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"Nachwirkungen bis in die Gegenwart": Was ist über Stalingrad im TV zu sehen?

Kampfpause für einen deutschen Soldaten: Körperlich und seelisch wird den Männern bei der Schlacht um Stalingrad alles abverlangt. Der Film "Stalingrad - Stimmen aus Ruinen" ist in der ARTE-Mediathek abrufbar. (Bild: ARTE / Schmidt & Paetzel Fernsehfilme)
Kampfpause für einen deutschen Soldaten: Körperlich und seelisch wird den Männern bei der Schlacht um Stalingrad alles abverlangt. Der Film "Stalingrad - Stimmen aus Ruinen" ist in der ARTE-Mediathek abrufbar. (Bild: ARTE / Schmidt & Paetzel Fernsehfilme)

Heute vor 80 Jahren, am 2. Februar 1943, endete die Schlacht um Stalingrad. Welche zeitgeschichtlichen TV-Dokumentationen erinnern daran? Und was hätte wohl ein Guido Knopp zu diesem Jahrestag veranstaltet?

Noch vor zwei Jahrzehnten kannte wohl jeder Deutsche dieses Datum. Aber wie sieht es heute aus? - Vor genau 80 Jahren, am 2. Februar 1943, endete mit der Kapitulation des Nordkessels die Schlacht um Stalingrad. Das Datum gilt für viele Historiker nach wie vor als einer der großen Wendepunkte des Zweiten Weltkrieges, auf jeden Fall ist es von größter Symbolik - sowohl in Deutschland als auch in Russland und den Ländern der ehemaligen Sowjetunion. Die brutalen Gefechte im Winter 1942/43 kosteten eine Million Menschen das Leben. Für Russland, das in Stalingrad mehr als eine halbe Million Tote zu beklagen hatte, spielt der Sieg noch heute eine zentrale Rolle im nationalen Selbstverständnis.

Der lange Schatten von Stalingrad reicht bis in die Gegenwart, und anders als bei vergangenen Jahrestagen, sieht man das Geschehen in der Millionenstadt, die seit 1961 Wolgograd heißt, nun mit neuem Blick, denn es gibt wieder einen Krieg in Europa - und es gibt Parallelen. Fraglos ist der Bedarf an zeitgeschichtlicher Aufklärung in Zeiten wie diesen so groß wie selten zuvor. Doch das Angebot an Dokumentationen, die an die Kesselschlacht erinnern, die für Hitlers 6. Armee zum Verhängnis wurde, erinnern, ist bei ARD und ZDF alles andere als üppig. Man darf sich fragen, warum das so ist und was wohl ein Guido Knopp, langjähriger Leiter der ZDF-Redaktion Zeitgeschichte, zu diesem Jahrestag alles veranstaltet hätte.

In einem Interview, das er anlässlich seines 75. Geburtstags (am 29. Januar) der Nachrichtenagentur teleschau gab, wurde Knopp genau das gefragt. Die Antwort, des prominenten Zeitgeschichtlers, der vor zehn Jahren in den Ruhestand ging: "Ich hätte mir da schon einiges einfallen lassen, keine Frage. Aber wahrscheinlich hätte ich es damit auch nicht mehr in die Primetime geschafft ... Es sind andere Zeiten, auch was die Medien angeht."

"Als ich zum ZDF kam, war da nichts mit zeitgeschichtlichen TV-Dokumentationen. Ich musste, nein, ich konnte bei null beginnen", blickt Guido Knopp (mit dem Bayerischen Fernsehpreis 2013) im Interview mit der Agentur teleschau  zurück. Er baute ab 1984 die ZDF-Redaktion Zeitgeschichte auf.  (Bild: 2013 Getty Images/Dominik Bindl)
"Als ich zum ZDF kam, war da nichts mit zeitgeschichtlichen TV-Dokumentationen. Ich musste, nein, ich konnte bei null beginnen", blickt Guido Knopp (mit dem Bayerischen Fernsehpreis 2013) im Interview mit der Agentur teleschau zurück. Er baute ab 1984 die ZDF-Redaktion Zeitgeschichte auf. (Bild: 2013 Getty Images/Dominik Bindl)

Knopp: "Durften die Hoch-Zeiten der Dokumentation erleben"

Guido Knopp erklärte im teleschau-Gespräch natürlich auch, wie er das meint. "Wir durften die Hoch-Zeiten der Dokumentation erleben und mitgestalten." Aber er finde schon, dass seine "tüchtigen Nachfolger" gute Arbeit machen. Zeitgeschichte, so der Mann, der mit seinem nicht unumstrittenen Credo "Aufklärung braucht Reichweite" und zahlreichen großen Doku-Reihen über den Zweiten Weltkrieg selbst Geschichte schrieb, werde nur heute eher fiktional mit szenischen Darstellungen erzählt. "Das erzeugt beim Publikum von heute mehr Wirkung als eine Dokumentation." Er nannte als Beispiele einige "sehr gute Formate" aus den vergangenen Jahren - von Serien wie "Babylon Berlin" oder "Das Boot" bis hin zu Spielfilmen wie "Die Wannseekonferenz".

Dass seine großen Reihen wie "100 Jahre" oder "Der verdammte Krieg" nicht in der ZDF-Mediathek zu finden sind, habe "leider mit der Rechtefrage zu tun", erklärte der Historiker. "Immerhin kann man die Reihen noch auf DVD erwerben." Knopp ist überdies überzeugt: "Das Gute an einem Geschichtsfilm ist, dass er nicht altert." Das Interesse an seinen alten Sendungen sei nach wie vor groß. "Ich werde immer wieder danach gefragt", ließ er im teleschau-Interview wissen. "Mich freut das", sagte er, um mit einem Augenzwinkern zu ergänzen: "Vielleicht wäre die Zeit in der Tat reif für eine Art History-Netflix." Doch er weiß: alles eine Frage der Rechte - und damit nicht zuletzt der finanziellen Mittel.

Was vor 80 Jahren mit der Kapitulation der 6. Armee endete, war einer der großen Wendepunkte des Zweiten Weltkrieges. Die langen Schatten der Schlacht von Stalingrad reichen bis in die Gegenwart. "ZDF-History" geht auf Spurensuche. Der Film "Stalingrad - die Schlacht, die niemals endet" ist in der ZDF-Mediathek abrufbar. (Bild: ZDF / PhotoQuest)
Was vor 80 Jahren mit der Kapitulation der 6. Armee endete, war einer der großen Wendepunkte des Zweiten Weltkrieges. Die langen Schatten der Schlacht von Stalingrad reichen bis in die Gegenwart. "ZDF-History" geht auf Spurensuche. Der Film "Stalingrad - die Schlacht, die niemals endet" ist in der ZDF-Mediathek abrufbar. (Bild: ZDF / PhotoQuest)

"Wir haben uns einer bösen Illusion hingegeben"

"Mein Ziel war, dafür zu sorgen, dass Zeitgeschichte nicht nur für den Professor attraktiv ist, sondern für die breite Masse", erklärte Knopp: "Für den Arbeiter, der abends müde nach Hause kommt und sich vor dem Fernseher entspannen will und etwas Unterhaltung sucht - und dabei trotzdem etwas lernt. Die Kunst war, das Ganze spannend und kurzweilig zu gestalten." Vor allem die großen Reihen über den Zweiten Weltkrieg aus seinem Hause reüssierten. Eine der bekanntesten, "Der verdammte Krieg - Das Unternehmen Barbarossa", realisierte Knopp damals mit Valerij Korsin vom russischen Fernsehen. Es gab, aus heutiger Sicht fraglos ein Kuriosum, sogar eine gemeinsame Anmoderation auf dem Roten Platz in Moskau.

"Das war 1990 - direkt nach dem Fall der Mauer", erinnert sich der ehemalige ZDF-Historiker. "Heute wäre das völlig undenkbar. Aber damals war alles möglich, nachdem die deutsch-sowjetischen Beziehungen schon in den 80er-Jahren erste geradezu romantische Züge angenommen hatten. Die Einheit wurde uns von den russischen Freunden ja gewissermaßen geschenkt. Es herrschte ein Gefühl des Aufbruchs, des Miteinanders."

So komisch das heute klingen möge, sagte Knopp, "damals war das einfach so ein leichtes Gefühl: Es war die Zeit der Annäherung, es entstanden Freundschaften." Vieles schien nach seinen Worten möglich in dieser Stimmung - "auch ein solches Gemeinschaftsprojekt, eine Dokuserie über das schwierigste Kapitel der gemeinsamen Geschichte". Die Zusammenarbeit habe er damals als "sehr offen und freundschaftlich" wahrgenommen. "Ich hatte Zugang zu Archiven, zu Akten, von denen ich dachte, sie würden uns für immer verschlossen bleiben. Es war ein großes Abenteuer. Eine wunderbare Zeit. Leider, leider ist das alles vorbei. Vorerst zumindest."

Gezeigt wurden damals 18 Folgen, die in Deutschland und in der Sowjetunion zur gleichen Sendezeit ausgestrahlt wurden - "ein Ereignis, das wir letztendlich wie so vieles auch Michail Gorbatschow zu verdanken hatten", betont der Professor, den es "betrübt, zu sehen, was nach seiner Ära als Staatschef aus dem Land geworden ist". Nach Gorbatschow habe "sich so vieles in Russland zum Negativen verändert, dass es mir richtig wehtut".

Guido Knopp kam 1978 im Alter von 30 Jahren zum ZDF, wo er später als Leiter der Redaktion Zeitgeschichte vor allem mit seinen "Weltkriegs-Dokus" Fernsehgeschichte schrieb. 2013 ging Knopp in Pension - es ist ein Unruhestand, wie er selbst sagt. Am 29. Januar vollendete er sein 75. Lebensjahr. (Bild: PHOENIX / ZDF / Kerstin Bänsch)
Guido Knopp kam 1978 im Alter von 30 Jahren zum ZDF, wo er später als Leiter der Redaktion Zeitgeschichte vor allem mit seinen "Weltkriegs-Dokus" Fernsehgeschichte schrieb. 2013 ging Knopp in Pension - es ist ein Unruhestand, wie er selbst sagt. Am 29. Januar vollendete er sein 75. Lebensjahr. (Bild: PHOENIX / ZDF / Kerstin Bänsch)

Mediathek-Tipp: "Stalingrad - Stimmen aus Ruinen"

Derartige freundschaftliche Kooperationen erscheinen heute in der Tat wie aus einer anderen Zeit. Immerhin: Ein paar sehenswerte Programme, welche die historischen Zusammenhänge ausloten, sind auch heute, 80 Jahre nach dem Gemetzel von Stalingrad zu sehen. Im ZDF lief am vergangenen Wochenende die "ZDFHistory"-Dokumentation "Stalingrad - die Schlacht, die niemals endet". Der Film, der auch in der Mediathek abrufbar ist, geht mit bemerkenswerter Tiefenschärfe der Frage nach, wie aus dem "Sterben an der Wolga" dieser Mythos entstand. Analysiert wird nicht nur der Verlauf der Schlacht, sondern auch "ihre Nachwirkungen bis in die Gegenwart". Ähnlich ausgerichtet ist auch der wesentlich kürzere Beitrag "Russland: Mythos Stalingrad", der am Sonntag im Rahmen der "Weltspiegel"-Sendung im Ersten gezeigt wurde. In den Mediatheken beider Sender finden sich noch diverse ältere zeitgeschichtliche Dokumentationen zum Thema.

Einer der packendsten Beiträge ist in der ARTE-Mediathek zu finden. Der 90-Minüter "Stalingrad - Stimmen aus Ruinen" (ausgestrahlt am 3. Januar, auch in der ARD-Mediathek) von Artem Demenok widmet sich der brutalen Schlacht, die über eine Million Opfer forderte, ganz aus Sicht derjenigen, die sie am eigenen Leib erleben mussten: Zivilisten und Soldaten, auf sowjetischer und deutscher Seite, hinterließen Tagebucheinträge und Briefe aus einer Stadt im Feuer. Teils sind es die letzten Andenken eines ausgelöschten Menschenlebens. Es handelt sich um direkt aus der Situation entstandene, ungeschönte Notizen ohne Angst vor möglichen Folgen. Präzise und emotional wie ein guter Spielfilm. Guido Knopp hätte es kaum besser machen können.

Wer sich für die fiktionale Aufarbeitung der Stalingrad-Schlacht interessiert, ist nach wie vor bei Joseph Vilsmaiers Kriegsepos "Stalingrad" (1993, erhältlich auf DVD und Blu-ray sowie bei diversen Streaminganbietern) am besten aufgehoben. Außerdem empfiehlt sich Jean-Jacques Annauds mit Weltstars gespicktes Drama "Duell - Enemy at the Gates" (2001, ebenfalls auf DVD und Blu-ray sowie bei diversen Streaminganbietern zu sehen).

Hans Joachim Martius kämpfte 1942 als Leutnant der 6. Armee im Kessel von Stalingrad. Er starb am 25. Dezember wahrscheinlich durch einen Granatentreffer. Im Film wird aus seinen Briefen an seine Mutter zitiert, in denen er den Vormarsch und die Kämpfe schilderte. (Bild: ZDF / Jörg Müllner)
Hans Joachim Martius kämpfte 1942 als Leutnant der 6. Armee im Kessel von Stalingrad. Er starb am 25. Dezember wahrscheinlich durch einen Granatentreffer. Im Film wird aus seinen Briefen an seine Mutter zitiert, in denen er den Vormarsch und die Kämpfe schilderte. (Bild: ZDF / Jörg Müllner)