Hunderte Menschen demonstrieren in Berlin gegen Netanjahus Politik

Begleitet von Protesten hat Bundeskanzler Olaf Scholz den israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu in Berlin empfangen.

Berlin: Demonstranten protestieren vor dem Brandenburger Tor gegen die Politik in Israel
Berlin: Demonstranten protestieren vor dem Brandenburger Tor gegen die Politik in Israel. (Bild: Carsten Koall/dpa)

Am Donnerstag haben sie der Opfer des Holocaust gedacht. Die beiden Regierungschefs besuchten das Mahnmal Gleis 17 am Bahnhof Grunewald in Berlin, von wo aus 1941 und 1942 etwa 10.000 Juden mit Zügen der Reichsbahn in Arbeits-, Konzentrations- und Vernichtungslager der Nazis gebracht wurden.

Anschließend sind ein gemeinsames Mittagessen und eine Pressekonferenz im Kanzleramt geplant. Später wird Netanjahu dann noch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier im Schloss Bellevue treffen.

Demonstration am Brandenburger Tor angekündigt

Wegen des Besuchs müssen Autofahrer, Fahrradfahrer und Fußgänger in Berlin mit deutlichen Einschränkungen rechnen. Vor allem die Bereiche rund um das Bundeskanzleramt und das Schloss Bellevue seien betroffen, teilte die Verkehrsinformationszentrale Berlin mit. Einschränkungen gelten auch im Flugverkehr über ganz Berlin und dem näheren Umland, wie die Polizei mitteilte.

Mehr als 3000 Polizisten werden den Besuch absichern, der von mehreren Demonstrationen begleitet wird. Sie richten sich vor allem gegen die von Netanjahus rechts-religiöser Regierung geplante Justizreform. Dem israelischen Parlament soll es ermöglicht werden, Entscheidungen des höchsten Gerichts aufzuheben. Kritiker sehen dadurch die Gewaltenteilung in Gefahr. Hunderte Demonstranten haben protestiert. Sie versammelten sich vor allem am Nachmittag im Regierungsviertel und am Brandenburger Tor. Die Polizei sprach von 400 bis 500 friedlichen Demonstranten. Angemeldet waren ursprünglich 1000 Teilnehmer.

Polizei
Mehr als 3000 Polizisten sind im Einsatz. (Bild: dpa)

In Israel selber fanden ebenfalls Proteste statt: In der Küstenstadt Tel Aviv demonstrierten die Menschen an mehreren Orten. Teilweise kam es dabei zu Handgreiflichkeiten mit der Polizei. Die Demonstranten blockierten die zentrale Verbindungsstraße nach Jerusalem. Es gab zudem mehrere Vorfälle mit Attacken von Passanten oder Autofahrern auf Demonstranten.

Bereits in der Nacht zeichneten Künstler in Jerusalem eine dicke rote Linie auf der Straße, die zum Höchsten Gericht führt. Diese sollte die Verbindung zwischen einer unabhängigen Justiz und der Meinungsfreiheit symbolisieren. Fünf Künstler wurden nach Polizeiangaben festgenommen.

Reservisten der israelischen Marine blockierten unterdessen den Hafen der Küstenstadt Haifa mit Booten. "Die Marine wird nicht in eine Diktatur segeln", hieß es auf großen Bannern entlang der Boote.

In der strengreligiösen Stadt Bnei Brak eröffneten andere Reservisten eine "Musterungsstelle". Sie seien gekommen, "um die Last der Wehrpflicht an die ultra-orthodoxe Bevölkerung zu übergeben", teilten sie nach Medienberichten mit. Ohne Demokratie werde es keine Volksarmee geben. Viele junge strengreligiöse Männer in Israel sind nicht bereit, in der Armee zu dienen. Dies sorgt in anderen Bevölkerungsteilen für großen Zorn.

Auch deutsche Kritik an der Justizreform

Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses des Bundestages, Michael Roth, verteidigt dennoch den Besuch Netanjahus. "Wir erweisen ja nicht einem Ministerpräsidenten die Referenz, sondern wir bekennen uns ganz klar zur Sicherheit Israels und in den vergangenen Monaten ist die Sicherheit Israels massiv bedroht", sagte der SPD-Politiker im Deutschlandfunk. Gründe dafür seien etwa die Eskalation im Nahost-Konflikt, die Bedrohung Israels durch das iranische Atomprogramm, aber auch der russische Angriffskrieg in der Ukraine. Dennoch teile Roth die massive Kritik der israelischen Bevölkerung an der Justizreform von Netanjahus Regierung.

Kritik gibt es auch vom Bundespräsidenten Steinmeier. Der von der Regierung geplante "Umbau des Rechtsstaates" in Israel bereite Sorge - "gerade weil wir Deutsche immer mit großer Bewunderung auf den starken und lebendigen Rechtsstaat in Israel geschaut haben", sagte er vergangenen Freitag bei einem Empfang in Berlin. Steinmeier betonte, dass er in regelmäßigem Austausch mit seinem Amtskollegen Izchak Herzog sei und auf dessen "ausgleichende Stimme" in der israelischen Debatte setze.

Herzog: "Ich habe echten Hass gehört"

Kurz vor der Abreise Netanjahus schlug Herzog am Mittwochabend einen Kompromiss in dem erbitterten Streit vor, der Parlament und Regierung stärken sowie eine unabhängige Justiz gewährleisten solle. Während die Opposition Gesprächsbereitschaft signalisierte, wies Netanjahu den Vorstoß zurück. Er zementiere nur den gegenwärtigen Zustand und bringe keinen Ausgleich, sagte er nach Medienberichten.

Herzog sagte, er habe in den vergangenen Wochen mit Tausenden von Menschen auf beiden Seiten gesprochen. "Ich habe echten Hass gehört", warnte er. "Wer glaubt, dass ein echter Bruderkrieg eine Grenze ist, an die wir nicht gelangen werden, hat keine Ahnung. Wir stehen am Abgrund."

Künstler und Akademiker forderten Absage des Besuchs

Mit Spannung wird erwartet, wie Scholz bei dem Besuch mit der Reform umgehen wird. Rund 1000 israelische Künstler, Schriftsteller und Akademiker hatten in einem Schreiben an den deutschen Botschafter eine Absage gefordert. Die israelische Zeitung "Haaretz" berichtete, zur Begründung hätten sie geschrieben, Israel befinde sich in der schwersten Krise seiner Geschichte und "auf dem Weg von einer lebendigen Demokratie zu einer theokratischen Diktatur".

Netanjahu brach am Mittwochabend mit mehreren Stunden Verspätung nach Berlin auf und wird auch früher als geplant bereits heute Abend wieder abreisen. Nach israelischen Medienberichten soll eine Bombenexplosion am Montag im Norden Israels der Grund dafür sein. Über die Hintergründe war eine Nachrichtensperre verhängt worden.

Netanjahu will für Allianz gegen den Iran werben

Für Netanjahu steht bei der Reise das Werben für eine Allianz gegen den Iran im Mittelpunkt. "Wir müssen uns ganz stark dem Iran widersetzen und dafür sorgen, dass das Land keine Atomwaffen produzieren kann", sagte er nach Gesprächen mit Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) in Berlin. Israel werde "alles Nötige" tun, um dies zu verhindern.

Es gebe keine größere Gefahr als das nukleare Programm des Irans, sagte Netanjahu. Die dortige Führung habe dazu aufgerufen, den einzigen jüdischen Staat zu zerstören. "Das jüdische Volk wird keinen zweiten Holocaust zulassen." Dafür sei die Zusammenarbeit mit Israels Verbündeten wie Deutschland und den USA wichtig. "Wir müssen jetzt vorgehen", sagte Netanjahu. Sonst werde es Konsequenzen geben. Israels Regierungschef schloss in der Vergangenheit auch mehrfach ein militärisches Vorgehen nicht aus.

Seit seinem Amtsantritt im November hat Netanjahu das Nachbarland Jordanien sowie Frankreich und Italien besucht. Aus den USA - dem traditionell engsten Verbündeten Israels - hat Netanjahu noch immer keine Einladung erhalten. Das wird als Zeichen gewertet, dass die US-Regierung nicht glücklich mit der Politik der neuen Regierung ist.

Im Video: Scharfe Kritik an Netanjahu-Einladung nach Berlin