Nena und die andere Meinung - „Ekelt mich an“: Wegen Bürgergeld für Ukrainer zoffe ich mich mit CDU-Mann

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Nena Brockhaus, Julian Weber/dpa

Aktuell kocht die Debatte um das Bürgergeld für ukrainische Wehrpflichtige hoch. Der CDU-Bundestagsabgeordnete Christoph Ploß findet: Das muss zwingend diskutiert werden. Ich meine: was für eine Nebelkerze. Schenken Sie mir einen Augenblick für beide Meinungen.

Wer mich kennt, weiß: Ich bin nicht für das Bürgergeld, sondern dagegen. Auch finde ich es bedenklich, dass in anderen Ländern wie Polen oder Dänemark viel mehr Ukrainer in Arbeit sind als bei uns. Ich halte das Bürgergeld für eine Bremse bei der Arbeitsaufnahme. Was man vom deutschen Staat bekommt? 563 Euro pro Monat. Zusätzlich gibt es Zahlungen für Wohnraum und Heizung, Beiträge zur Kinder- und Pflegeversicherung, Leistungen für Bildung und Teilhabe von Kindern und Jugendlichen, einen Mehrbedarf in besonderen Lebenssituationen und ja, auch die einmalige Unterstützung für Anschaffungskosten nach einem Umzug. Außerdem kann man noch 100 Euro brutto monatlich dazuverdienen. Bei höher liegenden Einkommen gibt es erst Abzüge, von der Schwarzarbeit ganz zu schweigen.

 

Wenn ich dann manche Grünen-Politiker über eine noch humanere Aufnahme sprechen höre, kann ich nur mit dem Kopf schütteln. Doch die aktuelle Debatte, dass speziell ukrainische Wehrpflichtige in Deutschland nicht länger Bürgergeld beziehen sollen, lässt mich irritiert zurück. Bayerns Innenminister Joachim Herrmann will das schon länger. Aber ist es rechtlich überhaupt möglich, eine bestimmte Gruppe, in diesem Fall wehrpflichtige Ukrainer, vom Bürgergeld auszuschließen? Und wie viele Ukrainer betrifft das eigentlich?

Auf Stimmenfang ohne Rechtsgrundlage

In ganz Deutschland befinden sich aktuell rund 260.000 ukrainische Männer zwischen 18 und 60 Jahren. Diese Zahl nennt das Bundesinnenministerium unter Verweis auf das Ausländerzentralregister. Insgesamt sind gut 1,1 Millionen ukrainische Flüchtlinge in Deutschland registriert – die meisten davon sind Frauen und Kinder.

Der CDU-Politiker Michael Stübgen findet: „Es passt nicht zusammen, davon zu reden, die Ukraine bestmöglich zu unterstützen – und im gleichen Atemzug fahnenflüchtige Ukrainer zu alimentieren.“ Und der Parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion im Bundestag, Thorsten Frei, twitterte: „Die Bürgergeld-Zahlungen an die Kriegsflüchtlinge setzen völlig falsche Anreize. Während es für Kiew angesichts des brutalen russischen Angriffs um alles geht, ducken sich hierzulande viele wehrfähige Ukrainer weg. Das Land braucht nicht nur Waffen, sondern auch Soldaten.“

Für mich ist die Forderung, das Bürgergeld für wehrpflichtige Ukrainer auszusetzen, glasklar eine Nebelkerze. Da scheinen die Herren Politiker auf Stimmenfang zu sein, aber ohne rechtliche Grundlage. Das Verfassungsgericht würde das niemals zulassen. Und blicken wir neben der rechtlichen Komponente einmal auf die emotionale.

Psychologische Kriegs-Mobilmachung ekelt mich an

Die Worte „fahnenflüchtig“ und „wegducken“ wecken in mir ein Störgefühl. Als wäre Flucht vor Krieg nicht in Ordnung. Mich erinnert das daran, wie junge Britinnen ab 1914 fremden Männern weiße Federn überreichten und sie so öffentlich als vermeintliche Kriegsverweigerer und Feiglinge brandmarkten. Etliche der Gedemütigten trieb die Schmach zur Front – direkt in den Tod. Solch psychologische Kriegs-Mobilmachung ekelt mich an.

 

Ich greife zum Hörer und rufe den CDU-Bundestagsabgeordneten Christoph Ploß an. Was denkt er über die Diskussion rund um das Bürgergeld für wehrpflichtige Ukrainer? Ploß ist promovierter Historiker und einer meiner liebsten Diskussionspartner. Unsere Debatten sind immer hitzig und immer fair. So wie eine gute Debatte eben sein sollte.

„Das Bürgergeld gehört generell reformiert“

Brockhaus: Hallo Christoph, wo erreiche ich dich?

Ploß: Hallo Nena, in Hamburg-Winterhude. Ich komme gerade von einem Austausch mit Senioren bei mir im Wahlkreis.

Brockhaus: Der bayerische CSU-Innenminister Herrmann hat dem „Redaktionsnetzwerk Deutschland“ gesagt: Es könne nicht sein, dass wir weitere Anstrengungen unternehmen, um die Ukraine in ihrer Verteidigung gegen Russland zu unterstützen und gleichzeitig zu prämieren, wenn sich jemand der Wehrpflicht entzieht. Siehst du das auch so?

Ploß: Die Aussage teile ich zu 100 Prozent.

Brockhaus: Also forderst du auch, wehrpflichtigen ukrainischen Männern das Bürgergeld zu entziehen?

Ploß: Ich finde, das Bürgergeld gehört generell reformiert. Ich finde es falsch, wenn Menschen, die arbeiten könnten, Bürgergeld beziehen. Das Bürgergeld sorgt insgesamt dafür, dass Menschen nach Deutschland kommen, weil sie sehen, dass sie hier Sozialleistungen beziehen können, ohne arbeiten zu müssen. Das ist einer der Gründe, warum die Migrationspolitik der Ampelkoalition verfehlt ist. Wir müssen das Bürgergeld in seiner heutigen Form dringend abschaffen.

„Für mich ist das ein Widerspruch“

Brockhaus: Du kennst meine Meinung: Ich halte das Bürgergeld auch für eine Bremse bei der Arbeitsaufnahme. Aber die Forderung, dass speziell ukrainische Wehrpflichtige kein Bürgergeld mehr beziehen sollen, ist doch schlicht Nonsens. Und Begriffe wie „wegducken“ sind psychologische Kriegsmobilmachung. Rechtlich auch nicht möglich. Warum zündet ihr innerhalb der Union solch eine Nebelkerze?

Ploß: Es ist keine Nebelkerze, sondern eine Debatte, die wir führen müssen. Wir helfen der Ukraine zu Recht sehr. Wenn wir die Ukraine auf der einen Seite mit Milliarden unterstützen, müssen wir auf der anderen Seite auch die Debatte führen, ob es sinnvoll ist, ukrainischen Männern, die eigentlich in der Ukraine wehrpflichtig sind, in Deutschland Bürgergeld zu zahlen. Für mich ist das ein Widerspruch.

Brockhaus: Es ist etwas anderes, sein Leben zu riskieren, als Geld zu zahlen, Christoph.

Ploß: Nena, nochmal: Wir müssen alles tun, damit die Ukraine nicht von Putin überrollt wird. Das finde ich richtig, aber dazu trägt es doch nicht bei, wenn wehrpflichtige ukrainische Männer hier Bürgergeld kassieren. Das kannst du doch nicht richtig finden. Die Ukraine hat demokratisch Regeln aufgestellt und verlangt, dass diese Männer zurückkehren. Laut ukrainischer Gesetzgebung müssen diese Männer die Ukraine verteidigen.

„Würdest du im Kriegsfall für Deutschland kämpfen?“

Brockhaus: Glaubst du, ohne das deutsche Bürgergeld würden die wehrpflichtigen Männer für die Ukraine kämpfen?

Ploß: Das mag für einige gelten, für andere nicht. Aber darum geht es hier nicht in erster Linie. Es geht darum, dass unser Staat einerseits die Ukraine unterstützt und ihr beispielsweise mit Waffen und Geld hilft, gegen Russland zu bestehen – und dann auf der anderen Seite wehrpflichtige ukrainische Männer in Deutschland alimentiert. Das ist ein Widerspruch.

Brockhaus: Ich bin generell dafür, dass neu ankommende Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine künftig kein Bürgergeld mehr bekommen, sondern unter das Asylbewerberleistungsgesetz fallen. Aber in dieser Forderung, dass insbesondere wehrpflichtige Männer kein Bürgergeld bekommen sollen, schwingt mit, dass jeder, der nicht für sein Land kämpft, feige und ein Drückeberger ist. Dass er bestraft werden muss. Das missfällt mir. Ich bin da auch ehrlich: Ich würde meinen Sohn, wenn er erwachsen ist, niemals in den Krieg schicken. Unter keinen Umständen. Meinen Mann auch nicht. Würdest du im Kriegsfall für Deutschland kämpfen?

Ploß: Ich habe damals Zivildienst absolviert, wie du ja weißt. Es war eine andere Zeit. Heute würde ich zur Bundeswehr gehen. Und ja: auch im Kriegsfall für Deutschland kämpfen und unser Land verteidigen.

„Wenn es um Krieg geht, ist die Wortwahl entscheidend“

Brockhaus: Immerhin verlangst du im Gedankenspiel von dir selbst dasselbe. Aber findest du die Rhetorik richtig? Dein Kollege Michael Stübgen spricht von Fahnenflucht.

Ploß: Das Wort Fahnenflucht mache ich mir nicht zu eigen. Ich halte aber das Bürgergeld, so wie es die Ampelkoalition beschlossen hat, für grundfalsch. Das Bürgergeld muss in dieser Form weg. Du bist doch sonst auch immer für offene Debatten. Warum also nicht für die Debatte um das Bürgergeld für wehrpflichtige Ukrainer?

Brockhaus: Ich finde, insbesondere wenn es um Krieg geht, ist die Wortwahl entscheidend. Und „wegducken“, „Fahnenflucht“ – diese Begriffe gleichen für mich psychologischer Kriegsführung von Menschen, die selbst nicht betroffen sind und nicht in den Krieg müssen.

Ploß: Ich finde, dass in Deutschland häufig zu schnell zum Ausdruck gebracht wird: „Das darf man nicht sagen“. Dann geht es oft gar nicht mehr um die eigentliche Sache, sondern nur noch darum, ob man bestimmte Wörter verwenden darf oder nicht. Das ist einer der Gründe, warum sich laut Umfragen inzwischen nur noch 50 Prozent der Deutschen trauen, ihre politische Meinung frei zu äußern. Wir sollten auch die Debatte über das Bürgergeld für wehrpflichtige Ukrainer zulassen.

Die Ampelkoalition setzt falsche Anreize

Brockhaus: Jetzt stell mich hier mal nicht in die debattenfeindliche Ecke. Zur freien Debattenkultur gehört auch, eine Debatte als Nebelkerze zu empfinden. Insbesondere, weil es rechtlich nicht möglich ist. Aber lass uns eine Einigung erzielen. Vielleicht das gemeinsame Verständnis, dass definitiv zu wenige Ukrainer in Deutschland arbeiten?

Ploß: Ja! Daran sieht man sehr gut, dass die Ampelkoalition unter anderem mit dem Bürgergeld die völlig falschen Anreize setzt. In Schweden oder Großbritannien sind laut Friedrich-Ebert-Stiftung beispielsweise bereits über 50 Prozent der ukrainischen Flüchtlinge in den Arbeitsmarkt integriert, in Dänemark oder Polen sind es sogar noch mehr. Daran kann man sehen, dass in Deutschland etwas falsch läuft.

Wir legen auf. In diesem Fall möchte ich die Debatte einfach auf Sie, liebe Leser, wirken lassen. Sind Sie Team Brockhaus oder Team Ploß? Stimmen Sie ab in den Kommentaren. Seien Sie sich gewiss, ich lese immer all Ihre Kommentare. Jeden Einzelnen. Jede Woche. In diesem Sinne: Wenn Sie mögen, lesen wir uns nächste Woche Samstag wieder.

Ihre Nena Brockhaus