Paulina Krasa im Interview: "Fast kein Mensch ist durch und durch böse"

2018 startete Paulina Krasa (Bild) mit Laura Wohlers den True Crime-Podcast "Mordlust". Nun ist die 33-Jährige das Gesicht des ZDFinfo-Formats "Schuld & Sühne". (Bild: ZDF/Tobias Schütze)
2018 startete Paulina Krasa (Bild) mit Laura Wohlers den True Crime-Podcast "Mordlust". Nun ist die 33-Jährige das Gesicht des ZDFinfo-Formats "Schuld & Sühne". (Bild: ZDF/Tobias Schütze)

Gibt es ein Muster bei Mordmotiven? Und warum ist True Crime ein Frauen-Genre? - Podcasterin Paulina Krasa, die das Gesicht des neuen ZDFinfo-Formats "Schuld & Sühne" ist, weiß die Antworten.

Wenn es jemanden gibt, der sich mit True Crime und Mordfällen bestens auskennt, dann ist das wohl Paulina Krasa: 2018 startete die 33-Jährige mit ihrer Kollegin Laura Wohlers den Podcast "Mordlust", in dem Kriminalfälle in Deutschland besprochen werden. Mittlerweile gehört der Podcast zu den beliebtesten deutschsprachigen Formaten des nach wie vor sehr beliebten Genres, dieses Jahr wurden die Journalistinnen mit dem Deutschen Podcast-Preis ausgezeichnet. "Wir erhalten sehr viele Rückmeldungen. Überwiegend Nachrichten, in denen steht, dass die Menschen uns gerne hören", freut sich Krasa im Interview. Ihr selbst geht es darum, über die psychologischen Hintergründe solcher Kriminalfälle zu erörtern, "denn am Ende fürchtet sich der Mensch immer vor dem Unbekannten". Mit dieser Einstellung geht Krasa auch an das neue ZDFinfo-Format "Schuld & Sühne" heran (ab Freitag, 15. September, 20.15 Uhr, Freitag, 22. September, 00.30 Uhr, ZDF, und bereits seit 1. September in der ZDFmediathek).

teleschau: Frau Krasa, Sie haben vor wenigen Wochen mit Ihrer Kollegin Laura Wohlers den Deutschen Podcast-Preis gewonnen. Herzlichen Glückwunsch!

Paulina Krasa: Dankeschön! (lacht) Der Preis steht schön vor mir im Regal, meine Kollegin und ich sind sehr stolz auf diese Auszeichnung. Er ist eine Bestätigung von den Leuten, für die wir den Podcast machen, weil es ein Publikumspreis war. Am Ende ist uns das am wichtigsten: dass die Hörer und Hörerinnen das honorieren und sich für das begeistern, was wir machen.

teleschau: True Crime ist in den letzten Jahren immer beliebter geworden. Wie erklären Sie sich diesen Hype?

Krasa: Na ja, eigentlich ist es gar kein neuer Hype. "Aktenzeichen XY ... ungelöst" im ZDF ist seit Jahrzehnten eine der erfolgreichsten Sendungen. Das Interesse daran, etwas über echte Mordfälle zu erfahren, das schlimmste Delikt, das es in unserer Gesellschaft geben kann, ist also schon immer da. Was dem Ganzen zum Boom verhalf, ist das Medium Podcast. Podcasts ist ein sehr intimes Medium, weil man sie meist über Kopfhörer direkt auf die Ohren kriegt. Außerdem braucht man manchmal auch seine Vorstellungskraft. Deswegen funktioniert True Crime über Podcasts so gut. Und nun versucht man das ganze gewissermaßen auch ins Fernsehen zu transferieren. Warum auch nicht!

teleschau: Tauscht man sich als erfolgreiche Podcasterin eigentlich permanent mit den Zuhörerinnen und Zuhörern aus?

Krasa: Definitiv. Wir erhalten sehr viele Rückmeldungen. Überwiegend Nachrichten, in denen steht, dass die Menschen uns gerne hören. Aber Podcast-Hörer hören immer ganz genau hin und geben uns auch Feedback, wenn wir in der Folge eine Frage offen hatten. Da wird gut mitgemacht und Expertise beigetragen. Unser Publikum ist sehr hilfsbereit und aktiv auf Social Media.

teleschau: Sie sagten in der ZDF-Talkshow von Tommi Schmitt, True Crime scheint eher ein Frauen-Genre zu sein ...

Krasa: Genau, total. Das sehen wir hauptsächlich an der Zahl der Zuhörerinnen, aber wir wussten schon vorher, dass das generell so ist. True Crime ist ein Genre, das mehr von Frauen konsumiert wird als von Männern. Unser Publikum ist zu 80 Prozent weiblich. Was wir auch auf unserer Tour merken. Da werden die Männer weitestgehend mitgeschleppt.

"In beiden Fällen geht es um gesellschaftlich sehr relevante Themen", so Paulina Krasa über "Schuld & Sühne". "Aam Ende wollen wir mit jeder Episode den Zuschauern und Zuschauerinnen zu Hause etwas mitgeben." (Bild: ZDF/Tobias Schütze)
"In beiden Fällen geht es um gesellschaftlich sehr relevante Themen", so Paulina Krasa über "Schuld & Sühne". "Aam Ende wollen wir mit jeder Episode den Zuschauern und Zuschauerinnen zu Hause etwas mitgeben." (Bild: ZDF/Tobias Schütze)

"Der Mensch ist nicht böse geboren!"

teleschau: Warum sind mehr Frauen an True Crime interessiert als Männer?

Krasa: Als wir unseren Podcast gestartet haben, haben wir unserer Hörer gefragt, warum die Menschen True Crime hören. Zum einen wurden die psychologischen Hintergründe als Antwort genannt. Aber auch weil sich einige Frauen auf eine Situation vorbereiten möchten, die ihnen vielleicht passieren könnte. Es gibt auch Untersuchungen, die besagen, dass Frauen eher Formate konsumieren, wenn sie konkrete Hinweise und Verhaltenstipps für bestimmte Gefahrensituationen enthalten. Und natürlich spielt die Neugierde eine große Rolle! Menschen wollen wissen, wie ein Mensch zum Täter wird. Die Psychologie dahinter! Das interessiert die Frauen, die wir gefragt haben, sehr.

teleschau: Macht die permanente Beschäftigung mit Kriminalität im Podcast auch etwas mit Ihnen?

Krasa: Nein, das kann ich nicht bestätigen. Es gibt Leute, die sagen, dass sie durch True Crime zum Beispiel ängstlicher geworden sind oder gefühlt hinter jeder Laterne eine Gefahr wittern. Das ist bei mir und meiner Kollegin überhaupt nicht der Fall. Für uns wurden Verbrechen und die Vorstellungen, die man davon hat, entmystifiziert. Wir haben aber auch immer die Statistiken im Hinterkopf. Dadurch wissen wir, dass die Gefahr selbst Opfer eines Tötungsdelikts zu werden, nicht wahnsinnig groß ist: Am Ende ist es, zumindest für Frauen, eher nicht die fremde Person, die zur Gefahr für einen werden kann, sondern der eigene Partner. Das sagt die Statistik.

teleschau: Also haben Sie keine Angst, wenn Sie sich regelmäßig mit solchen Mordfällen beschäftigen?

Krasa: Im Alltag nicht, nein. Was man durch den Podcast lernt ist, dass ein Mensch nicht einfach zum Täter wird. Da hängt eine Biografie dran. Nicht in seltenen Fällen sind die Täter früher selbst Opfer von Gewalttaten gewesen. Uns geht es insofern auch um Aufklärung, denn am Ende fürchtet sich der Mensch immer vor dem Unbekannten. Der Mensch ist nicht böse geboren!

"Bei uns melden sich oft Angehörige, weil wir eine große Reichweite haben, und dementsprechend erreichen die Episoden ganz leicht die Betroffenen", verrät Paulina Krasa über ihren Podcast "Mordlust". (Bild: ZDF/Tobias Schütze)
"Bei uns melden sich oft Angehörige, weil wir eine große Reichweite haben, und dementsprechend erreichen die Episoden ganz leicht die Betroffenen", verrät Paulina Krasa über ihren Podcast "Mordlust". (Bild: ZDF/Tobias Schütze)

"Die Motive für Tötungsdelikte sind ganz unterschiedlich"

teleschau: Im neuen ZDFinfo-Format "Schuld & Sühne" rekonstruieren Sie ebenfalls Kriminalfälle. Warum wurde sich auf diese ausgewählten Geschichten festgelegt?

Krasa: In beiden Fällen geht es um gesellschaftlich sehr relevante Themen. Im ersten Fall geht es um einen Rentner, der plötzlich verschwindet. Nur ein einziger Nachbar ist der Überzeugung, dass etwas nicht stimmt. Aber niemand glaubt ihm. Letztendlich klärt der Nachbar aber ein Verbrechen auf, dem über Jahre von Hausverwaltung und Polizei nicht nachgegangen worden ist. Der Fall zeigt, welchen Stellenwert ältere Personen in unserer Gesellschaft leider oft haben. Im zweiten Fall geht es um eine Affäre, über die der Mann die Kontrolle verliert. Diese versucht er mit allen Mitteln wiederzubekommen. Uns zeigt das, wie gefährlich es als Frau immer noch sein kann, wenn man sich der Kontrolle des Mannes entzieht. Wir stellen pro Folge einen Fall vor. Wir sprechen mit den Angehörigen der Opfer, der Kriminalpolizei und Experten und Expertinnen, zeichnen den Weg der Ermittlungen nach und berichten vom Prozess und der Entscheidung des Gerichts. Am Ende wollen wir mit jeder Episode den Zuschauern und Zuschauerinnen zu Hause etwas mitgeben. Etwas, worüber sie noch länger nachdenken und wodurch sie ihr eigenes Verhalten vielleicht auch hinterfragen müssen.

teleschau: Bei den ganzen Mordmotiven ist es wahrscheinlich schwer, eine Art generelles Muster zu erkennen, oder?

Krasa: Ja. Die Motive für Tötungsdelikte sind ganz unterschiedlich. Menschen töten Menschen aus verschiedenen Gründen. Kein Fall ist gleich. Deswegen kann man das gar nicht verallgemeinern.

"Einmal hat sich das Umfeld eines Täters bei uns gemeldet"

teleschau: Hat sich nach einer Podcastfolge schon mal ein Familienangehöriger des Opfers oder gar der Täter selbst bei Ihnen gemeldet?

Krasa: Beides. Bei uns melden sich oft Angehörige, weil wir eine große Reichweite haben, und dementsprechend erreichen die Episoden ganz leicht die Betroffenen. Wenn wir allerdings Kontaktinformationen zu ihnen haben, machen wir das gerne selbst im Voraus. Einmal hat sich das Umfeld eines Täters bei uns gemeldet, weil die mit unserer Berichterstattung nicht zufrieden waren. Das ist nicht wirklich verwunderlich, die Täter sagen oft, es sei ganz anders gewesen (lacht) Und einmal sogar ein Täter selbst. Mit ihm hatten wir auch ein längeres Gespräch. Das war jetzt aber keiner, der sein Opfer entführt oder erschossen hat, sondern es war ein Verkehrsdelikt, bei dem jemand gestorben ist. Er hatte nach der Folge noch Klärungsbedarf, also haben wir telefoniert.

teleschau: Wie war denn Ihr Eindruck von dem Täter?

Krasa: Das war - und das ist das Seltsame, was die Menschen nicht erwarten - ein ganz normaler Mensch. Mit dem man ein normales Telefonat führt, so wie Sie und ich jetzt gerade. Der Täter war sehr jung, und ich glaube ihm das, wenn er sagt, dass er dieses Verkehrsdelikt leichtsinnig begangen hat und er es bereut. Trotzdem ist die Tat an sich natürlich nicht klein zu reden, es ist ein Mensch ums Leben gekommen. Aber diese Schilderung, die Perspektive des Täters, hat mich schon sehr beschäftigt. Fast kein Mensch ist durch und durch böse. Man kann es nicht oft genug betonen.

teleschau: Wie suchen Sie die Fälle für Ihren Podcast aus?

Krasa: Wir haben immer eine Metaebene, die wir behandeln. Vor Kurzem kam eine Folge über Brandstifter raus, über so genannte Feuerteufel. Diese Menschen legen absichtlich Feuer, um andere Menschen zu gefährden oder Aufmerksamkeit zu bekommen. Wir legen immer das Thema fest, und dazu suchen wir die Fälle aus. Obwohl das teilweise schwierig ist, versuchen wir die Themen ganzheitlich abzudecken.

"Mord und Totschlag versuche ich von meiner Freizeit fernzuhalten"

teleschau: Hatten Sie schon ein Vorwissen, was True Crime angeht?

Krasa: Wir hatten natürlich mehr oder weniger in unserer journalistischen Ausbildung oder Laufbahn damit zu tun. Wir haben zwar davor im Fernsehen über True Crime-Geschichten berichtet, aber nicht mit der Intensität wie es im Podcast der Fall ist. Früher gab es auch noch nicht so viele True Crime-Podcasts in Deutschland. Es gab zwei, die man gut auf Spotify oder anderen Plattformen finden konnte - und sonst nichts. Wir haben uns damals einige investigative Formate aus den USA angehört und fanden die super. Aber natürlich hatten wir nicht die Zeit und die finanziellen Mittel, eine mehrteilige Staffel während unseres normalen Jobs aufzuziehen. Deswegen haben wir uns dazu entschieden, ein Format zu starten, das es bereits in Amerika gab: nämlich, dass wir uns gegenseitig True Crime-Fälle vorstellen, die wir davor jeweils vorbereiten. Also wie zwei Freundinnen, die sich abends beim Essen etwas erzählen.

teleschau: Beschäftigen Sie sich in Ihrer Freizeit auch mit True Crime-Geschichten?

Krasa: Das ist bei mir und meiner Kollegin ganz unterschiedlich. Meine Kollegin konsumiert auch in ihrer Freizeit True Crime - und ich brauche eine Auszeit davon (lacht). Ich beschäftige mich dann doch auf eine andere Art mit Verbrechen, da geht es jedoch mehr um Betrugsdelikte. Aber Mord und Totschlag versuche ich von meiner Freizeit fernzuhalten.