"Auf nichts könnte ich mehr verzichten als auf diesen Krieg"

Der erste amtierende Bundeskanzler überhaupt zu Gast bei
Der erste amtierende Bundeskanzler überhaupt zu Gast bei

Man kennt ihn ernst und schweigsam. Am Freitagabend geht Bundeskanzler Olaf Scholz in der Radio-Bremen-Talkshow "3nach9" etwas mehr aus sich heraus. In der 600. Ausgabe der Sendung spricht er über seine Leibspeise, Handschuhe am Wegesrand - und über Politik.

Wer eine der vielen Talkshows in den dritten Programmen am Freitagabend einschaltet, erwartet freundliche Unterhaltung über das Privatleben mehr oder weniger bekannter Prominenter. An diesem Freitag ist alles anders. Da ist Bundeskanzler Olaf Scholz Gast in der Radio-Bremen-Talkshow "3nach9", die ihre 600. Folge feiert und vom SPD-Mann eine besondere Bezeichnung zum Jubiläum geschenkt bekommt. Ja, er erzählt in der "Mutter aller Talkshows" über sich. Doch vor allem spricht er über sein Lieblingsthema: die Politik.

Er isst gerne ganze Fische und habe neulich einen Zander zubereitet, verrät Scholz: "Nicht in der Salzkruste, sondern im Backofen. Ganz einfach." Er liebe es, zusammen mit seiner Frau Britta zu kochen. Königsberger Klopse zum Beispiel - ihre Lieblingsspeise, weil sie nach früher schmecken würden.

Und er unterstütze seine Frau bei ihrer Leidenschaft: Sie fotografiere gerne am Wegesrand liegende Handschuhe. Er selber dürfe das nicht, er dürfe ihr die Handschuhe nur zeigen, bei den Spaziergängen am Sonntagnachmittag durch Potsdam. Fotografieren wolle sie selber. Selten laufe indes der Fernseher - das passe einfach nicht in ihre Lebens- und Zeitplanung. Aber wenn, dann Talk-Shows, gerne auch "3nach9". Für Gastgeber Giovanni di Lorenzo der Ritterschlag: "Das spiele ich mir jetzt drei Wochen lang abends vor ..."

Ob es stimme, dass er schon mit zwölf Jahren Bundeskanzler werden wollte, fragt der Moderator, der eigentlich Chefredakteur der Wochenzeitschrift "Die Zeit" ist. Das habe der Vater des Bundeskanzlers erzählt. Er könne sich daran nicht erinnern, sagt Scholz, der später Rechtsanwalt wurde.

Olaf Scholz über den Dauerstreit der Ampel: "Alles wird verdeckt durch den Krach"

Heute habe er zwei Vorbilder, so Scholz: Willy Brandt und Helmut Schmidt. Beide hätten Politik verständlich erklären können. Scholz hat diese Gabe auch, ist er sich sicher.

Seine Arbeit als Bundeskanzler hat sich Scholz allerdings anders vorgestellt. Ohne den Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine zum Beispiel. "Aber man kann ja nicht sagen, man wird jetzt Bundeskanzler, weil man ein schönes Leben führen will oder weil die Aussicht aus dem Kanzleramt besonders toll ist. Es geht ja darum, Probleme zu lösen und ein bisschen etwas für eine gute Zukunft zu tun. Und das ist nie ein einfacher Job." Aber: "Auf nichts könnte ich mehr verzichten als auf diesen Krieg."

Außer vielleicht noch auf das Treffen rechter Politiker und Unternehmer in Potsdam, bei dem über die Abschiebung von Millionen Menschen aus Deutschland fantasiert worden war. Dazu Scholz: "Das spaltet unsere Gesellschaft, das gefährdet unsere Demokratie und unsere Freiheit. Und deshalb bin ich auch ganz froh, dass ganz viele Bürgerinnen und Bürger ganz unterschiedlicher Meinung gesagt haben: Nicht mit uns, wir halten zusammen."

Olaf Scholz ist in der Regel ein Mann der leisen Worte, in der Talkshow am Freitagabend und in der Ampelkoalition. Dennoch müsse er sich manchmal durchsetzen, und das gelinge ihm auch. Zum Beispiel bei der Bezahlkarte für Asylbewerber. Oder - aber das bleibt ungesagt - bei der Entscheidung, keine Taurus-Marschflugkörper an die Ukraine zu liefern.

Was er aber nicht könne ist, den ständigen Streit in der Ampelkoalition zu beenden: "Ich will gerne sagen, dass ich es mir etwas weniger dramatisch vorgestellt hatte", lässt er wissen. Er sei verärgert darüber, vor allem aus einem Grund: "So viel Tempo, so viele Entscheidungen hat es schon lange nicht mehr gegeben. Aber das wird alles verdeckt durch den Krach." Der ständige Streit sei vor allem deswegen falsch, weil er die Menschen in der Politik runterziehe, sagt Scholz. "Und ich möchte gerne, dass man sich für seine Ergebnisse auch lobt." Ihn selbst - und seine Kollegen in der Regierungskoalition.