Neue Studie - Alte Atombomben-Spuren zeigen, was Klimaforscher seit Jahren falsch einschätzen

Ein Wald irgendwo in Deutschland (Archivbild): Pflanzen können wesentlich mehr CO2 speichern als gedacht, zeigt eine neue Studie<span class="copyright">Getty Images</span>
Ein Wald irgendwo in Deutschland (Archivbild): Pflanzen können wesentlich mehr CO2 speichern als gedacht, zeigt eine neue StudieGetty Images

Muss die Wissenschaft ihre Klima-Modelle ändern? Eine neue Studie zeigt: Die Forschung hat bislang deutlich unterschätzt, wie viel CO2 Pflanzen und Bäume aufnehmen können. Für das Klima ist das jedoch keine gute Nachricht - eher im Gegenteil.

Die Pflanzen der Erde können wesentlich mehr Kohlendioxid (CO2) speichern als bislang gedacht. Das ist das Ergebnis einer neuen Studie eines internationalen Forschungsteams unter der Leitung des Imperial College Londons, die jetzt im Fachmagazin „Science“ veröffentlicht wurde. Demnach können die Pflanzen insgesamt mindestens 80 Millionen Tonnen Kohlendioxid pro Jahr aufnehmen und speichern. Gewöhnliche Modelle waren von 43 bis 76 Millionen Tonnen ausgegangen - das entsprach bis zu 30 Prozent der menschlichen CO2-Produktion. Der wahre Anteil könnte also wesentlich höher sein.

Für die Klimawissenschaft ist diese neue Erkenntnis folgenreich. Pflanzen nutzen Kohlendioxid, um mittels Photosynthese Zucker und Sauerstoff zu erzeugen, das macht sie zu einem wichtigen Speicher von CO2. Für die Klimawissenschaft ist es daher wichtig, detailliert zu wissen, wie viel CO2 von Pflanzen gespeichert werden kann. Nur so lässt sich verlässlich bestimmen, wie viel CO2 die Menschheit zum Beispiel noch in die Luft blasen kann.

„Produktiver, als wir dachten“

Genau diesen Pflanzen-Effekt hat die Klimawissenschaft aber bislang unterschätzt, legt die Studie nahe. „Auf der ganzen Welt sind Pflanzen tatsächlich produktiver, als wir dachten“, sagt Heather Graven, Klimaphysikerin am Imperial College London und Chefautorin der Studie. Aber warum lag die Forschung hier so daneben? „Wenn Sie rausgehen in ein Feld und sich eine einzelne Pflanze ansehen, ist es schwer, das ganze CO2 nachzuvollziehen“, erklärt Graven.

Denn Pflanzen nutzen Kohlendioxid in ihren Blättern, ihren Wurzeln, ihrer Baumrinde, ihren Früchten, ihren Samen. „Es gibt viele verschiedene Wege, wie Pflanzen diesen Kohlenstoff nutzen können“, sagt Graven. Solche komplexen Messungen habe es früher einfach nicht gegeben - man habe sich mit Schätzungen behelfen müssen. Nicht selten betrachteten diese Schätzungen nur Bäume und ließen den Rest der pflanzlichen Biomasse außer Acht.

Atom-Test mit deutscher Hilfe

In seinen Berechnungen profitierte das Forschungsteam von alten Atomwaffen-Tests aus den 1960ern. Auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges führten damals die USA, die Sowjetunion, Großbritannien und Frankreich mehrere nukleare Tests durch - zu Forschungszwecken, aber auch zur Abschreckung. Eine der nuklearen Substanzen, die durch die Tests in der Landschaft zurückblieben, war radioaktiver Kohlenstoff, genannt 14C. Dieser 14C-Kohlenstoff wiederum wurde ganz regulär von Pflanzen gespeichert und für die Photosynthese genutzt.

Die Idee also: Wenn die Forscher ermitteln können, wie schnell diese geringe Menge radioaktiven CO2s aus der Atmosphäre verschwunden ist, können sie auch schlussfolgern, wie schnell das herkömmliche CO2 von den Pflanzen verarbeitet wird. Entwickelt wurde die Methode schon in den 1970ern von der Heidelberger Umweltphysikerin Ingeborg Levin. An der Londoner Studie war Levin ebenfalls beteiligt, allerdings starb sie in diesem Februar im Alter von 78 Jahren.

Das Ergebnis: Die Pflanzen nahmen kurz nach den Tests wesentlich mehr radioaktives CO2 auf als bislang angenommen. Kann die Menschheit also wesentlich mehr Kohlendioxid in die Luft pusten als gedacht, Flugscham und Heizungstausch adé? Leider nein, sagt Graven. Denn nicht nur unterschätzte die Klimaforschung, wie schnell Pflanzen CO2 aufnehmen könnten - sie unterschätzte auch, wie schnell sie es wieder freisetzen.

Chaotischer Durchlauf

Denn Pflanzen lassen das Kohlendioxid nicht einfach verschwinden, sondern integrieren es in einen Kreislauf. Wenn Pflanzen im Herbst ihre Blätter abwerfen, wenn Bäume Äste verlieren oder wenn die Pflanzen sterben, landet das CO2 wieder in der Atmosphäre. Diese freigesetzte Menge entspricht ungefähr der Menge, die zuvor gespeichert wurde. Dieser Prozess wiederum, wie Pflanzen ihr CO2 speichern und abgeben, verläuft wesentlich schneller und chaotischer als angenommen. „Der Kohlenstoff verbleibt tatsächlich nicht besonders lange in den Pflanzen“, sagt Graven.

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Diese Erkenntnis wiederum hat gravierende Folgen für den Klimaschutz. Denn sämtliche Maßnahmen, die darauf abzielen, mehr CO2 in der Natur zu speichern, sind damit weniger wirkungsvoll als gedacht - Baumpflanz-Initiativen etwa, oder Aspekte der ökologischen Landwirtschaft. „Das wird vermutlich das Potenzial einiger CO2-Reduktions-Strategien limitieren, die versuchen, den Kohlenstoff im Ökosystem wegzuschließen“, erklärt Graven. „Wenn es darum geht, den Klimawandel zu begrenzen, müssen wir daher wirklich betonen: Wir müssen die Emissionen aus fossilen Brennstoffen so schnell wie möglich reduzieren.“