Mythos Reeperbahn: Diese Amazon-Serie beleuchtet die Abgründe von St. Paulis Vergnügungsmeile
Das Rotlicht ruft: In der Dramaserie "Luden - Könige der Reeperbahn" widmet sich Amazon dem Leben und Wirken der Ex-Kiezgröße Klaus Barkowksy. Nicht nur dank eines tollen Ensembles und der fantastischen Ausstattung gelingt den Machern ein großer Wurf - bei einem Haken.
Lange, blonde Haare, auffällige Leder-Outfits und ein schelmisches Lächeln auf den Lippen: Seinen Spitznamen erlangte Klaus Barkowsky in den 1980er-Jahren nicht von ungefähr. "Der schöne Klaus" stieg auf der Reeperbahn in St. Pauli zu einem der mächtigsten Rotlichtbosse auf, später verdiente er sich mit Kokain eine goldene Nase. Den Mythos längst vergangener Zeiten auf der legendären Vergnügungsmeile lässt nun die fantastisch ausgestattete und abwechslungsreich inszenierte Amazon-Serie "Luden - Könige der Reeperbahn" (ab 3. März) Revue passieren.
Im Mittelpunkt des sechtsteiligen Dramas steht Barkowsky (Aaron Hilmer), dessen Geschichte aber wird erzählt von der in die Jahre gekommenen Prositutierten Jutta (grandios: Jeanette Hain). Die beiden ungleichen Persönlichkeiten - der von jugendlichem Optimismus angetriebene Klaus und die vom Leben desillusionierte Jutta - können sich der gegenseitigen Anziehungskraft nicht erwehren. Nach einigen Hindernissen wird der junge Klaus Juttas Lude, und gemeinsam begehren sie gegen das Rotlicht-Kartell St. Paulis, die GmbH, auf - frei nach Klaus' Lebensmotto: "Ganz nach oben, erste Klasse Jumbojet."
Die AIDS-Krise veschafft dem Geldrausch ein jähes Ende
Dank Barkowkys gewitztem Charme liegen ihm die Frauen bald zu Füßen, sein Begeisterungswille und Innovationsgeist bringt ihm selbst bei Reeperbahn-Pate Wilfrid "Frida" Schulz (Nicki von Tempelhoff) Respekt ein. Und droht der ins Leben gerufenen Nutella-Bande doch einmal Stress mit den rivalisierenden Luden der GmbH um Mischa (Stefan Konarske) und Beatle (Karsten Antonio Mielke), kann sich Klaus auf die Schlagkraft von Kumpel und Heißsporn Andy (Henning Flüsloh) verlassen. Der Aufstieg von St. Paulis Puff-Rockstar scheint kein Ende zu kennen - bis die AIDS-Krise die Reeperbahn erreicht.
Dreckige Ecken, dunkle Gassen, gescheiterte Existenzen: Die Macher von "Luden" werfen einen ungeschönten Blick auf die Reeperbahn der 1980er-Jahre, die fest in der Hand von Zuhältern und Untergrundbossen war. Abmachungen wurden damals bei halbseidenen Pseudo-Glamour-Runden in verrauchten Hinterzimmern getroffen. Auf St. Pauli, so erzählt es "Luden", galten eigene Regeln und nicht selten das Recht des Stärkeren. Und doch bietet die Dramaserie weit mehr als den von Creator und Headautor angestellten Vergleich zu einem "Gangsterfilm von Scorsese".
Nur sechs Episoden - man hätte sich mehr gewünscht!
Die Figuren sind über weite Strecken echte Charaktere, welche mit Ecken und Kanten. Jeanette Hain als zunehmend abgehalfterte Prostituierte Jutta spielt alle an die Wand. Ihre Figur trägt das schwere Erbe eine leidgeprüften Vergangenheit samt unerfüllter Mutterschaft auf den Schultern, später vollzieht sie einen bemitleidenswerten körperlichen Verfall. Dazu kommen der engagierte Aaron Hilmer, der der Kiez-Bekanntheit Klaus Barkowksy weit mehr entlockt als den bloßen Dauergrinser-Ruf des juvenilen Charmeurs.
Erzählerisch nehmen sich die Macher der von Laura Lackmann und Stefan A. Lukacs viel, manchmal fast zu viel vor. Nicht nur bei der Suche von Klaus' Vertrautem Bernd (Noah Tinwa) nach dessen wahrer sexueller Identität hätte man sich mehr Einblicke gewünscht, auch das Schicksal der jungen Ausreißerin Manu (Lena Urzendowsky) hätte mehr Raum verdient. Gerade im zweiten Drittel von "Luden" wirkt die Serie gestrafft, man hätte sich mehr als "nur" sechs Episoden der Amazon-Miniserie gewünscht.
Der Kult der Reeperbahn lebt in München auf
Das alleine sollte aber schon Kompliment genug sein für die ausgezeichnet im Lokalkolorit der 80er-Jahre ins Leben gerufenen Produktion. Das "ungezähmte, ungeschönte Leben" (Headautor Rafael Parente) des Kiez, es findet in "Luden" in all seinen Facetten Entsprechung und zollt dem mit viel nackter Haut, aber ohne plumper Lust am Zurschaustellen selbiger, mit teilweisen Gewaltexzessen und viel Voyeurismus Tribut.
Dabei mag man es kaum glauben, dass Corona-bedingt ein Großteil der Serie in einem nachgebauten Studio in München gedreht wurde. Dort zogen die Szenenbildner einen ganzen Straßenzug in die Höhe, bei dem jedoch mit so viel Liebe zum Detail gearbeitet wurde, dass selbst der gebürtige Hamburger und Hauptdarsteller Aaron Hilmer sich von dem "authentischen, dreckigen und armen St. Pauli" beeindruckt zeigte.
Ihr Übriges zu dem faszinierenden Nostalgie-Trip in die von dubiosen Strukturen beherrschten Parallelwelt tut die inhaltliche Nähe zu den tatsächlichen Ereignissen der 80er-Jahre. Unter anderem beriet der damalige Zivilfahnder Waldemar Paulsen die Serienmacher, viele Hauptakteure, etwa Klaus Barkowsky oder die Luden der GmbH, orientieren sich an realen Vorbildern. Dramatisch zugespitzt ist "Luden" natürlich, doch der Sechsteiler zählt dank authentischer Inszenierung, einem tollen Ensemble und einem facettenreichen Plot zu den bisherigen Serien-Highlights des Jahres.