"Der Mensch ist eine Fehlentwicklung"
Jetzt den Schalter umlegen, dann wird alles gut? Nein, so wird es nicht laufen. Zu seinem 70. Geburtstag veröffentlicht Peter Maffay ein Album, auf dem kein Platz ist für Märchen. Der "Point of no Return" sei beim Klimawandel bereits überschritten, erklärt er. Ein Gespräch auf der Suche nach einem Funken Hoffnung.
Ja, er wird 70, und ja, er hat in 50 Jahren auf der Bühne eine Menge erreicht. Aber richtig viel lässt Peter Maffay sich zu seinen Erfolgen oder irgendwelchen Jubiläen nicht entlocken. "Erdgeschichtlich betrachtet habe ich nicht viel bewegt", sagt Maffay am Rande des Interviews in seinem Red-Rooster-Studiokomplex in Tutzing, wo gefühlt alle Wände von oben bis unten voll sind mit Goldenen Schallplatten und anderen Auszeichnungen. Er war als Schlagersänger erfolgreich und als Rockmusiker, zudem schuf er mit "Tabaluga" ein Märchen, das sich längst zur Marke entwickelte. Peter Maffay, der 18 Alben an der Spitze der Charts platzierte (Rekord), ist einer der erfolgreichsten Musiker, die es in Deutschland je gab. Aber es gibt an diesem Nachmittag "Wichtigeres" zu besprechen. An seinem Geburtstag (30. August) veröffentlicht der deutschrumänische Künstler das Album "Jetzt!" - und das Herzstück "Morgen" ist kein versöhnliches Geburtstags-Tralala, sondern ein schonungsloser Rundumschlag.
teleschau: Man sieht im Video zu "Morgen" unter anderem Nazis, tote Eisbären, Kinder in My Lai und kenternde Flüchtlingsboote. Da musste einiges raus, oder?
Peter Maffay: Wir hatten uns die Frage gestellt: Wie reagiert man auf darauf, dass wir für die großen Probleme in der Welt noch keine Lösungen gefunden haben, obwohl wir sie aufgrund unseres Wissens längst hätten finden können. Aufrüstung, ökologische Erosion, der Kampf der Kulturen und Religionen, durchgeschnittene Kehlen und entführte Kinder: Wir wissen, dass all das passiert, aber wir schaffen es nicht, dem einen Riegel vorzuschieben.
teleschau: Sie wurden kürzlich noch einmal Vater. War das auch ein Anlass, diesen Song zu schreiben und dieses Video dazu zu drehen?
Maffay: Das war ein Grund, aber es gab auch viele andere Anlässe. Stichwort Aufrüstung: Wir kennen heute die Umstände der Kubakrise 1962. Wir wissen, dass ein russischer Offizier einen Atomkrieg verhindert hat. Und obwohl wir das wissen, erlauben wir einigen Nationen, wieder einen atomaren Konflikt in den Bereich des Möglichen zu rücken. Obwohl wir wissen, dass die Erderwärmung rasant zunimmt, gibt es einige Idioten, die diese Erkenntnis infrage stellen und gegen sie arbeiten.
teleschau: Wollen Sie mit "Morgen" bewusst schockieren?
Maffay: Johannes Oerding, der an dem Song mitschrieb, fragte mich, wie weit wir gehen sollen, und ich sagte: so weit, wie die Realität es vorgibt! Wir sind ja nicht diejenigen, die diese Bilder erzeugt haben.
teleschau: Und wen wollen sie mit dem Song erreichen?
Maffay: Es wäre schon ein großer Erfolg, wenn ich die Kritiker erreichen und umpolen könnte, die sagen, ich würde hier nur auf einen Zug aufspringen. Ich meine: Wie dumm kann man sein, um das anzunehmen? Seit 20 Jahren betreiben wir Stiftungsarbeit mit traumatisierten Kindern, von denen viele die Leidtragenden kriegerischer Konflikte sind. Wenn dann irgendein Idiot bei Youtube so einen Kommentar schreibt, fehlen mir die Worte!
"Das ist wie eine Lawine, die Fahrt aufnimmt"
teleschau: Unter dem "Morgen"-Video kommentieren auch viele Menschen, dass wir in Sachen Klimawandel längst den "Point of no Return" überschritten haben ...
Maffay: Das haben wir auch! Das ist wissenschaftlich erwiesen.
teleschau: Das heißt, dass wir die Sache nicht mehr geradebiegen können?
Maffay: Nein, können wir nicht. Das einzige, was wir tun können, ist diesen Vorgang auszubremsen.
teleschau: Das heißt konkret?
Maffay: Kohlekraftwerke abschalten zum Beispiel. Die Anzahl an Kohlekraftwerken, die wir in Deutschland haben, ist aber natürlich nichts im Vergleich zu dem, was es weltweit gibt. Es bräuchte einen weltweiten Konsens, diese Kraftwerke abzuschalten, aber den gibt es momentan nicht. Also wird dieses Zeug weiter in die Luft aufsteigen. Und wenn dann irgendwer kommt und sagt, die menschengemachte Klimaerwärmung sei dummes Zeug: Warum versteppt Spanien so schnell? Warum gehen bei uns die Bäume kaputt? Warum schmelzen die Gletscher? Weil es das alles in einem bestimmten Zyklus immer gegeben hat? Das ist Unsinn.
teleschau: Vielleicht glauben auch viele Menschen, den Umbruch könne man der nächsten oder übernächsten Generation überlassen?
Maffay: Das Problem dabei ist: Wir bewegen uns nicht in einer Geraden bei dieser negativen Entwicklung - das ist vielmehr eine steile Kurve. Je eher der ausgleichende Widerstand der Erde schwindet, desto schneller geht es bergab. Das ist wie eine Lawine, die Fahrt aufnimmt. Das kleine Schneebrett am Anfang macht gar nichts, aber zehn Meter weiter hat das eine ganz andere Energie. Aber darum geht es in "Morgen": Wollen wir wieder warten? Wieder wegsehen? Wenn wir wollen, dass etwas passiert, müssen wir jetzt handeln und nicht irgendwann.
teleschau: Dass man "jetzt" handeln muss, hört man seit 30 Jahren mindestens einmal jährlich in der "Tagesschau", wenn etwa der Weltklimarat wieder getagt hat. Dennoch hat man den Eindruck, dass nichts passiert.
Maffay: Es passiert auf jeden Fall nicht genug! Es gibt beispielsweise Greenpeace und schon lange viele schlaue Köpfe, die überlegen, wie man das Schlimmste verhindern kann. Aber der Urwald wird trotzdem weiter abgeholzt. Warum? Weil die Leute dort sonst hungern - weil die Menschen leben wollen. Warum darf die Holzindustrie-Lobby so viel Macht besitzen, dass sie darüber entscheiden kann, ob die Weltlunge geschädigt wird oder nicht? Ich habe zwei Jahre in British Columbia in Kanada gelebt und nachher beobachtet, wie ein relativ dichter Waldteppich innerhalb von nur 20 Jahren zu einem Schachbrett verkam, in dem sich die Borkenkäfer so weit ausgebreitet haben, dass man diese Plage nicht mehr unter Kontrolle bekommt. Das ist Irrsinn.
"Das Problem ist die Inkonsequenz"
teleschau: Wo müsste man denn ansetzen, damit sich etwas ändert? Bei der Politik? Oder bei den Menschen?
Maffay: In erster Linie bei den Menschen. Die Politik ist schließlich nur das, was wir selbst wählen und gestalten. Den Schlüssel zu dieser Tür hat die Gesellschaft. Die Demokratie hat natürlich eine gewisse Macht, aber wir müssen die Volksvertreter dann eben auch so wählen, dass sie sagen: stopp!
teleschau: Wenn man aber auf die einzelnen Menschen schaut - auch da ist zu beobachten, dass wir etwa den Verzicht auf Plastik nicht hinbekommen, obwohl wir es eigentlich besser wissen. Haben Sie dafür eine Erklärung?
Maffay: Na klar, ich sehe es ja an mir selbst. Ich habe eigentlich immer einen Becher dabei, in den ich meinen Kaffee füllen lasse. Ich spüle ihn aus und verwende ihn wieder. Heute Morgen habe ich ihn vergessen und mir dann eben doch einen Coffee to go im Einwegbecher geholt - und Müll produziert. Das Problem ist die Inkonsequenz.
teleschau: Der Klimawandel ist bei Ihnen schon seit Jahren ein Thema. Haben Sie Ihren Lebensstil aufgrund der gegenwärtigen Debatten trotzdem noch intensiver überdacht?
Maffay: Ja, und ich stelle fest, dass ich wie viele andere auch eine Schere im Kopf habe. Ich habe beispielsweise immer noch mein Motorrad ...
teleschau: Steigen Sie vielleicht bald aufs E-Bike um?
Maffay: Bei der E-Mobilität muss man sich natürlich auch fragen: Aus welcher Steckdose beziehen wir diese Energie? Wie nachhaltig entsteht dieser Strom? Woher nehmen wir die Rohstoffe? Und wie werden die Batterien entsorgt?
teleschau: An der Stelle führen Kritiker des Energiewechsels ins Feld, dass für die Akkus Kobalt von afrikanischen Kinderhänden abgebaut wird ...
Maffay: Das ist der eigentliche Fluch, der uns alle trifft: dieses System, das wir über Jahrhunderte aufgebaut haben und das uns dazu verdammt, Ressourcen zu verbrauchen. Ein Perpetuum mobile gibt es nicht - wir verbrauchen immer irgendetwas. Auch jetzt gerade, während wir hier sitzen, verbrauchen wir Strom.
"Kein anderes Lebewesen schädigt die Welt so wie wir"
teleschau: Der Mensch verstand sich einst als Krone der Schöpfung - und jetzt kann er gar nicht mehr anders, als den Planeten zu zerstören?
Maffay: (überlegt) Der Mensch ist eine Fehlentwicklung in seinen jetzigen Verhaltensweisen. Wir sind die Einzigen, die den natürlichen Kreislauf maßgeblich stören. Kein anderes Lebewesen schädigt die Welt so wie wir. Wir leiden in weiten Teilen einfach unter einer Unfähigkeit, uns selbst auf ein solches Maß zu reduzieren, dass wir keinen Schaden anrichten würden.
teleschau: Damit zumindest ein bisschen Hoffnung bleibt: Glauben Sie, dass kommende Generationen es besser machen können? Stichwort: "Fridays for Future".
Maffay: Diese Bewegung ist ein Aufschrei, der zeigt, wie viel Verzweiflung bei diesem Thema inzwischen herrscht. Aber ich behaupte, dass dieser Aufschrei nach einiger Zeit wieder verhallen wird und dass die bestehenden Mechanismen ganz normal weiterarbeiten werden. Welche Kräfte gegen den Umschwung arbeiten, sahen wir zuletzt auch wieder am Beispiel Hambacher Forst.
teleschau: Sie spielen auf eine Szene an, die auch im "Morgen"-Video zu sehen ist ...
Maffay: Genau. Da greift ein Polizist in das Gesicht, in das Gebiss eines Mädchens, das wehrlos am Boden liegt - das ist Wahnsinn. Immerhin: Auf Druck der Öffentlichkeit darf nun ein symbolischer Anteil des Waldes stehenbleiben und wird doch nicht abgeholzt. Aber dass man einen solchen Apparat in Bewegung setzt und gegen die eigenen Kinder einsetzt, die man zur Einforderung ihrer Rechte erzieht und die in dem Moment nichts anderes machen, als ihr Recht auf einen intakten Planeten einzufordern - das ist letztlich auch ein enormer Widerspruch.
Peter Maffay - Morgen
Copyright: Peter Maffay