„Nerv mich nicht!“ - Was es mit Ihrem Kind macht, wenn Sie es ständig anmeckern

Wenn Kinder ständig angemeckert werden, leidet das Selbstwertgefühl<span class="copyright">Getty Images</span>
Wenn Kinder ständig angemeckert werden, leidet das SelbstwertgefühlGetty Images

Wie wir mit unseren Kindern sprechen, wird zu ihrer inneren Stimme. Leider ist das keine leere Phrase. Darum sollten wir endlich aufhören, unsere Kinder so häufig zu beschämen.

Dieser Artikel wurde von Inke Hummel verfasst und erschien zuerst auf ihrem Blog.

Wir wohnen an einer Bergstraße. Ganz oben ist ein Kindergarten. Jeden Morgen gehen viele Kinder und Eltern diesen Weg zur Betreuung, und immer wieder sehe und höre ich sie. Manche hopsen fröhlich herum, andere sitzen müde im Buggy. Einige entdecken unterwegs Zierquitten im Gebüsch oder Steinchen in der Gosse. Wieder andere schimpfen und weinen und schaffen den Weg kaum. Oder erzählen und singen weltvergessen vor sich hin.

Eine Familie fällt mir jedes Mal auf. Jeden Tag. Denn ihr Sohn bemüht sich, den Weg zu gehen, nicht zu stören, doch manchmal ist er neugierig und will sich etwas genauer anschauen. Und manchmal ist er verträumt und bleibt stehen oder lässt etwas fallen. Egal welches Elternteil ihn begleitet, keiner hat ihn dabei je richtig wahrgenommen oder höflich angesprochen.

“Du spinnst doch!”

“Jetzt nerv nicht schon wieder.”

“Verdammt, wegen dir wäre ich fast hingefallen.”

“Kannst du nicht einmal schneller gehen?”

Das hört er jeden Tag. Egal wie er sich verhält. Manchmal geht er dann weiter, beeilt sich. Manchmal verstummt er und versteift. Bleibt stehen. Ist überfordert.

 

Wer bin ich und wie ist die Welt?

Eben kam ein anderes Kind vorbei. Es mochte den Berg nicht hochgehen. Vielleicht war es auch noch müde. Sein Papa fragte nach, streichelte es, trug es mal ein Stück trotz vieler Taschen, machte Mut, zeigte Verständnis. Keine Ahnung, ob er grundsätzlich immer so zugewandt ist, aber im Vergleich fiel es mir auf. Denn das andere Kind hat noch nie Zugewandtheit erlebt, wenn ich es sah. Keine der beiden Familien benötigte sonderlich viel mehr Zeit als die andere, um den Berg zu schaffen.

 

Was dahintersteckt, kann man nicht be- oder gar verurteilen. Darüber und über mögliche Hilfen, die es da unter Umständen auch schon gibt, will ich nicht schreiben. Darum geht es mir hier nicht. Ich möchte den Blick auf die Kinder lenken.

Was denken sie wohl über sich? Was denken sie über die Welt? Wie viel Zuversicht ist da? Wie viel Selbstvertrauen? Wie viel Lebensfreude? Wie viel Sicherheit?

 

Unsere Worte Prägen das Selbstwertgefühl von Kindern

Das sind genau die Fragen, die wir aus entwicklungspsychologischer Sicht stellen sollten. Denn es hat Auswirkungen, besonders auf das Selbstvertrauen und das Selbstwertgefühl, wenn Eltern nicht mal ein motziger Satz herausrutscht, sondern diese Kommunikationsform der Standard ist, denn ein Kind zu Hause erlebt. Dadurch wird es in Frage gestellt und wird anfangen sich falsch und minderwertig zu fühlen.

Daran hängt viel, nämlich wie es sich fühlt, und auch, wie es sich in vielen anderen Situationen seines Lebens gibt:

  • Wie gut kommt das jeweilige Kind wohl damit klar, wenn es im Kindergarten ankommt und ein übermütiges anderes ihm gleich an der Garderobe ein Auto ans Schienbein wirft? Wird es ebenfalls ungerechtfertigt aggressiv reagieren?

  • Wie gut kann das jeweilige Kind es wahrscheinlich aushalten, wenn es im Kindergarten erfährt, dass der heißersehnte Backtag heute ausfallen muss? Wird es mit dem Frust gut zurechtkommen können, obwohl es zu Hause etwas anderes gelernt hat?

  • Wie gut geht es dem jeweiligen Kind wohl, wenn es nach einem reizstarken Kindergartentag abgeholt wird und auf die gleiche Art den Berg bei uns herunterläuft, wie es morgens hoch begleitet wurde? Hallen die Worte vom Morgen nach? Geht es gern nach Hause oder mit einem dicken Kloß im Hals?

  • Welches Gefühl hat das jeweilige Kind vielleicht, wenn es abends im Bett liegt und sich eine Pause von der Welt nehmen soll? Fühlt es sich dort wohlbehütet oder eher haltlos und allein?

  • Und auch: Wie wächst das Kind in den weiteren Jahren auf? Wird Aggression seine Strategie? Wird jeder kleine Fehler es in Panik versetzen?

Es braucht keine Perfektion und keine wutfreien Eltern. Aber wir prägen die Glaubenssätze, die in unseren Kindern bis ins Erwachsenenalter hinein wirken. Wir beeinflussen den Klang und die Worte, die unsere Kinder im Herzen tragen. “Du bist verkehrt.” hat keinen guten Klang.