Michel Friedmann sieht bei "Hart aber fair" die freie Gesellschaft bedroht: "Am Ende ist es Judenhass"
Bei Louis Klamroth wurde zum Konflikt zwischen Israel und der Terrororganisation Hamas und dessen Auswirkungen auf Deutschland diskutiert. Publizist Michel Friedmann sorgte sich bei "Hart aber fair" um die Sicherheit der jüdischen Bevölkerung und um unsere freie Gesellschaft.
Ist Michel Friedmann im Redefluss, "kommen Sie nicht dazwischen", musste "Hart aber fair"-Moderator Louis Klamroth feststellen, als in seiner ARD-Talkshow am Montag die Lage im Nahen Osten diskutiert wurde. Der Publizist, Autor und Moderator stellte das Thema auf eine Metaebene: "Das ist die Auseinandersetzung, um die es letztendlich geht: Aufgeklärte Gesellschaft oder eine Gesellschaft, die in das Mittelalter will", so Friedmann. "Israel ist die einzige Demokratie - das bedeutet aufgeklärte Gesellschaft, freie Gesellschaft, streitende Gesellschaft, widersprechende Gesellschaft, die eine Zukunft im Nahen Osten hat. Alle anderen sind Autokratien und Diktaturen."
Im Interesse Deutschlands und der gesamten westlichen Welt müsse es sein, dass ein solches Land verteidigt wird, wenn es von "barbarischer, terroristischer Gewalt angegriffen wird. Wir sind ja auch in der Ukraine engagiert, weil wir uns für die Demokratie einsetzen und gegen Barbaren wie Putin. Wenn das dort richtig ist, muss es für Israel erst recht richtig sein."
Auch die anderen Teilnehmenden des Podiums - darunter die "Zeit"-Journalistin und politische Korrespondentin Mariam Lau und der Nahost-Experte sowie Islamwissenschaftler Guido Steinberg - schienen mit Friedmann einer Meinung zu sein. "Der Graben verläuft nicht zwischen Religionen, sondern zwischen denjenigen, die für Demokratie sind und den Feinden Demokratie", bestätigte auch der Grünen-Vorsitzende Omid Nouripour. "Es geht nicht um Israel gegen Palästinenser, sondern gegen eine Terrororganisation, die Israel zerstören will", so der gebürtige Iraner. Und unter der Palästinenser selbst ebenfalls "extrem leiden", wie die Deutsch-Palästinenserin Jouanna Hassoun, Geschäftsführerin des Vereins Transaidency, betonte.
So viel Geld pumpt Katar in die Hamas
Dass die deutsche Bundesregierung auf der Seite Israels stehen muss, sei deshalb laut Nouripour außer Frage: "Das bedeutet, dass die Israelis uns sagen, es gibt zwei Drohnen, die haben wir bei euch geleast. Die brauchen wir dringend zurück, um die Überwachung auszubauen - natürlich kriegen sie sie sofort", nannte er auf Klamroths Nachhaken konkrete Beispiele. Das Gleiche gelte für Munition für die Marine, die seeseitige Angriffe der Hamas abwehren soll. "Es ist aber nicht nur Militär", war ihm wichtig klarzustellen. Darüber hinaus würde innerhalb der Bundesregierung - aus humanitären Gründen sowie rechtlicher Verpflichtung - "rund um die Uhr telefoniert mit allen, die irgendwie Einfluss nehmen können auf diese Terrororganisation."
Dazu zählen Länder wie Katar, das laut Guido Steinberg nicht nur eine wichtige Propagandazentrale der Hamas sei, sondern seit 2012 rund 1 Milliarde Dollar in die Hamas gesteckt habe. "Iranische Summen dürften deutlich geringer sein", fügte er hinzu. Diese Gespräche sollen die Freilassung der geschätzten 222 Geiseln ermöglichen, unter denen sich auch 10 Menschen mit deutschem Pass befinden - noch vor der angekündigten israelischen Bodenoffensive. "Wenn diese massiv erfolgt, müssen wir damit rechnen, dass der Hamas und der islamische Jihad keine Geiseln mehr freiwillig freigelassen", warnte der Nahost-Spezialist.
Friedmann erkennt "viel Heuchelei und Doppelmoral"
"Mit Katar und Iran sprechen, ja, aber muss man mit ihnen Geschäfte machen?", warf Michel Friedman der Bundesregierung und der EU "viel Heuchelei und Doppelmoral" vor. "Wir nehmen LNG weg von Putin, und wo gehen wir hin? Zum Diktator in Katar." Für Klamroth ist das eine gute Überleitung: 2022 hätten deutsche Firmen Waren im Wert von 1,6 Milliarden Euro in den Iran geliefert. "Warum ist man als Bundesrepublik und EU wenigstens bei so einem Staat nicht in der Lage, Flagge zu zeigen?", legte Friedmann eine Schippe drauf.
Nouripour entgegnete, Katar wäre eine schnelle Lösung gewesen, um sich von der Abhängigkeit vom russischen Gas zu befreien. Bei den Wirtschaftsbeziehungen zu Iran gäbe es zunehmend Sanktionen, allerdings müssten diese von den 27 EU-Mitgliedsstaaten einstimmig beschlossen werden - "leider". "Wir müssen dringend Druck erhöhen", gestand der Grünen-Politiker. Der Islamwissenschaftler Steinberg ist sich dessen nicht so sicher: Man habe keine Informationen, ob der Auftrag - beispielsweise zur Geiselnahme - aus Teheran stamme. Es sei durchaus möglich, dass die Hamas die Entscheidung eigenständig getroffen habe. In diesem Fall könnte es bei einem Krieg zwischen Israel und der Terrororganisation bleiben. Andernfalls müsse man damit rechnen, dass die Auseinandersetzungen über den Gazastreifen hinausgehen.
"Am Ende ist es Judenhass"
In Deutschland hat der Nahost-Konflikt in den letzten zwei Wochen bereits tiefe Gräben hinterlassen: 10.000 Menschen zeigten bei der Solidaritätsdemonstration vor dem Brandenburger Tor ihr Mitgefühl für die Opfer der terroristischen Angriffe. Fast ebenso viele, nämlich 7.000 gingen in Düsseldorf mit Israelfeindlichen Plakaten auf die Straße, und eine Frau in Hamburg freute sich über den Hass auf Israel. Eine Reaktion, bei der Jouanna Hassoun nur den Kopf schütteln kann: "Wenn jemand feiert, dass unschuldige Menschen sterben, dann hat er Moral und Anstand verloren. Damit kann ich mich nicht identifizieren", sagte sie und erntete Applaus.
Michel Friedmann sprach angesichts solcher Äußerungen von einer zunehmenden Angst bei Müttern und Vätern, die ihre Kinder nicht mehr mit Davidstern oder Kippa in die Öffentlichkeit lassen. "Erst werden wir (Anm.: Juden) eingeschüchtert, dann alle. Wir sind nur die Ersten", warnte er vor der Bedrohung einer freien, aufgeklärten Gesellschaft. "Die Parolen heißen: Tod Israel, Tod den Juden. Auch mein Tod ist ein Wunsch. Welche Art von Motiven eine Rolle spielen - am Ende ist es Judenhass. Es ist Gewalt gegen Juden." Es sei nicht nur in Deutschland eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, sondern es gehe darum, dass die Würde von Menschen unantastbar ist. "Diese Menschen sagen aber, die Würde von Juden ist antastbar. Wo immer damit begonnen wird, es wird alles zerstören", hatte Friedmann das letzte Wort.
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