Neuer Rapsong: Antilopen Gang bringt die Elefanten nach Deutschland

Lied über 7. Oktober 2023 rechnet mit linkem Antisemitismus ab

Die Antilopen Gang hat einen neuen Song. (Bild: Pedro Becerra/Redferns)
Die Antilopen Gang hat einen neuen Song. (Bild: Pedro Becerra/Redferns)

Songzeilen, die in die Seele schneiden: Die Rapper von Antilopen Gang laden ein in die Lebenswelten der kalten Abkehr gegenüber Juden in Deutschland. Damit legen sie offen, was schiefläuft bei jenen, die sich stets für die Guten halten. Ein Judenknacks aber kann sich bestens unter Linken verbergen. Nur spricht man darüber kaum.

Ein Kommentar von Jan Rübel

Dieser verdammte Krieg in Gaza dauert nun so lange, dass man gerne die Ursprünge vergisst. Die liegen nicht im Jahr 1948, oder 1967, 2006 – sondern ein halbes Jahr zurück. Niemand hat die radikalislamische Hamas im Gaza gezwungen, ihre Terrorattacken gegen Menschen in Israel zu planen und zu exekutieren. Das ist nur auf dem eigenen Mist der Gruppe gewachsen, die in Gaza herrscht, weil sie sich einer demokratischen Kontrolle durch die Leute entzieht: In möglichst kurzer Zeit möglichst viel Blut und Leid und Trauma über Menschen zu bringen, das muss man erstmal hinkriegen.

Die Rapper von der deutschen Gruppe Antilopen Gang singen nicht darüber, sondern über den Umgang damit hierzulande: Dem blanken Entsetzen folgte rasch Gleichgültigkeit. Es gab ja auch Superchancen, sich dem Grauen zu entziehen: Ist das nicht doch ein wenig Widerstand von der Hamas gewesen? Verhält sich Israel nicht seit langem so mies, dass irgendwann…? Und ist das nicht vielleicht doch sogar antiimperialistisch, also Guerilla gegen Goliath? All diese Fragen sind leicht zu verneinen.

Und sie haben keine Bedeutung für diesen Song „Oktober in Europa“, denn wie der Titel sagt: Es geht nicht um das, was im Nahen Osten passiert, sondern hier.

Die Rapper zählen auf:

„Es ist kalt geworden, sie macht die Heizung an

Und bringt die Klein’n dann ins Bett, sagt ihn’n: „Keine Angst“

Dann nimmt sie die Mesusa aus dem Türrahm’n

Dafür steht hinter der Tür jetzt ein Schürhaken“

Antilopen Gang nimmt die Perspektive von Juden ein, die mit dem Angriff der Hamas in Mitleidenschaft gezogen wurden. Plötzlich steckten sie in einem Topf mit israelischen Besatzern. Warum, um Gerechtigkeit einzufordern, Freiheit und Menschenrechte? Nein – um sie Kälte spüren zu lassen. Denn:

„Heute sind die größten Antisemiten

Alle Antirassisten, gegen Hass und für Frieden“

Und:

„Mein Taxifahrer redet wie ein Nazi

Führe lieber keine Diskussionen auf der Party

Freunde und Freundinnen mit starken Überzeugungen

Hamas-Propaganda an Kreuzberger Häuserwänden

Osama wird auf TikTok zum Superstar

Linke Tasche Pepperspray, rechte Tasche Kubotan

Zieht sich die Kapuze tiefer ins Gesicht

Omas Kette mit dem Stern trägt sie lieber wieder nicht“

Es wird kalt, auch im Frühling

Das passiert in Deutschland. Juden erfahren eine Abwesenheit von Mitgefühl und Solidarität, während wieder die Erfahrungen der Pogrome von früher hervorgeholt werden, mit Drohungen, Schmierereien, Pöbeleien und Angriffen wie vor ein paar Tagen gegen eine Synagoge in Oldenburg. Da geht es nicht um Antirassismus, sondern um Rassismus. Man will eben auch mal gegen Juden sein, als Linker hat man halt ebenfalls solch ein Jucken, also manchmal. Und gibt es nicht doch zu viel Macht in den Händen von…?

Nee, gab es nie. Juden erfahren heute Unsicherheit in unseren Straßen nicht, weil sie Agenten einer Elite aus Marionettenspielern wären, sondern weil sie eben in etwas hineingeboren wurden, das man „Gruppe“ nennt, sie also schubladisiert und dann ihnen dummerweise Negatives andichtet: Schuld an diesem, schuld an jenem. Kennt man.

Ein Lied fürs Geschichtsbuch

Antilopen Gang hat damit einen Nerv getroffen. Der Song dokumentiert, wie cool es beispielsweise Musikschaffende fanden, ihre Empathie in schmale Scheiben zu schneiden, wenn es um Juden ging. Man ist ja schon und durchweg auf Seiten der Enterbten dieser Erde, internationale Solidarität und so, aber mit Juden ist es vielleicht nicht schick genug. Zu weiß. Dann bestimmt auch kolonisatorisch? Und überhaupt, kann man solche Zeilen rappen, wenn seit Monaten Gaza in Schutt und Asche gelegt wird, Menschen in Massen sterben? All dies geschieht wirklich, hat aber mit dem Antisemitismus in Deutschland nix zu tun. Der sucht sich seine Gelegenheiten von allein. In diesem Song geht es nicht um das Leid der Palästinenser und ihr berechtigtes Aufbegehren gegen die Ungerechtigkeiten, die sie erleiden. In diesem Lied geht es um uns.

Das macht den Text groß. Er beschreibt den Elefanten im Raum, den viele nicht sehen wollen. Dafür brauchen wir keine 20.000 aus Botswana. Der hier ist riesig genug.