Der Meister der Zwischentöne: Heinrich Breloer wird 80 Jahre alt
Heinrich Breloer zeigte den Deutschen, dass ihre Helden, Mythen und Bösewichte nicht einfach nur hell oder dunkel strahlen, sondern dass Geschichte aus vielen Zwischentönen besteht. Am 17. Februar wird der Erfinder des Dokudramas 80 Jahre alt.
Zum 80. Geburtstag am 17. Februar - und sicher noch ein paar Tage länger - ist die ARD Mediathek prall gefüllt mit Filmen von Heinrich Breloer. So kann man epochale deutsche Fernsehwerke wie die RAF-Aufarbeitung "Todesspiel" (1997), seinen Kinofilm "Buddenbrooks" (2008) oder auch sein bislang jüngstes Werk, den TV-Zweiteiler "Brecht" (2019) mit Tom Schilling, "on demand" sehen. Außerdem: die ein oder andere Dokumentation zu jenem Mann, der das Genre Dokudrama erfand. Leider fehlen aber auch einige der wichtigsten Breloer-Filme wie "Speer und er" (2004) oder sein vielleicht bekanntestes Werk, der Dreiteiler "Die Manns - Ein Jahrhundertroman" (2001) mit Armin Mueller-Stahl als Thomas Mann.
Unter Dokudrama verstand Breloer die Verbindung von dokumentarischem Material, Interviews und inszenierten Spielszenen zu einem großen Erzählfluss. Wobei es dem Hotelierssohn aus dem westfälischen Marl immer wichtig war, dass in seiner Version des Genres die fiktionale Spielszene nicht das bebildert, was zuvor im Dokuteil gesagt wurde, sondern dass sich beide Erzählweise ergänzen und so ein Narrativ entsteht, dass größer ist als die Summe seiner einzelnen Teile. Ein neues Genre eben, das in Deutschland nicht nur Millionen vor den Fernseher fesselte, sondern auch Kritiker überzeugte.
Heinrich Breloer ist einer der ganz wenigen Filmkreativen, dessen bei Wikipedia aufgelisteten Auszeichnungen kaum auf eine Bildschirmseite passen. Dass er, der den Grimmepreis rekordverdächtig oft gewonnen hat, ausgerechnet aus Marl kommt, jener unscheinbaren Stadt am Rande des Ruhrgebietes, in der die wichtigste deutsche TV-Auszeichnung verliehen wird, ist ein fast merkwürdiger Zufall im Leben des berühmten TV-Machers.
20.000 bis 30.000 Filme im Kopf
Breloers Eltern waren Hoteliers. Sie betrieben das in der Region ziemlich legendäre Hotel Loemühle, wo während der Ruhrfestspiele und der Verleihung des Grimmepreises gerne mal Prominenz aus Film und Fernsehen logierte. Breloer bezeichnet seine Kindheit dort als Paradies, doch der Vater schickte ihn zehnjährig auf das streng katholische Internat Canisianum in Lüdinghausen. Es bedeutete für ihn die Hölle, wie er bis heute betont. Obwohl Breloer im Internat nicht selbst körperlich missbraucht wurde, hat er dort Schlimmes beobachtet und erfahren, worüber er 1987 den TV-Zweiteiler "Eine geschlossene Gesellschaft" drehte. Ein Film, der sich bemerkenswert früh mit dem Thema Missbrauch in kirchlichen Einrichtungen auseinandersetzte.
Abseits des strengen Internatlebens saugte Breloer an den Wochenenden in Marl die Welt des Films auf. Damals gab es in der Stadt sieben oder acht Kinos, erzählt der immer noch hellwache Autor und Regisseur einem WDR-Team für ein aktuelles Porträt (ebenfalls in der ARD-Mediathek zu sehen). Wenn er als Junge freitags aus dem Internat kam, ging es direkt dorthin - ins Kino. Immer waren es mindestens drei Filme pro Wochenende, die sich Heinrich pro Wochenende reinzog. Insgesamt kommt er auf 20.000 bis 30.000 Filme, die er gesehen hat. Auch Jahrzehnte später kann er sich oft noch an die Handlung erinnern, sagt er heute in einem seiner seltenen Momente des Eigenlobs. Ansonsten tritt Breloer fast immer freundlich, sachlich und bescheiden auf.
Von 1961 bis 1970 studierte er Literaturwissenschaft und Philosophie in Bonn und Hamburg, wo er 1976 auch promovierte. Seit 1972 ist Breloer als freier Autor tätig. Zunächst schrieb er Film- und Fernsehkritiken für eine Hamburger Tageszeitung, verfasste Hörfunkbeiträge und drehte ab 1978 mit dem Regisseur Horst Königstein, der zum fast lebenslangen Kreativpartner werden sollte, seinen ersten längeren Film: "Bi und Bidi in Augsburg" - wie seine letzte Arbeit "Brecht" (2019) eine Beschäftigung mit Breloers Lieblingsdichter.
Speer, Brandt, Barschel: Breloer und die "ambivalenten" Deutschen
Während der 80-er und 90-er wurde Breloer mit seiner besonderen Erzählweise immer mehr zu einer Art Lieblingsaufklärer der Deutschen: Er drehte Filme über die Politik und ihre Protagonisten: "Kampfname: Willy Brandt", 1984, "Die Staatskanzlei", 1989 - zur Barschel-Affäre, "Wehner - die unerzählte Geschichte" 1993 mit Ulrich Tukur als junger Herbert Wehner. Neben der Erfindung seiner Dokudrama-Technik muss man den Filmemacher auch dafür loben, dass er ein großer Meister der Zwischentöne war und ist. Bei ihm sind deutsche Helden oder Bösewichte niemals einfach nur gut oder schlecht, sondern stets beides gleichzeitig. Ob sie nun Mann, Wehner oder Brecht heißen. Doch Breloer arbeitete auch klar heraus, wenn Mythen falsch waren. Wie zum Beispiel, dass Albert Speer nichts vom Holocaust wusste und so etwas wie ein "guter Nazi" war. Nein, Speer war einer der größten Kriegsverbrecher und dies zeigte Heinrich Breloer in "Speer und er", obwohl ihn der alte Speer 1980 mit viel Charme bei persönlichen Begegnungen umgarnte.
Seit seinem späten Kinodebüt, der Neuverfilmung des Thomas Mann-Romans "Buddenbrooks" von 2008, hat Heinrich Breloer sein zuvor erstaunliches Arbeitstempo gedrosselt. Nach elf Jahren Pause legte er 2019 den TV-Zweiteiler "Brecht" mit Tom Schilling vor, der noch einmal seine brillante Fiction-Non-Fiction-Montage-Technik demonstrierte.
Doch der nunmehr 80-Jährige, in zweiter Ehe verheiratet und Vater zweier Kinder, hat sich keineswegs zur Ruhe gesetzt. Aktuell arbeitet er an einem Projekt für seinen Haussender WDR, über dessen Inhalt nichts verraten werden darf. "Mantel des Schweigens" lautete daher der Arbeitstitel, lacht Breloer in einem etwa 15-minütigen "Werkstattgespräch" bei ihm zu Hause, das anlässlich des runden Geburtstages ebenfalls in der ARD-Mediathek zu finden ist. Es zeigt einen hochvitalen und motivierten Mann, dessen erstaunliche Karriere durchaus noch ein bisschen weitergehen könnte. Mal sehen, wann sich der "Mantel des Schweigens" lüftet.