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Meloni bereit "Tabu zu brechen" und Italiens erste Ministerpräsidentin zu werden

Meloni bereit "Tabu zu brechen" und Italiens erste Ministerpräsidentin zu werden

Italiens rechtsnationale Parteichefin Giorgia Meloni sagt, es wäre ihr eine "Ehre, ein Tabu zu brechen" und die erste weibliche Ministerpräsidentin des Landes zu werden.

Meinungsumfragen zufolge könnte ihre Partei "Brüder Italiens" bei den vorgezogenen Parlamentswahlen den größten Stimmenanteil erhalten.

Die Partei steht an der Spitze eines Rechtsblocks, dem auch die Parteien von Matteo Salvini und Silvio Berlusconi angehören. Diese Koalition gilt als Favorit für den Sieg.

Damit könnte Italien, das seit dem Zweiten Weltkrieg 67 Regierungen erlebt hat, zum ersten Mal von einer Frau geführt werden könnte.

"Das wäre sicherlich ein Schritt nach vorne", sagte Meloni in einer Erklärung gegenüber Euronews. "Ich habe es als Durchbrechen der 'gläsernen Decke' definiert, die in vielen westlichen Ländern, nicht nur in Italien, immer noch existiert und Frauen daran hindert, wichtige öffentliche Rollen in der Gesellschaft zu übernehmen.

"Es wäre eine Ehre für mich, die erste zu sein, die dieses Tabu in meinem Land bricht".

Gegen Meloni, Salvini und Berlusconi steht die Linkskoalition, die von der Demokratischen Partei (PD) und einer Reihe anderer kleinerer Parteien dominiert wird. Die vom ehemaligen Ministerpräsidenten Enrico Letta geführte PD vertritt eine weitgehend gemäßigte, pro-europäische Haltung und ist vehement gegen Putin und den Krieg in der Ukraine.

Die Fünf-Sterne-Bewegung (Movimento 5 Stelle; M5S), die wieder als eigenständige Partei antritt, entzieht sich dem politischen Links-Rechts-Schema. Ihr Anführer ist der ehemalige Ministerpräsident Giuseppe Conte.

Wer ist Giorgia Meloni?

Giorgia Meloni wurde in Rom geboren und größtenteils von ihrer Mutter aufgezogen - das Fehlen einer starken Vaterfigur hat ihre Ablehnung der gleichgeschlechtlichen Elternschaft geprägt.

Seit ihrer Jugend ist Meloni eine überzeugte Nationalkonservative. In Roms wuchs sie in Garbatella auf, einem Arbeiterviertel mit einer starken linken Tradition.

Im Jahr 1992 schloss sich Meloni im Alter von 15 Jahren der inzwischen aufgelösten nationalistischen Sozialen Italienischen Bewegung (Movimento Sociale Italiano, MSI) an und verschaffte sich nach Jahren 'leidenschaftlichen Aktivismus' einen Platz in der italienischen Politiklandschaft.

Im Jahr 2013 wurde die Partei Fratelli d'Italia ("Brüder Italiens") - der indirekte Erbe der MSI - gegründet. Meloni stieg schnell in ihren Reihen auf, und wurde ihre Vorsitzende. Sie machte sich von einer kleinen Kraft zwischen den größeren Parteien der Rechtskoalition zur größten Kraft des Blocks.

Häufig wird Meloni vorgeworfen, dass sie als Vorsitzende einer ehemals kleinen politischen Partei unerfahren sei.

"Ich war die jüngste Ministerin in der Geschichte der italienischen Republik, als ich der letzten Mitte-Rechts-Regierung angehörte", sagte sie gegenüber Euronews. Damit verwies sie auf ihre Rolle als Jugendministerin in Berlusconis Kabinett von 2008 bis 2011.

"Wir haben eine erfahrene und vertrauenswürdige Regierungsklasse", fügte sie hinzu.

Kritikerinnen und Kritiker von Meloni werfen ihrer Partei auch vor, faschistische Apologeten zu beherbergen, was sie jedoch bestreitet.

Der führende Historiker und Experte für faschistische Politik, Professor Andrea Mammone von La Sapienza, bezeichnete ihre Partei als eine Partei, die "in der neofaschistischen Tradition steht".

Erst kürzlich haben die Fratelli d'Italia einen sizilianischen Kandidaten suspendiert, weil er in den sozialen Medien Adolf Hitler gelobt hatte.

"Wir sind die Partei der italienischen Konservativen", erklärte Meloni. "Wir sind eine moderne Regierungspartei, die heute in Italien 15 von 20 Regionen und Hunderte von Gemeinden regiert."

"Ich bin auch Vorsitzende der Europäischen Konservativen Partei (ECR), der auch die Regierungschefs Polens und der Tschechischen Republik angehören und die enge Beziehungen zu den britischen Tories, den amerikanischen Republikanern und dem israelischen Likud unterhält", fügte sie hinzu.

Melonis Politik vermischt die Identitätspolitik eines religiös geprägten Patriotismus mit einer angeblich unternehmensfreundlichen Wirtschaftspolitik, die die italienische Wirtschaft ankurbeln soll.

Meloni wendet sich auch gegen einige der Gefahren, die ihrer Meinung nach die westliche Zivilisation bedrohen, darunter die "LGBT-Lobbys" und die "Gender-Ideologie" - deren Existenz ihre Kritiker:innen grundsätzlich bestreiten - sowie den radikalen Islamismus.

Letta und die PD, Melonis Hauptkonkurrent bei den Wahlen, sagen, dass sie sich für die Gleichstellung der Ehe und ein Gesetz gegen homophobe Hetze einsetzen.

Die PD-Abgeordnete Lia Quartapelle stellte auch Melonis Engagement für die Rechte der Frauen in Frage.

"Auf den rund 30 Seiten ihres Manifests wird das Wort 'Frau' fünfmal verwendet und immer mit [...] einer Schwäche, einem Zustand der Zerbrechlichkeit in Verbindung gebracht."

"Ich habe in der Vergangenheit nie gesehen, dass sie für eines dieser Themen gekämpft oder Energie gehabt hätte."

Wie steht Meloni zu Europa?

Meloni und ihr Koalitionspartner, Salvini von der Lega Nord, werden oft als Europas Rebellen dargestellt.

Sie kritisieren den Euro, sympathisieren mit den britischen Brexit-Befürwortern, wettern gegen "Brüsseler Bürokraten" und unterstützen eine Einwanderungspolitik, die gegen die Haltung der EU in dieser Frage verstößt. Meloni sprach kürzlich unter anderem von einer "Seeblockade" im Mittelmeer, mit der sie Flüchtlingsboote abweisen will.

Der Vorsitzende der Mitte-Links-Partei, der gegen sie kandidiert - Letta von der Demokratischen Partei - sagte, Meloni sei Teil des "ersten echten Versuchs, die EU aufzulösen", wie La Repubblica am Donnerstag berichtete.

Ist Giorgia Meloni also eine Euroskeptikerin?

"Ich habe gelesen, dass Experten versuchen, mich auf so viele Arten zu definieren", sagte sie. "Sie akzeptieren kaum, dass ich mich und meine Partei definiere".

Eigenen Angaben zufolge bevorzugt sie den Begriff "Eurorealist" - den die Europäischen Konservativen zu verwenden pflegen - und verteidigt das Prinzip der europäischen Integration, aber nicht in seiner undifferenzierten Anwendung.

"Wir erkennen uns nicht in der Logik von 'mehr Europa' um jeden Preis und in jeder Angelegenheit wieder", erklärte Meloni. "Dies hat bisher zu mehr Zentralismus, mehr Bürokratie und weniger Subsidiarität geführt, was hingegen ein Grundprinzip der EU ist, das wir respektieren wollen."

Euroskeptizismus ist an sich ein umstrittener Begriff: Während er von Politikwissenschaftler:innen häufig verwendet wird, sind einige Historiker der Ansicht, dass er eine antihistorische und künstliche Unterscheidung zwischen Befürworter:innen und Gegner:innen der europäischen Integration schafft.

Einige ziehen es vor, von verschiedenen "Modellen" des Europäismus zu sprechen, die gelegentlich mit dem von der EU vertretenen Modell kollidieren.

Meloni behauptet nicht, "gegen" Europa zu sein, aber sie skizziert ein Integrationsmodell, das in Brüssel gut oder schlecht ankommen könnte.

"Hätten wir eine EU, die mehr dem entspricht, was wir uns vorstellen, hätten wir eine wirksamere Verteidigungspolitik entwickelt, in die Energiesicherheit investiert und kurze Wertschöpfungsketten aufrechterhalten, um die Abhängigkeit von - oft unzuverlässigen - Drittländern bei Gas, Rohstoffen, Waren, Chips und anderen Gütern zu vermeiden", erklärt sie.

Stellt Melonis Vision der Integration also ein "Europa der Nationen" dar, wie es von der europäischen Rechten seit den 1950er und 60er Jahren propagiert wird?

"Was wir wollen, ist ein stärkeres und ausgewogeneres Europa", erklärte Meloni.

"Putin würde sich freuen, wenn Meloni die Wahlen in Italien gewinnt"

Unabhängig davon, ob Meloni als "Euroskeptikerin" bezeichnet werden kann oder nicht, stellt sich die Frage: Wird ihre Vision von Europa sie in Konflikt mit Brüssel bringen? Und welchen Platz wird Italien innerhalb der Union einnehmen, wenn sie das Ruder übernimmt?

Der scheidende Ministerpräsident - Mario Draghi - gilt als EU-Liebling, dessen Visionen eng mit denen Brüssels übereinstimmen und dessen Politik dazu führte, dass Italien vom Economist zum "Land des Jahres" ernannt wurde.

Diese Beziehung dürfte sich fortsetzen, wenn Letta Italiens nächster Regierungschef wird. Er sieht Europa als "die Lösung" an.

"Diejenigen, die sagen, Europa sei das Problem, wollen nur zerstören und suchen nach Sündenböcken", sagte Letta, der darauf besteht, dass sein Bündnis die Wahl noch gewinnen kann.

"Stattdessen müssen hier Lösungen gefunden werden, und das fängt bei der grundlegenden Frage der Energie an."

Wir wollen die nationalen Interessen Italiens ohne Brüche verteidigen.

"Wenn wir am Sonntag gewinnen würden, wären die Demokratien glücklich", fügte er hinzu. "Wenn die Rechten am nächsten Sonntag gewinnen würden, wäre der erste, der sich freuen würde, Putin".

Meloni hat eine andere Auffassung von Brüssel. So ist sie beispielsweise gegen Draghis Resilienz- und Konjunkturprogramm, das die angeschlagene italienische Wirtschaft mit 190 Milliarden Euro aus EU-Mitteln stützen soll.

"Wir wollen die nationalen Interessen Italiens ohne Brüche verteidigen, aber mit der gleichen Entschlossenheit, mit der die Deutschen und Franzosen ihre Interessen verteidigen", so Meloni.

In der Frage der Energiekrise ruft Meloni zu europaweiter Solidarität auf, sieht es aber auch als natürlich an, dass die Nationalstaaten ihre Interessen verteidigen.

Sie ist zudem zuversichtlich, dass Italiens Wirtschaft den Weg aus der Krise nach COVID-19 finden wird.

"Es stimmt, dass wir eine hohe Staatsverschuldung haben, aber diese ist dank der Stärke unserer Wirtschaft absolut tragbar", sagte sie.

Einige Beobachter:innen befürchten, dass die Vorschläge für öffentliche Ausgaben und die vermeintliche Angeberei gegenüber dem Brüsseler Establishment Italien von seinen Partnern entfremden könnten. Andere sind jedoch der Meinung, dass ihre Amtszeit nicht unbedingt zu einem großen Bruch führen würde und dass Italiens Außenpolitik, insbesondere gegenüber Russland, weitgehend unangetastet bleiben würde.

Während die Stimmung in Brüssel pessimistisch und skeptisch sein mag, bleibt Meloni optimistisch, dass sie Italien zu einer starken Führungspersönlichkeit und einem Hauptakteur auf der europäischen politischen Bühne machen kann.

"Wir wollen Italien die Rolle zurückgeben, die ihm in diesem Europa zusteht", erklärte sie. "Wir gehören zu den Gründungsnationen, haben die drittgrößte Wirtschaft und die zweitgrößte verarbeitende Industrie in Europa, wir waren immer Nettozahler in den EU-Haushalt, wir halten den Rekord bei den geografischen Angaben von Lebensmitteln, bei den Unesco-Stätten und bei vielen anderen Dingen."