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"Nach 30 Tagen ohne Strom würde man Deutschland nicht wiedererkennen"

30 Stunden dauerte im Februar 2019 ein Stromausfall in Berlin-Köpenick, von dem mehr als 30.000 Haushalte betroffen waren. Ein relativ kurzer Zeitrahmen, der aber den vollen Einsatz von Rettungsdiensten, Feuerwehr und dem Technischen Hilfswerk erforderte. Was aber, wenn ein Blackout nicht nur 30 Stunden, sondern 30 Tage dauern würde? Christoph Unger, der Präsident des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe, gibt Antworten.

Berlin bei Dämmerung: Strom wird lange nicht nur dort benötigt, wo wir ihn sehen können. (Bild: Getty Images)
Berlin bei Dämmerung: Strom wird lange nicht nur dort benötigt, wo wir ihn sehen können. (Bild: Getty Images)

Yahoo Nachrichten: Herr Unger, wie würde sich ein 30 Tage dauernder Stromausfall auswirken?

Christoph Unger: Wenn es zu einem sogenannten Blackout, also einem flächendeckenden und längerfristigen Stromausfall käme, hätte das katastrophale Folgen für die Gesellschaft. Da müssen es nicht 30 Trage sein, es würde schon ein viel kürzerer Zeitrahmen ausreichen.

Ab wann wird es denn kritisch?

In einem städtischen Ballungsraum wie Rhein-Main, Köln-Bonn oder Berlin würden wahrscheinlich schon nach zwei Tagen massive Auswirkungen auftreten. Die konkreten Einzelwirkungen wären mit dem Wegfall des Stromes sofort da. Wenn der Strom weg ist, haben Sie kein Licht, keine Heizung, die Kühlung fällt aus, die Wasser- und Abwasserversorgung. Draußen funktionieren die Ampeln nicht mehr, Fahrstühle bleiben stecken. Rettungsdienst und Feuerwehr werden sofort sehr viel zu tun haben und das in einem Verkehr, der zum Erliegen kommt. Alarmanlagen und Sicherungen funktionieren genauso wenig wie die Kassen in den Geschäften und die Bankenautomaten – es gibt sofort und perspektivisch weiterwachsende Ausfälle in ganz vielen Bereichen.

Welcher Bereich ist besonders problematisch?

Das Gesundheitswesen hat sich zunehmend nach Hause verlegt. Viele Menschen sind auch dort auf die Unterstützung durch Maschinen angewiesen, zum Beispiel Beatmungsgeräte. Die sind zwar durch Batterien gepuffert, aber die Versorgung über die Batterie funktioniert vielleicht zwei Stunden. Wenn diese Geräte nicht mehr funktionieren, betrifft das die Menschen existenziell.

Wie lange läuft denn die Notstromversorgung in Krankenhäusern?

Vom Stromausfall in Köpenick war vor drei Monaten auch ein Krankenhaus betroffen, das zwar ein Notstromaggregat hatte, das aber nicht umfassend funktioniert hat. So ein Notstromaggregat unterstützt auch nicht jede Maschine, sondern nur die ganz zentralen medizinischen Geräte. Dazu müssen die Aggregate mit Diesel betrieben werden. Wir empfehlen die Bevorratung von Diesel von drei Tagen, aber dann muss die Anschlussversorgung gesichert werden. Da sind wir beim nächsten Thema: Es gibt ganz viel Diesel in großen Tanklagern, aber dieser Dieselkraftstoff muss auch ausgepumpt werden auf die LKW, die es dann wieder zu den Krankenhäusern bringen. Auch da muss es eine Notstromversorgung geben. Damit die Notstromaggregate in den Krankenhäusern laufen, muss die ganze Kette funktionieren. Daran arbeiten wir.

Wie sieht es mit der Kommunikation aus?

Es gibt keine Information und keine Kommunikation. Computer, Fernsehen, Radio, alle modernen Formen von Telefonie funktionieren nicht mehr. Die Mobilfunkmasten werden mit Strom versorgt und das Handynetz bricht viel früher zusammen, als Ihr Akku vielleicht hält. Das ist für Menschen in unserer auf Kommunikation ausgelegten Gesellschaft ein sehr großes Problem. Wir raten den Menschen deshalb, sich im Rahmen der Vorratshaltung batteriebetriebene Radios oder Kurbelradios vorzuhalten, damit wenigstens in die Richtung Behörde-Bürger-Informationen wie Warnmeldungen und Handlungsempfehlungen transportiert werden können. Der Bürger als solcher kann nicht kommunizieren.

Wie ist das bei den Rettungskräften und dem Krisenstab?

Wir haben 2004 das erste Mal in einer großen Übung einen Stromausfall simuliert, bei der die behördliche Kommunikation eine konkrete Fragestellung war. Wir haben damals Satellitentelefone beschafft. Natürlich haben wir über die Bundeswehr, das THW und auch die Feuerwehr Funkmöglichkeiten. Es gibt auch Stromnetz unabhängige Möglichkeiten der Kommunikation, aber die hat natürlich nicht jeder Bürger. Das ist ein Thema, mit dem wir uns befassen. Ein Krisenstab hat aber natürlich noch ganz andere Einschränkungen hinsichtlich der Dauer seines Einsatzes. Das sind ja auch nur Menschen, die ihre Familie zu Hause haben. Wie lange so ein Krisenstab arbeiten kann, wissen wir nicht.

Ein Stromausfall kann viele Ursachen haben: technische, aber auch Hacker-Angriffe oder Naturkatastrophen. (Bild: Getty Images)
Ein Stromausfall kann viele Ursachen haben: technische, aber auch Hacker-Angriffe oder Naturkatastrophen. (Bild: Getty Images)

Wie sollte man sich auf einen Blackout vorbereiten?

Von uns gibt es seit Jahren Handlungsempfehlungen. Die Menschen können sich auf solche Krisenlagen vorbereiten, indem sie Lebensmitteln und, ganz wichtig, Wasser bevorraten. Dazu gehört auch, dass man Gegenstände des täglichen Bedarfs wie Kerzen und Streichhölzer zu Hause hat, einen Campingkocher, notwendige Medikamente und ein bisschen Geld, weil die Automaten nicht mehr funktionieren. Es gibt eine ganz Reihe von Dingen, die eigentlich selbstverständlich, aber in einer Krisensituation nicht mehr vorhanden sind.

Für wie wahrscheinlich halten Sie das Szenario eines Blackouts?

Es ist höchst unwahrscheinlich. Deutschland hat auch im weltweiten Vergleich eine sehr sichere Stromversorgung. Aber wir haben tagtäglich Stromausfälle in regionalem Umfang, in der letzten Zeit auch etwas größere. In Berlin, in Mainz-Wiesbaden, in Lübeck, im Münsterland 2005 und beim Sturm Kyrill 2007 haben wir großräumige Stromausfälle gehabt. Als Möglichkeiten kommen Naturkatastrophen und terroristische Angriffe in Frage. In der Ukraine wurde zuletzt das Stromnetz durch Cyber-Angriffe in Teilen ausgeschaltet.

Wir groß wäre der Schaden nach 30 Tagen ohne Strom?

Unermesslich. Nach 30 Tagen würden Sie die Republik nicht wiedererkennen. Strom ist das Lebenselixier unserer Gesellschaft. Und wenn das nicht mehr da ist, dann braucht es keine 30 Tage. Das wäre fast apokalyptisch.

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