde" eher Neugier statt Angst. Außerdem gibt es nicht viele Rassen, sondern nur eine - und das ist die Menschenrasse.

Für seine Rolle als Kommissar Cenk Batu im Hamburger "Tatort" musste Mehmet Kurtuluş auch rassisstische Bemerkungen hinnehmen. (Bild: HR / NDR / Sandra Hoever)
Für seine Rolle als Kommissar Cenk Batu im Hamburger "Tatort" musste Mehmet Kurtuluş auch rassisstische Bemerkungen hinnehmen. (Bild: HR / NDR / Sandra Hoever)

Sprache als Schlüssel zu den Menschen

teleschau: Wenn doch mal ein Spruch kommt, wie gehen Sie damit um?

Mehmet Kurtuluş: Das kommt auf die Situation an. Grundsätzlich nehme ich es ruhig, weil ich erkenne, woher es kommt und wie ich es einzuschätzen habe. Ich bringe dem Gegenüber meist mehr Verständnis entgegen, als es verdient, in der Hoffnung, dass es merkt, dass es mit seinem Konzept auf dem Holzweg ist.

teleschau: Wie war es in der Hinsicht, in einer norddeutschen Kleinstadt aufzuwachsen? Gab es eine türkische Community?

Mehmet Kurtuluş: Es ist eine Region mit sehr viel Schwerindustrie und einem hohen Migrationsanteil. Wir waren beispielsweise nur vier türkischstämmige Kinder auf dem Gymnasium, an dem ich Abitur gemacht habe. Meine Mama erzählte mir ... - Ich kam irgendwann aus dem Kindergarten, und es bedrückte mich, dass ich mit den Kindern da nicht richtig spielen konnte, weil sie wohl eine andere Sprache sprächen, könne das sein? Und sie sagte, ja, Mehmet, wir sind jetzt in Deutschland, du musst jetzt diese Sprache lernen. Und es war für mich Mittel zum Zweck, ein Schlüssel zu den Menschen, aber keine Barriere.

teleschau: Inwiefern ist die Integration Ihrer Meinung nach gelungen?

Mehmet Kurtuluş: Wir sind auf dem Weg - es ist work in progress. Die ganze Gesellschaft muss sich aber mitentwickeln. Ich habe sehr viel Rassismus während des "Tatort" kennen gelernt, das Internet war nicht nett zu mir. - Für mich war die entscheidende Frage nicht: Wer erscheint auf dem Bildschirm? Sondern: Liefert er mir 90 Minuten spannende Unterhaltung? Wenn ja, dann geht das so in Ordnung.

teleschau: Welche türkischen Traditionen leben Sie heute? Sie erzählten mal von Wasserpfeifen ...

Mehmet Kurtuluş: Wirklich? Das war wohl ein spontaner Einfall (lacht). Ich habe nicht die Gewohnheit, Wasserpfeife zu rauchen, darum ist sie auch nicht präsent in meinem Leben. Aber wenn Sie mir eine hinstellen, rauche ich gerne mit. Die Frage nach türkischen Traditionen ist wirklich interessant. Am Ende des Tages sehe ich mich doch auf der Erde beheimatet und fühle mich dem Humanismus und der einen Menschenrasse zugehörig, sonst niemandem. Alles, was ich in meinem Alltag tue, ist eine Mischung aus allem. Möglicherweise haben Sie einen italienischen Pullover an, eine französische Hose und amerikanische Schuhe. Das heißt, Ihr Geschmack, sich zu kleiden, interpretiert sich so vielfältig und in meinem Leben ist es genau so. Es gibt Momente, da pflege ich deutsche Traditionen, dann wieder türkische oder mexikanische oder sogar japanische. Es ist ein Ganzes. Es wird nichts unterschieden.

teleschau: Ist Religion ein Thema für Sie?

Mehmet Kurtuluş: Religion per se nicht, Glaube ja. Da unterscheide ich. Ich glaube sehr fest, aber ich fühle mich nicht einer Religion zugehörig - ihren Statuten, Umgehensweisen, Traditionen.

teleschau: Sie sind immer wieder umgezogen. Wo fühlen Sie sich am meisten zu Hause? Oder können Sie sich vorstellen, irgendwo auf dem Globus einen Anker zu werfen?

Mehmet Kurtuluş: Das kann ich mir sehr gut vorstellen, denn Heimat ist für mich der Ort, wo man lacht. Deswegen ist er nicht unbedingt ortsbezogen. Selbstverständlich bin ich in Deutschland aufgewachsen und fühle mich sehr wohl hier, lebe hier, aber trotzdem kann ich es mir vorstellen - nichts ist für die Ewigkeit. Meiner Meinung nach geht dadurch nichts verloren im Leben, es kommt nur etwas Neues dazu.

Mit Filmpartnerin Sarah Bauerett spielt Mehmet Kurtuluş in "Mordach - Tod in den Bergen"  (Donnerstag, 27., und Samstag, 29. April, 20.15 Uhr, im Ersten, beide Teile ab 20. April in der ARD Mediathek) ein ziemlich ungleiches Ermittlerpaar. (Bild: ARD Degeto / UFA Fiction / Roland Suso Richter)
Mit Filmpartnerin Sarah Bauerett spielt Mehmet Kurtuluş in "Mordach - Tod in den Bergen" (Donnerstag, 27., und Samstag, 29. April, 20.15 Uhr, im Ersten, beide Teile ab 20. April in der ARD Mediathek) ein ziemlich ungleiches Ermittlerpaar. (Bild: ARD Degeto / UFA Fiction / Roland Suso Richter)

Wenn kein Schauspiel, dann Meeresbiologie

teleschau: Sie sprechen etliche Sprachen. In welchen davon haben Sie schon gedreht, und inwiefern unterscheidet sich die Arbeit je nach Sprache?

Mehmet Kurtuluş: Ich habe in Deutschland angefangen, als Schauspieler zu arbeiten, dann wurde die Türkei aufmerksam. Zuletzt habe ich "Into the Night" auf Französisch gedreht und arbeite in Marokko für eine amerikanische Produktion auf Englisch. Mir macht es wahnsinnig Spaß! Sprache ist ein Mittel zum Zweck, die uns nicht hemmen oder negativ beeinflussen sollte. Es sind dieselben Emotionen, man drückt sie nur mit einem anderen Sound aus, das heißt es gibt da keinen so großen Unterschied was die unmittelbare Arbeit angeht. Wenn du hier am Set bist, sprichst du verschiedene Sprachen - durchgehend. Englisch ist die Drehsprache, Französisch sprichst du sowieso mit dem marokkanischen Team, dann gibt es noch so viele weitere Sprachen die gesprochen werden.

teleschau: Welche Sprache sprechen Sie mit Ihren Kindern?

Mehmet Kurtuluş: Wir sprechen ein Mischmasch, aber schon überwiegend Deutsch, weil sie sich darin am besten ausdrücken können.

teleschau: Was wären Sie geworden, wenn Sie nicht Schauspieler geworden wären?

Mehmet Kurtuluş: Möglicherweise Meeresbiologe. Man bekommt ja mit der Geburt viele Talente geschenkt. Die Aufgabe besteht darin, diese Talente zu finden und sie dann zum Blühen zu bringen. Natur ist ein großes Thema in meinem Leben, besonders Tiere. Zu verdanken habe ich dies unserem tollen Bio-Lehrer in der Schule, der nicht nur vor der Tafel stand, sondern der uns morgens um halb fünf in den Wald bestellt hat, um mit der aufkommenden Lichtintensität den Beginn des Gesangs der verschiedenen Vogelarten zu analysieren. Das war Biologie zum Anfassen. Mein Lehrer hat es geschafft, mich dafür so zu begeistern, dass ich dachte, okay, ich probiere es mit dem Schauspiel, aber Meeresbiologie hatte ich im Gepäck.

Rassisstischen Beleidigungen begegnet Mehmet Kurtuluş (links), hier mit David Zimmerschied (Mitte), ruhig und mit "mehr Verständnis, als das Gegenüber verdient".
 (Bild: ARD Degeto / UFA Fiction / Roland Suso Richter)
Rassisstischen Beleidigungen begegnet Mehmet Kurtuluş (links), hier mit David Zimmerschied (Mitte), ruhig und mit "mehr Verständnis, als das Gegenüber verdient". (Bild: ARD Degeto / UFA Fiction / Roland Suso Richter)

"Produzieren ergänzt sich wunderbar mit dem Spielen"

teleschau: Was haben Sie für Zukunftspläne?

Mehmet Kurtuluş: Es wird dann wohl doch wieder ein Film werden (lacht). Ich muss mich bald wieder über ein Drehbuch beugen und versuchen, es so gut wie möglich zum Leben zu erwecken und zu interpretieren. Ich vermute, es wird eine Kinoarbeit Ende Mai sein, aber natürlich darf ich noch nicht mehr verraten.

teleschau: Sie arbeiten auch als Produzent. Gibt es Ambitionen, Drehbücher zu schreiben oder Regie zu führen?

Mehmet Kurtuluş: Ehrlich gesagt nicht. Drehbuch und Regie kommen für mich nicht in Frage, aber ich kann Ideen liefern. Das Produzieren ergänzt sich wunderbar mit dem Spielen. Man kann Konzepte und Projekte ins Leben rufen, um dann die Arbeit vor der Kamera fortzusetzen. Schauspieler und Produzent, das harmoniert in meinen Augen sehr.

teleschau: Gibt es eine Traumrolle, die Sie gern mal spielen würden?

Mehmet Kurtuluş: Das, was ich gerade spiele, wäre eine Antwort auf Ihre Frage, ich darf nur leider nichts darüber erzählen. Aber es gibt viele Figuren, die ich mir vorstellen könnte. Bei einer Stoffauswahl frage ich mich immer: Ist es das wert, erzählt zu werden? Wenn es sich um eine historische Figur handelt, erübrigt sich die Frage meist. Es gibt tolle historische oder auch zeitgenössische Personen und ihre Geschichten, die es wert sind, im Film erzählt zu werden. Film erlaubt natürlich auch, in die Zukunft zu schauen und bebildert diese kinoreif. Erzählt durch Figuren, deren wahre Identitäten nur schwer zu interpretieren wären, denn es gilt vor der Kamera, ein Lebensgefühl einzufangen. Wie mag das Lebensgefühl im Jahre 2150 sein? Es ist ein Beruf, aber es ist auch viel Berufung dabei.

teleschau: Was bedeuten Ihnen Filmfestivals, Rote Teppiche und ähnliche Events?

Mehmet Kurtuluş: Die Berlinale habe ich dieses Jahr nicht besuchen können, da war ich schon in Marokko bei Dreharbeiten. Und die Oscarverleihung konnte ich leider auch nicht schauen, da war ich mitten in der Wüste. Dafür durfte ich aber echte Sterne sehen (lacht). Die Sterne konnte man regelrecht anfassen, es war unvergesslich - der Wahnsinn.

Mehmet Kurtuluş (2015 in Berlin) spielt im ARD-Krimi-Zweiteiler "Mordach - Tod in den Bergen" einen Kommissar, den der blanke Fremdenhass entgegenweht. (Bild: 2015 Getty Images/Clemens Bilan)
Mehmet Kurtuluş (2015 in Berlin) spielt im ARD-Krimi-Zweiteiler "Mordach - Tod in den Bergen" einen Kommissar, den der blanke Fremdenhass entgegenweht. (Bild: 2015 Getty Images/Clemens Bilan)