Nina Kunzendorf übers Altern: "Mit über 50 hast du Brüche im Leben"

Nina Kunzendorf als Kommissarin Maria Voss im ZDF-Krimi "Das Mädchen von früher". Für die Ermittlerin ist der Fall auch ein Trip in die eigene Vergangenheit. (Bild: ZDF / Conny Klein)
Nina Kunzendorf als Kommissarin Maria Voss im ZDF-Krimi "Das Mädchen von früher". Für die Ermittlerin ist der Fall auch ein Trip in die eigene Vergangenheit. (Bild: ZDF / Conny Klein)

Die frühere Frankfurter "Tatort"-Kommissarin Nina Kunzendorf feiert im ZDF-Krimi "Das Mädchen von früher" ihr Comeback als Ermittlerin. Im Interview spricht sie darüber, wie sehr sich die Branche verändert hat und wo das alles noch hinführen könnte - ehrliche Worte zur Zukunft des Fernsehens.

Vor zehn Jahren ist sie nach nur fünf Folgen als Frankfurter "Tatort"-Kommissarin an der Seite Joachim Króls ausgestiegen, dennoch ist ihre Figur Conny Mey immer noch in den Köpfen. Nina Kunzendorf, mittlerweile 51 Jahre alt, ist Spezialistin darin, dass ihre Rollen im Gedächtnis bleiben. Schon mit ihrer ersten großen Hauptrolle 2005 in der Münchner "Polizeiruf 110"-Folge "Der scharlachrote Engel" erhielt der damalige Theaterstar den Grimme-Preis als Darstellerin, so beeindruckend und verstörend war ihre Präsenz als schillerndes Gewaltopfer. Ihre aktuelle Rolle als Ermittlerin im ZDF-Film "Das Mädchen von früher" (Montag, 16. Oktober, 20.15 Uhr und ab 7. Oktober in der ZDF Mediathek) könnte der Beginn einer neuen Kommissarinnen-Figur sein. Im Interview spricht die Mutter zweier Kinder über das seltsame Phänomen, warum sich die Menschen gerne deprimierende Krimis ansehen, über das Problem, eine ältere Schauspielerin zu sein und die ungewisse Zukunft des Fernsehens.

teleschau: Vor zehn Jahren sind Sie nach nur fünf Filmen als Kommissarin des Frankfurter "Tatorts" ausgestiegen. Nun spielen Sie wieder eine Kommissarin, die so ein bisschen nach Fortsetzung riecht ...

Nina Kunzendorf: Es ist nicht so angelegt, dass wir da eine Fortsetzung drehen. Natürlich sind es zwei interessante Figuren, die Godehard Giese und ich da spielen dürfen. Und das Ende des Filmes lässt vieles offen. Insofern hätte es durchaus Potenzial, den beiden eine weitere Chance zu geben. Aber Hand aufs Herz - es war nicht als Testballon für eine Reihe gedacht. Momentan sind auch alle ein bisschen vorsichtiger geworden, was feste Pläne für die Zukunft betrifft ...

teleschau: Wie meinen Sie das?

Nina Kunzendorf: Man merkt der produzierenden Branche an, dass die gefühlten Goldgräber-Zeiten vorbei sein könnten. Die Streaming-Dienste verändern sich. Sky produziert keine Fiction mehr, das hat einige echt verunsichert, weil etliche Produktionen kurz vor Drehbeginn abgesetzt wurden. Aber auch die anderen, selbst die Öffentlich-Rechtlichen produzieren weniger als zuletzt. Einiges wird direkt für die Mediathek gemacht - das gibt es auch noch nicht so lange. Man merkt auf jeden Fall, der Markt ist in Bewegung. Ich weiß nur noch nicht so recht, in welche Richtung es geht.

Ein Krimi mit exzellenten Darstellern, der jedoch wenig Lebensfreude versprüht: Maria Voss (Nina Kunzendorf) und Teo Kromann (Godehard Giese) sind zwei Ermittler in der Brandenburger Provinz, die den Fall einer toten Teenagerin untersuchen. (Bild: ZDF / Frédéric Batier)
Ein Krimi mit exzellenten Darstellern, der jedoch wenig Lebensfreude versprüht: Maria Voss (Nina Kunzendorf) und Teo Kromann (Godehard Giese) sind zwei Ermittler in der Brandenburger Provinz, die den Fall einer toten Teenagerin untersuchen. (Bild: ZDF / Frédéric Batier)

"Weil der echte Grusel unserer Welt immer schwerer zu ertragen ist"

teleschau: Können Sie sich vorstellen, dass das "goldene TV-Zeitalter", das mit dem Aufkommen der Streamingdienste und einer wahren Explosion an Produktionen ausgerufen wurde, schon wieder vorbei ist?

Nina Kunzendorf: Es deutet sich ein bisschen an. Natürlich konnte es nicht ewig so weitergehen, dass es immer mehr "Content" gibt, den die Leute schauen sollen. Und die Streaming-Dienste produzieren mittlerweile auch viel Grütze, die innovative Anfangszeit mag vorbei sein. Es ist auch alles ein bisschen viel und unübersichtlich geworden. Und die Menschen haben nicht unbegrenzt Zeit, immer mehr zu schauen. Trotzdem habe ich die besten Serien der letzten Jahre fast ausnahmslos bei den Streamern gesehen.

teleschau: Beim klassischen Fernsehen sind Krimis wie "Das Mädchen von früher" immer noch der große Renner im Fiction-Programm. Wie kommt es, dass die Zuschauer einfach nicht genug vom Genre kriegen?

Nina Kunzendorf: Es ist schwer zu erklären. Wahrscheinlich ist es eine merkwürdige Form von Entspannung. Vielleicht arbeitet man sich über den Krimi an einer Art Grusel ab, der vermeintlich nah, aber dann doch weit genug entfernt ist. Es würde passen, weil der echte Grusel unserer Welt ja immer schwerer zu ertragen ist. Es ist nicht so, dass ich mit Krimis nichts anfangen kann. Ich hatte auch meine Phase, in der ich viele skandinavische düstere Noir-Stoffe gelesen habe und davon fasziniert war. Ich finde nur, dass das Genre im klassischen Fernsehen überproportional vertreten ist.

teleschau: Ihr neuer Krimi spielt in der tristen brandenburgischen Provinz. Die Gegend hat wenig Schauwert, die Figuren wirken allesamt sehr beladen. Das ist alles gut gespielt und gut gemacht. Aber wer schaut sich so etwas zur Erbauung an?

Nina Kunzendorf: Ich weiß, was Sie meinen - aber bei Krimis geht, glaube ich, so eine Fiction-Schere im Kopf auf, die bewirkt, dass man mehr Tristesse und Krise verträgt als unter normalen Umständen. Es ist quasi eine Ersatzwelt. Ich bin selbst eine empfindsame Zuschauerin und lasse mich schnell berühren. Aber bei Krimis - da kann ich in der Tat auch härtere Sachen gut ab. Bei Psychodramen, in denen es zum Beispiel Kindern ans Eingemachte geht - so etwas kann ich nicht gucken. Und das Triste und Schwere, das mag ich eigentlich ganz gerne. Es gibt offensichtlich Menschen, die das nicht runterzieht (lacht). Mir ist so etwas lieber als hochglanzpolierte Thriller, die so ganz schick daherkommen.

Nina Kunzendorf beim Deutschen Filmpreis 2017 - viele Jahre trug sie die Haare kurz, mittlerweile sind sie wieder lang.  (Bild: 2017 Getty Images/Andreas Rentz)
Nina Kunzendorf beim Deutschen Filmpreis 2017 - viele Jahre trug sie die Haare kurz, mittlerweile sind sie wieder lang. (Bild: 2017 Getty Images/Andreas Rentz)

"Ich habe auch viel Blödsinn gedreht"

teleschau: Sie waren als Schauspielerin bei überdurchschnittlich viele Produktionen dabei, die Preise und ausgezeichnete Kritiken erhielten. Haben Sie ein gutes Händchen für Rollen?

Nina Kunzendorf: Ach, ich habe auch viel Blödsinn gedreht. Meine Kinder wollten ernährt werden und Schauspiel ist der Beruf, von dem ich lebe. Also ich hatte jetzt nicht das Glück, mich nur für A-Produktionen interessieren zu dürfen. Wann immer ich es mir leisten kann, versuche ich allerdings, die Niveau-Stange hochzuhalten. Was nicht einfacher wird, wenn man über 50 ist.

teleschau: Sie bekommen mit über 50 weniger Rollenangebote?

Nina Kunzendorf: Ja, natürlich. Ich möchte mich nicht beschweren, denn ich habe immer noch gut zu tun und bin privilegiert. Aber in meinem Umfeld gibt es viele - vor allem - Kolleginnen, bei denen es sehr, sehr dünn geworden ist mit dem Älterwerden. Bei Frauen fängt es schon ab 40 an, dass es weniger wird. Das mittlere Alter ist bei uns traditionell schwierig. Dann gibt es einen Sprung und die Oma-Riege hat wieder etwas mehr zu tun. Diese Omas werden dann aber nicht mit 70- oder 75-Jährigen besetzt, sondern vielleicht mit 60-Jährigen, damit alles noch ein bisschen knackiger ist. Es gibt viele Stimmen, die sagen: Das System verändert sich gerade zum Positiven. Aber ich merke es noch nicht so. Es werden immer noch viel zu wenig Geschichten mit älteren Figuren erzählt.

Good bye, Conny Mey: Nach nur fünf Auftritten stieg Nina Kunzendorf schon wieder beim Frankfurter "Tatort" aus. 2013 war das. Die Schauspielerin ist eben ein kritischer Geist und auf dem Weg zu neuen Herausforderungen. (Bild: HR / Johannes Krieg)
Good bye, Conny Mey: Nach nur fünf Auftritten stieg Nina Kunzendorf schon wieder beim Frankfurter "Tatort" aus. 2013 war das. Die Schauspielerin ist eben ein kritischer Geist und auf dem Weg zu neuen Herausforderungen. (Bild: HR / Johannes Krieg)

"Mit über 50 hast du Brüche im Leben"

teleschau: Dabei wären diese Geschichten reizvoll?

Nina Kunzendorf: Natürlich. Nicht, dass Sie mich falsch verstehen. Ich schaue mir sehr gern einen Film mit 20- oder 30-jährigen Protagonisten an, wenn es eine gute Geschichte ist. Klar, als älterer Mensch war man ja auch mal jung und kann da andocken. Aber es ist doch auch spannend, wenn eine Figur schon viel erlebt hat. Mit über 50 hast du Brüche im Leben. Wahrscheinlich hat man schon Dinge gegen die Wand gefahren: Beziehungen, man hat Kinder großgezogen oder vielleicht keine bekommen. Man ist gescheitert im Beruf, hat Glück erfahren, hatte Krisen - und jetzt ist man vielleicht an einem neuen, soundsovielten Punkt im Leben. Ich finde, das klingt alles sehr spannend, daher wundert es mich, dass man sich beim Erzählen so wenig für diese Altersgruppe interessiert. Haben Sie "Mare of Easttown" mit Kate Winslet gesehen?

teleschau: Ja, warum?

Nina Kunzendorf: Weil diese Hauptfigur für vieles steht, was an Frauen um die 50 interessant ist. Es ist die Fülle an Leben und an Widersprüchen, die da drin steckt. Das fasziniert - und dabei ist die Figur noch nicht mal besonders sympathisch. Wir müssen aufhören, uns nur Figuren auszudenken, die man nach zwei Minuten mag oder wo klar ist, dass sie böse sind. Wir brauchen sperrige Figuren, die so reich sind wie das Leben selbst. Dann werden auch die Menschen sagen: den oder die finde ich interessant.

teleschau: Woran merken Sie, dass ein Film oder eine Serie, die Sie drehen, gut werden könnte?

Nina Kunzendorf: Da gibt es verschiedene Parameter, die kann man wie eine Checkliste abarbeiten: Wie gut ist das Buch? Sind die Rollen interessant und vielschichtig? Wer macht Regie? Welche Kolleginnen und Kollegen sind dabei? Wenn von diesen Parametern ein paar stimmen, nehme ich vielleicht andere, die noch unklar sind, in Kauf. Aber es gibt fast keine Produktionen, bei der man nicht auch Kompromisse machen muss.

Kommissarin Maria Voss (Nina Kunzendorf) und ihr Kollege Teo Kromann (Godehard Giese, recht) untersuchen mit dem Polizisten Lars Klapproth (André Hennicke) die verbrannte Leiche der 15-jährigen Bente, einem Pflegekind, das auf einem nahe gelegenen Hof lebte. (Bild: ZDF / Frédéric Batier)
Kommissarin Maria Voss (Nina Kunzendorf) und ihr Kollege Teo Kromann (Godehard Giese, recht) untersuchen mit dem Polizisten Lars Klapproth (André Hennicke) die verbrannte Leiche der 15-jährigen Bente, einem Pflegekind, das auf einem nahe gelegenen Hof lebte. (Bild: ZDF / Frédéric Batier)

"Es wird zu viel produziert, von dem man meint, die Leute wollen 'so etwas' sehen"

teleschau: Wenn Buch, Figuren und Kreative eine "A-Produktion" sind, wie Sie es nennen, woran kann es dann noch scheitern?

Nina Kunzendorf: Ach, da gibt es viel (lacht). Fast immer ist die wenige Zeit, die man hat, ein Problem. Manchmal hat man einen schnellen Drehbeginn, obwohl es noch Vorbereitungszeit gebraucht hätte. Manchmal sind die Bücher nicht fertig - und es wird schon gedreht. Das Hauptproblem mit schlechtem Fernsehen ist allerdings ein grundsätzlicher Denkfehler: Es wird zu viel produziert, von dem man meint, die Leute wollen "so etwas" sehen. Ein viel besserer Ansatz wäre es, nach wirklich guten Geschichten zu schauen. Den Satz "das will doch keiner sehen" kann ich nicht mehr hören. Es fehlt Mut, Neugierde und auch Sorgfalt sowie genaues Hinschauen in der Branche.

teleschau: Immer mehr Schauspielerinnen und Schauspieler beschweren sich über den Zeitdruck beim Drehen. Ist es wirklich so schlimm geworden?

Nina Kunzendorf: Beim ersten "Tatort", den ich gemacht habe, hatten wir 26 Drehtage. Der Hessische Rundfunk war diesbezüglich aber immer schon sehr auf der Seite der Kreativen. Aber dann waren es irgendwann 25, dann 24. Jetzt ist die Regel, dass man einen 90-minütigen Film oft in nur 20 oder 21 Drehtagen fertigstellt. Am Ende sind das fünf oder sechs Tage weniger. Zeit, die fehlt! Sie fehlt zum Proben, zum Innehalten und Nachdenken darüber, was man da gerade macht. Es ist Zeit, die vor allem dem Team fehlt, denn als Schauspielerin oder Schauspieler ist man ja noch ganz gut "gepampert". Aber schleppen Sie doch mal als Kameraassistent die ganze Zeit Zeug von A nach B. Dann haut der Zeitdruck richtig rein und die Arbeit ist Stress pur. Das geht aufs Kreuz - und es kriecht auch in die Seele.

teleschau: Glauben Sie denn, dass es das klassische Fernsehen in zehn Jahren noch geben wird?

Nina Kunzendorf: Das weiß ich nicht. Meine Kinder schauen kein klassisches Fernsehen mehr und was ich höre, tut dies auch der Rest der jungen Generation nicht. Da verrate ich jetzt kein Geheimnis, glaube ich. Ich bin 51 und in meinem Umfeld sitzen auch nur noch sehr, sehr wenige Menschen vorm linearen Fernsehen. Und das, obwohl da viele Filminteressierte und Kreative dabei sind. Aber man weiß ja, dass das Durchschnittsalter bei ARD und ZDF mittlerweile deutlich über 60 liegt. Man sollte also nicht darauf wetten, dass der klassische 20.15 Uhr-Wohlfühl-Film noch ein Zukunftsmodell ist.

Hauptkommissarin Maria Voss (Nina Kunzendorf) ist nicht gut auf den Polizisten Lars Klapproth (André Hennicke) zu sprechen, denn man hat eine gemeinsame Vergangenheit. (Bild: ZDF / Conny Klein)
Hauptkommissarin Maria Voss (Nina Kunzendorf) ist nicht gut auf den Polizisten Lars Klapproth (André Hennicke) zu sprechen, denn man hat eine gemeinsame Vergangenheit. (Bild: ZDF / Conny Klein)