Nationalmannschaft in der Einzelkritik - DFB-Gruppensieg hat vier große Gewinner - ein Hoffnungsträger enttäuscht besonders

Während sich in den drei Spielen vier Gewinner herauskristallisiert haben, enttäuschte ein Hoffnungsträger.<span class="copyright">dpa</span>
Während sich in den drei Spielen vier Gewinner herauskristallisiert haben, enttäuschte ein Hoffnungsträger.dpa

Die EM-Gruppenphase der DFB-Elf ist beendet, Deutschland ist Gruppensieger. Zeit, ein erstes Fazit zum gesamten Kader zu ziehen. Während sich in den drei Spielen vier Gewinner herauskristallisiert haben, enttäuschte ein Hoffnungsträger. Die große Einzelkritik.

Torhüter - Neuer der klare Gewinner der Gruppenphase, ter Stegen bleibt nur die Bank

Manuel Neuer (der 1. Gewinner): Im Saisonendspurt mit dem FC Bayern und den Vorbereitungsspielen der Nationalmannschaft mit ungewöhnlich vielen Schwächen. Gegen Ungarn und die Schweiz dann überragend. Rettete mehrfach in höchster Not gegen starke Ungarn und kratzte Xhakas Distanzschuss gegen die Schweiz in der Schlussphase aus dem Winkel. Kurz darauf fiel der Ausgleich. Hat seine Kritiker verstummen lassen.

Marc-André ter Stegen : Hätte sich leistungstechnisch vor EM-Start durchaus Hoffnung auf den Startplatz machen dürfen. Doch Nagelsmann legte sich früh und trotz aller Patzer auf Neuer als Stammkeeper fest - und bekam Recht. So erneut zum Zuschauen verdammt. Wohl der beste Nationalkeeper der vergangenen Jahre, der nie feste Nummer Eins seines Landes war.

Oliver Baumann: Als dritter Keeper mitgenommen, als dritter Keeper auf der Bank. Alles wie erwartet.

Verteidigung - BVB-Star profitiert, bitteres Ende für Tah

Nico Schlotterbeck (der 2. Gewinner) : War vor dem Turnier Wackelkandidat für den Kader. Jetzt ist er der große Gewinner in der Defensive - und das trotz gerade mal 30 Minuten Einsatzzeit. Weil Tah sich zwei gelbe Karten abholte und damit im Achtelfinale gesperrt ist, dürfte der Dortmunder dort in die Startelf rücken. Verteidigte die letzte halbe Stunde gut gegen die Schweiz. Wenn er im Achtelfinale abliefert, ist auch er ein Startelf-Kandidat im Viertelfinale.

David Raum : Mit Niclas Füllkrug DER Gewinner des Schweiz-Spiels . Kam rein, sorgte mit einem Fernschuss für einen Hauch von Gefahr, dann eine perfekte Flanke auf Füllkrug und der Ausgleich. Hat damit Pluspunkte gesammelt, dürfte im Achtelfinale dennoch wieder auf die Bank wandern.

Jonathan Tah: Das Gegenstück zu Schlotterbeck: Galt vor dem Turnier als gesetzt, war es auch - dann holte er sich die Sperre ab. Muss nun im Achtelfinale zugucken und droht damit seinen Stammplatz auch darüber hinaus zu verlieren. Trotz guter Leistungen, insbesondere gegen Ungarn, damit in der Abwehr der Verlierer der Gruppenphase.

Joshua Kimmich : Seit Tuchels Aus beim FC Bayern feststand, ist er auf die ungeliebte Position des Rechtsverteidigers zurückgerutscht. Nimmt diese Rolle seitdem auch bei der Nationalmannschaft ein. Gegen Schottland defensiv kaum gefordert, dafür mit kluger Vorarbeit beim Wirtz-Tor zum 1:0. Gegen Schottland defensiv mit Problemen bei Kontern, gegen die Schweiz fiel das Gegentor über seine Seite. Trotzdem eine solide Gruppenphase, hat sich als Rechtsverteidiger gefunden.

Maximilian Mittelstädt: Entwickelte sich dank überragender Leistungen beim VfB Stuttgart zur großen Hoffnung, dass das seit Jahren andauernde Linksverteidiger-Problem der Nationalmannschaft endlich lösen würde. Wie alle Defensiven gegen Schottland kaum gefordert, gegen Ungarn defensiv solide und mit starker Vorarbeit für Gündogan. Gegen die Schweiz dann mit vielen Problemen, wurde von Nagelsmann schließlich ausgewechselt. Sein Ersatz bereitete im Anschluss den Ausgleich vor. Enttäuschende Leistung des Stuttgarters, dürfte im Achtelfinale dennoch gesetzt sein.

Antonio Rüdiger : Der Abwehrchef kam als frischgebackener Champions-League-Sieger zur Nationalmannschaft. Gegen Schottland gelangweilt, gegen Ungarn solide, gegen die Schweiz mit einigen Problemen. Ist eigentlich weiter gesetzt, hat nach dem letzten Gruppenspiel aber eine Zerrung im Oberschenkel . Bleibt trotz einiger Wackler der Abwehrboss bei der Nationalmannschaft - Daumen drücken, dass es für das Achtelfinale reicht.

Waldemar Anton: Einer der Gewinner der Saison mit dem VfB Stuttgart. Kam in der Gruppenphase bisher zu keinem Einsatz. Fiel durch seinen Wechsel zum BVB auf, der sich während des Turniers anbahnte. Kassiert dort eine saftige Gehaltserhöhung, also zumindest finanziell ein Gewinner.

Benjamin Henrichs : Hat die undankbare Aufgabe, das Backup für Joshua Kimmich zu sein. Der ist aber gesetzt. Kam wie Anton bisher auf keinen Einsatz bei der EM .

Robin Koch : Für viele kam es überraschend, dass der Frankfurter es überhaupt in den Kader schaffte. Hatte sich wohl Hoffnung gemacht, dass er es vor dem Heimpublikum gegen die Schweiz vielleicht zu einem Kurzeinsatz reichen könnte. Das erübrigte sich dann aufgrund des Spielverlaufs. Auch eher keine Option, den gesperrten Tah im Achtelfinale zu vertreten.

Mittelfeldspieler/Angreifer - Zwei Dortmunder sind Gewinner, ein Double-Sieger enttäuscht besonders

Emre Can (der 3. Gewinner): Einer der vier großen Gewinner dieser Gruppenphase. Wurde nur wenige Tage vor Beginn des Turniers für den verletzten Aleksandar Pavlovic nachnominiert - und aus seinem Urlaub nach Herzogenaurach befördert. Er trainierte einmal mit der Mannschaft, bekam dann im Auftaktspiel gegen Schottland direkt Einsatzminuten. Und zahlte das mit einem Tor zurück. Auch gegen Ungarn eingewechselt und Teil des am Ende mehr oder weniger souveränen 2:0-Sieges.

Niclas Füllkrug (der 4. Gewinner): Beim BVB unangefochtener Stammspieler, beim DFB jetzt Backup für den spielstärkeren Havertz. Traf zweimal als Edeljoker zum unbedeutenden 4:0 gegen Schottland und zum viel umjubelten Ausgleich gegen die Schweiz. Rettete damit den Gruppensieg. Gut möglich, dass er im Achtelfinale trotzdem zunächst auf der Bank sitzt, liefert sich mit Havertz aber das wohl offenste Duell um einen Startplatz. Durch seine zwei Joker-Tore einer der Gewinner der Gruppenphase.

Florian Wirtz (die überraschende Enttäuschung): Dass an dieser Stelle das Fazit „enttäuschend“ steht, hätten wir vor dem Turnier nicht erwartet. Und um das einmal einzuordnen: Wirtz spielt nicht unglaublich schlecht, gerade im Spiel gegen Schottland überzeugte er, erzielte das erste EM-Tor. Gegen Ungarn und die Schweiz war er allerdings dann kaum ein Faktor, kam viel zu selten in die gefährlichen Räume und wurde in allen drei Spielen ziemlich früh vom Platz genommen. Zur Wahrheit gehört dabei: Der Double-Sieger von Bayer Leverkusen spielt unglaublich intensiv, macht viele Meter auch gegen den Ball und arbeitet so für das Team. Und zur Wahrheit gehört auch: Angesichts mangelnder leistungstechnischer Alternativen (siehe Sané) wird Wirtz auch im Achtelfinale starten.

Mittelfeldspieler/Angreifer - Bayern-Star einer der Verlierer, der Kapitän stabilisiert sich

Leroy Sané: Einer der Verlierer dieser Gruppenphase. War die Wochen vor der EM nie bei 100 Prozent, dann von Nagelsmann allerdings für fit erklärt. Drei Einwechslungen später muss man konstatieren: Von dem Sané, der ein Spiel alleine entscheiden kann, ist kaum etwas zu sehen. Der Bayern-Star wirkt verkrampft, will zu viele Dinge erzwingen und lässt so ziemlich alles vermissen, was ihn eigentlich so stark macht.

Robert Andrich: Ging als klarer Gewinner ins Turnier, neben Kroos auf der Doppel-Sechs absolut gesetzt. Dann im ersten Spiel zur Halbzeit gelb vorbelastet vom Platz, auch gegen Ungarn und die Schweiz vorzeitig runter. Dürfte dennoch auch im Achtelfinale starten.

Toni Kroos: Die letzten Fußballspiele in der Karriere des Toni Kroos. Und jeder erwartete vom Mittelfeld-Strategen, dass er das deutsche Spiel sofort an sich reißt. Was er auch tat. Lediglich gegen die Schweiz mit einigen ungewohnten Fehlpässen, ansonsten der absolute Ruhepol in der Zentrale.

Pascal Groß: Machte in der Vorbereitung in Abwesenheit von Kroos auch Spiele von Anfang an, seine Reservistenrolle war aber schon im Vorhinein klar. Lediglich eine Einwechslung ist dann aber doch eher enttäuschend für den Allrounder, gerade weil er gegen Schottland von der Bank durchaus zu überzeugen wusste.

Ilkay Gündogan: Der Kapitän war die vielleicht umstrittenste Figur in der deutschen Startelf. Gegen Schottland dann solide inklusive herausgeholtem Elfmeter, gegen Ungarn einer der besten auf dem Platz. Gegen die Schweiz wie viele Teamkollegen dann schwach. Dennoch: Seine Rolle ist vor Beginn der K.o.-Phase vor allem in der öffentlichen Wahrnehmung deutlich sicherer als noch vor Turnierstart.

Jamal Musiala: Bayerns Zauberfuß lässt immer und immer wieder aufblitzen, wieso er zu den besten Spielern Europas zählt. Seine Dribblings auf engem Raum sind atemberaubend, sein Spielwitz lässt die Deutschen in ihren Wohnzimmern schwärmen. Aber: Nach zwei starken Spielen war auch er gegen die Schweiz viel zu fahrig, vertändelte einfache Bälle und ließ vorne häufig die nötige Konsequenz vermissen.

Mittelfeldspieler/Angreifer - Arsenal-Stürmer droht Bank, Müller und Undav glänzen als Spaßvögel

Kai Havertz : In der Rolle als Mittelstürmer stark gegen überforderte Schotten, gegen Ungarn und die Schweiz enttäuschend. Gut möglich, dass er seinen Platz in der Startelf an Füllkrug verliert.

Chris Führich: Auch bei Stuttgarts aufstrebendem Flügelspieler war die Rolle sehr klar - allzu viel Spielzeit wird er nicht kriegen. Am Ende waren es rund 20 Minuten gegen Ungarn, in denen er keine entscheidenden Akzente setzen konnte.

Maximilian Beier: Wohl der große Gewinner der Vorbereitung. Von vielen als Streichkandidat gehandelt, verdiente er sich durch eine tolle halbe Stunde gegen die Ukraine seinen EM-Platz. Danach dann aber nur noch auf der Bank, erst gegen die Schweiz am Sonntag bekam er 20 Minuten, um sich zu zeigen. Hätte einen Elfmeter bekommen können, so bleibt er eine Randnotiz.

Thomas Müller : Kam gegen Schottland zu einem Kurzeinsatz vor dem Münchener Publikum, sonst keine Einsätze. Glänzt dafür in seiner Rolle als Thomas Müller: Sorgt für gute Laune im Team, meckert nicht, ist immer für Späße aufgelegt. Unfassbar wichtig für die Stimmung. Wenn dieser Müller mal seine Karriere beendet, bekommen Deutschland (und der FC Bayern) ein Problem.

Deniz Undav : Der nächste Stuttgarter Überflieger. In der Bundesliga überragend, beim DFB bisher ohne großen Einfluss auf dem Platz. Daneben kongenialer Partner von Thomas Müller in der Rolle des Mannschafts-Clowns.