Missbrauch in Italien: Reagiert die Kirche zu zögerlich?

Geht Italien mit dem Thema Missbrauch zu zögerlich um? Erst vor vier Jahren organisierte Papst Franziskus den ersten Gipfel zum Thema Pädophilie. Dem Vatikan wird immer wieder vorgeworfen, nicht genug zu tun, um die Krise zu beenden.

2014 wurde eine Sonderkommission eingesetzt. Das irische Missbrauchsopfer Marie Collins verließ die Kommission - drei Jahre nach ihrer Gründung:

“Als ich zurücktrat, wollte ich, dass man weiß, dass es Widerstand gibt. Ich wollte, dass bekannt wird, dass die Kommission zwar versucht hat, ihre Arbeit zu erledigen, aber von bestimmten Personen innerhalb der Kurie behindert wurde", erzählt Marie Collins. "Es hat mit der Macht des Vatikans und der Politik zu tun. Man versuchte, die Kommission zu kontrollieren und unsere Unabhängigkeit zu untergraben. Man hatte Angst, dass wir etwas ändern könnten. Damit kommen wir wieder auf das ursprüngliche Problem zurück: die Wahrung des Ansehens der Kirche."

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Irisches Missbrauchsopfer Marie Collins - euronews

In Italien blieb die Kirche bisher ziemlich untätig

In Ermangelung einer unabhängigen Untersuchung und angesichts der Tatsache, dass es keine offiziellen Zahlen gibt und der italienische Staat sich nicht engagiert, gibt es nur eine Vereinigung, die Daten zusammenträgt. Wir haben den Vorsitzenden der NGO, der selbst Missbrauchsopfer ist, in seiner Wohnung in Norditalien getroffen, von wo aus er den Verein leitet."

Das Netzwerk hat jüngst seinen bisher umfangreichsten Bericht veröffentlicht. In den 13 Jahren, in denen die Gruppe tätig ist, wurden mehr als 400 Fälle erfasst.

"Die Gesamtzahl der potenziellen Opfer, die ein Priester anders als ein Laie missbrauchen kann, ist entscheidend. Das liegt vor allem an der Vertuschung und an der Tatsache, dass der Priester, anstatt der Polizei gemeldet zu werden, oft von einer Kirche in eine andere versetzt wird, was zu mehr Opfern führt", meint Francesco Zanardi von "Rete l’Abuso". "In Italien ist die Gesamtzahl der Priester dreimal so hoch wie in Frankreich."

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Francesco Zanardi von "Rete l’Abuso" - euronews

Das Bewusstsein für das Thema schärfen

Der Bericht wurde den italienischen Behörden übermittelt, um das Bewusstsein für dieses Thema zu schärfen. Schätzungen zufolge beläuft sich die Gesamtzahl der Opfer im Land auf fast 1 Million. Warum wird in Italien so wenig getan?

"Italien ist aus kultureller und sozialer Sicht immer noch ein sehr einheitliches Land. Ich will damit nicht sagen, dass wir alle Katholiken sind, aber jeder Italiener hat eine Verbindung zur katholischen Kirche, sei es in der Familie oder traditionell", sagt  Iacopo Scaramuzzi,Vatikan-Korrespondent bei der Zeitung "La Repubblica". "Deshalb dauert es hier länger und es ist für die Menschen im Allgemeinen schwieriger, sich darüber klar zu werden, was vor sich geht."

Viele hoffen, dass Italien dem Beispiel anderer Länder folgt, in denen diese Verbrechen bereits untersucht wurden.