Pop: Bilderbuch-Sänger Maurice Ernst und die Milch-Besudelung

Ein Gespräch mit Bilderbuch-Sänger Maurice Ernst über das Älterwerden, Frisbee-Scheiben und die Fragen seiner Generation.

Berliner Morgenpost: Maurice, das „Orania“ ist in Berlin umstritten. Manche verteufeln es als eine Art Mahnmal der Gentrifizierung und werfen Farbbeutel und ähnliches gegen die Wände.

Maurice Ernst: Ich habe davon gehört, aber man kann hier wirklich sehr gemütlich sitzen und sein. Als Tourist halte ich mich besser aus solchen Auseinandersetzungen raus.

Gegen wen oder was würdest du denn protestieren?

Da ich immer schon Musik gemacht habe und es Bilderbuch ja bereits gibt, seit ich 15 bin, konnte ich meine Energie, meine Freude und meinen Ärger immer schon in meine Songs einbringen. Aber wenn es wirklich mal hart auf hart kommen sollte, werde ich mir eine Milchpackung kaufen, sie vorne leicht öffnen und auf jemanden werfen, der sie verdient hat.

Süß.

Man wird besudelt. Aber oft ist es besser, jemanden zu besudeln als zu verletzen.

Wer hätte deine Milch verdient?

Aus dem Fenster würde ich mich jetzt noch nicht lehnen. Ob ich jetzt einen Politiker nehme oder einen österreichischen Popstar – mal sehen, in der Frage bleibe ich unberechenbar. Die Leute, die sich mit Bilderbuch auseinandersetzen, kennen meine Haltung und die ungefähre Richtung, in die ich zielen würde.

Wann wäre der Zeitpunkt gekommen, an dem du politisch wirst?

Ich bin im Dezember 30 geworden. Ich habe also noch genug Zeit, um die Reife zu erreichen, mit der ich in meiner Funktion als Sänger noch ein bisschen weitergehe.

Wie fühlen sich das Leben an mit 30?

Nicht anders als vorher. Wenn ich zurückschaue auf die letzten zehn Jahre, dann bin ich ziemlich glücklich. Ich möchte weitermachen wie bisher. Alt fühle ich mich noch überhaupt nicht. Das einzige, was ich bis zu meinem 30. Geburtstag erreichen wollte, war, eine neue Platte rauszubringen. Sozusagen als Geschenk an mich.

Habt ihr deshalb „Mea Culpa“ unangekündigt und über Nacht Mitte Dezember digital veröffentlicht, bevor ihr das Album jetzt, zusammen mit „Vernissage My Heart“, auch als CD und auf Vinyl erhältlich ist?

Ja, auch. Außerdem wollten wir die neuen Medien nutzen und einfach mal neue Musik unkommentiert in den Raum stellen, ohne Beipackzettel und ohne Erklärung. Aber interessanter finde ich einen anderen Aspekt.

Welchen denn?

Auf romantische Art und Weise präsentieren wir mit den beiden Alben Diversität. Man kann sich entscheiden, man muss sich aber nicht entscheiden. Man kann ein Album besser finden als das andere, muss man aber nicht. Wir haben richtig aus dem Vollen geschöpft, uns bewusst nicht limitiert. In der modernen Musik klingt alles so gleich, die Musik selbst wird immer computergenerierter, und sehr viele gute Sachen werden ein bisschen verdrängt. Uns macht es Spaß und es ist uns wichtig, dem etwas entgegenzuhalten, was originell und verspielt ist.

Sind „Vernissage My Heart“ und „Mea Culpa“ Zwillinge?

Ja. Sie sind gleichzeitig geboren, aber nicht eineiig. Irgendwann hatten wir einen Haufen Material und merkten, wie zwei sehr unterschiedliche Platten ein Gesicht bekamen. „Mea Culpa“ ist extrem nach innen gerichtet und beschäftigt sich mit dem Ich, das nach Liebe sucht und verloren ist in seiner Einsamkeit. „Vernissage My Heart“ öffnet die Arme und ist viel gesellschaftlicher, es ist ein „Wir- und ein Freunde-Album“.

Einige der „Mea Culpa“-Songs wie „Taxt Taxi“ sind wirklich sehr intim.

Ich bin selbst überrascht, wie privat das geworden ist. Meine Bandkollegen checkten noch früher als ich, dass da einiges aus meinem Liebesleben drinsteckt.

Welches ziemlich bewegt zu sein scheint.

Na ja, ich schleppe schon einige kleine Pakete mit mir herum. Und ohne es bewusst zu wollen, habe ich mir die Seele vom Leib geschrieben. Jetzt fühle ich mich ein bisschen geheilt.

Musikalisch orientiert sich „Mea Culpa“ an softem R&B vom Stile Frank Oceans, „Vernissage My Heart“ dagegen ist lauter, mit mehr Gitarren und geht mehr Richtung Prince oder Beastie Boys.

Der Vibe der „Vernissage“-Platte ist die Hoffnung. Es geht um Utopien, um Hippie-Themen, um eine grundlegende Funkiness.

Die Lieder heißen „Frisbee“ oder „Kids im Park“.

Genau. „Ich fühl mich Frisbee“ ist so ein Satz, der uns morgens beim Frühstück in Kroatien einfiel. Wir hatten uns dort ein Haus gemietet, um Songs zu schreiben und aufzunehmen. Die Gitarren dröhnten durch den Garten, wir haben draußen gekocht und uns immer wieder neckisch in den Swimming Pool reingeworfen. Das war schon sehr perfekt.

Und die Nachbarn?

Haben das alles sehr wohlwollend aufgenommen. Der Vermieter war ein Progessive-Rock-Fan, er konnte weder deutsch noch englisch und meinte immer nur „progressive perfect“.

Ist „Frisbee“ ein Song, der glücklich macht?

Das gefällt mir. Genau. Frech und positiv und wunderschön und naiv. Und ein bisschen Medizin, denn der Song löst einfach schöne Gefühle aus.

Habt ihr über die Zeile „Ihr Busen hüpft, wenn sie den Frisbee catcht“ diskutiert?

Ja. Die Frage „Darf ich das als Künstler in meiner Position sagen?“ stellte sich schon. Aber ich wollte das unbedingt singen, das Wort „Busen“ hat so eine gewisse Komik und Zärtlichkeit. Ein Rapper hätte ja wohl ein ganz anderes Wort benutzt. Für mich war das notwendig so, ich kann es gar nicht erklären. Ich bin ein Feminist, der das Wort „Busen“ singt.

Heutzutage muss man unheimlich aufpassen, was man sagt und tut, wie man sich anzieht oder sich auf Instagram präsentiert. Nervt es, immer korrekt sein zu müssen?

Natürlich will man kein Arschloch sein, aber für einen Künstler ist es schon krass anstrengend, alle aktuellen Debatten immer im Blick zu haben. Man will sich ja in seiner eigenen Frechheit und Freiheit auch noch wiederfinden. Ich werde immer wieder konfrontiert mit Vorwürfen bezüglich meiner Kleidung oder meiner Frisur, und das von Menschen, die sich für links und weltoffen halten. Manchmal entdeckst du extrem konservative Züge an Leuten, die das Konservative weit von sich weg weisen würden. Mich macht es zum Beispiel traurig, wenn Kendrick Lamar sagt, Weiße sollen seine Songs nicht mitsingen. Was soll das? Mir tut das weh. Ich kämpfe mein ganzes Leben dafür, dass wir diese kulturellen Schranken öffnen und das Trennende ablegen.

Steht das „Frisbee“ nur für ein unbeschwertes Sommerlebensgefühl?

Es gibt noch eine weitere Ebene. „Frisbee“ als Metapher für Drogen. „Alle meine Freunde spielen Frisbee heute Nacht“. Ich bin kein absoluter Antidrogenmann, aber in unserer und noch stärker in der nachfolgenden Generation herrscht eine unglaubliche Naivität, was Drogen angeht. Das ist spannend zu beobachten. Gerade Pillen und Amphetamine spielen eine große Rolle.

Um Freiheit, nämlich um die Freiheit, mit dem Cabrio durch ein grenzenloses Europa zu brausen, geht es in „Europa 22“. Wofür steht die Zahl?

Auch das ist ein Lied über Hoffnungen und Utopien. Und deine Frage ist exakt die Frage, die ich aufwerfen wollte. Das kann ein Ablaufdatum sein, oder auch ein Ziel. Ich schätze ein Leben ohne Grenzen, ich will, dass das bleibt. Meine Generation ist in dem Wissen aufgewachsen, dass Europa wirklich eins ist und zusammengehört. Diese Gewissheit wird seit geraumer Zeit erschüttert. Wir jedoch wollen dieses Geschenk „Europa“ nicht hergeben, das sich unsere Eltern und Großeltern erarbeitet haben. Europa ist und bleibt meine Hoffnung.

Also doch ein politischer Song?

In dem Fall ja. Ich wollte so ein großes Thema behandeln, allerdings so, dass es mehr oder weniger poetisch bleibt.

„Ich hab Gefühle“ klingt mit seinem mächtigen Refrain mal wieder nach Hit. Absicht?

Hin und wieder ein Hit tut uns schon gut (lacht). Ich denke, das ist einer der größten Refrains, die ich je gesungen habe. Ein fetter Gospel. In diesem Song geht es wieder um das Gefühl der „digitalen Tristesse“, das sich durch beide Alben zieht. Die sozialen Medien sind Realität und doch lassen sie dich oft etwas leer zurück. Dieses ständige „Bin ich wichtig, was denken die anderen?“ kann einen mürbe machen. Auch ich versuche Social Media zu verstehen, sonst könnte ich nicht humorvoll darüber singen. Doch wenn ich in einem Café sitze, beobachte ich lieber eine Stunde lang das Pärchen gegenüber als in mein Handy zu schauen.

In „Mr. Supercool“ singst du „Bello Bello, komm mit mir“. Ist das so etwas wie dein homosexuelles Coming Out?

Wer weiß. Vielleicht ist es ein Song über schwule Verführung, vielleicht verlasse ich auch den männlichen Körper und singe aus der Position einer Frau heraus. Auch ein Mann ist ein facettenreiches Wesen, und in so einem Lied nimmt meine Männlichkeit eben eine feminine oder auch queere Form an. Im Deutschen hört man einen solchen Song nie, im Englischen selten, vielleicht mal bei Prince. Und manchen Leuten ist die „Bello“-Zeile sicher zu viel, aber das ist okay.

Du hältst es also offen, ob du die homosexuelle Perspektive einnimmst?

Ja, genau. Die Mädels sollen von mir träumen, und die Boys sollen von mir träumen (lacht).

Ende Mai spielt ihr zwei Open-Air-Konzerte vor dem Schloss Schönbrunn in Wien. Insgesamt 30.000 Menschen werden erwartet Der bisherige Höhepunkt eurer Karriere?

Wir freuen uns wahnsinnig darauf. In Österreich geht eigentlich nichts mehr darüber. Klar, es gibt größeren kommerziellen Erfolg, noch krassere Hits und vielleicht mal eine Show im Fußballstadion. Aber wenn es um Coolness und Stil geht, dann ist Schönbrunn wirklich das Allergrößte. Dort spielen zu dürfen, ist schon ein legendäres Gefühl.

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Österreichs beste Band versteht es, immer wieder zu verblüffen. Sänger Maurice Ernst und seine drei Kumpels, die aus Kremsmünster stammen und seit Jahren in Wien leben, veröffentlichen nun gleich zwei Alben auf einmal, die unterschiedlicher kaum sein könnten. Das bereits seit Dezember digital erhältliche „Mea Culpa“ ist eine melancholische Daheimhörplatte, das ungleich fetzigere „Vernissage My Heart“ lässt die Frühlingsgefühle sprießen. Und mit „Frisbee“ und „Ich hab Gefühle“ sind auf „Vernissage“ allermindestens wieder zwei Sommersonnepophits dabei, die sich vor jungen Klassikern wie „Maschin“ oder „Bungalow“ nicht zu verstecken brauchen. Wir unterhielten uns mit Maurice Ernst im Berlin-Kreuzberger Hotel „Orania“.

Berliner Morgenpost: Maurice, das „Orania“ ist in Berlin umstritten. Manche verteufeln es als eine Art Mahnmal der Gentrifizierung und werfen Farbbeutel und ähnliches gegen die Wände.

Maurice Ernst: Ich habe davon gehört, aber man kann hier wirklich sehr gemütlich sitzen und sein. Als Tourist halte ich mich besser aus solchen Auseinandersetzungen raus.

Gegen wen oder was würdest du denn protestieren?

Da ich immer schon Musik gemacht habe und es Bilderbuch ja bereits gibt, seit ich 15 bin, konnte ich meine Energie, meine Freude und meinen Ärger immer schon in meine Songs einbringen. Aber wenn es wirklich mal hart auf hart kommen sollte, werde ich mir eine Milchpackung kaufen, sie vorne leicht öffnen und auf jemanden werfen, der sie verdient hat.

Süß.

Man wird besudelt. Aber oft ist es besser, jemanden zu besudeln als zu verletzen.

Wer hätte deine Milch verdient?

Aus dem Fenster würde ich mich jetzt noch nicht lehnen. Ob ich jetzt einen Politiker nehme oder einen österreichischen Popstar – mal sehen, in der Frage bleibe ich unberechenbar. Die Leute, die sich mit Bilderbuch auseinandersetzen, kennen meine Haltung und die ungefähre Richtung, in die ich zielen würde.

Wann wäre der Zeitpunkt gekommen, an dem du politisch wirst?

Ich bin im Dezember 30 geworden. Ich habe also noch genug Zeit, um die Reife zu erreichen, mit der ich in meiner Funktion als Sänger noch ein bisschen weitergehe.

Wie fühlen sich das Leben an mit 30?

Nicht anders als vorher. Wenn ich zurückschaue auf die letzten zehn Jahre, dann bin ich ziemlich glücklich. Ich möchte weitermachen wie bisher. Alt fühle ich mich noch überhaupt nicht. Das einzige, was ich bis zu meinem 30. Geburtstag erreichen wollte, war, eine neue Platte rauszubringen. Sozusagen als Geschenk an mich.

Habt ihr deshalb „Mea Culpa“ unangekündigt und über Nacht Mitte Dezember digital veröffentlicht, bevor ihr das Album jetzt, zusammen mit „Vernissage My Heart“, auch als CD und auf Vinyl erhältlich ist?

Ja, auch. Außerdem wollten wir die neuen Medien nutzen und einfach mal neue Musik unkommentiert in den Raum stellen, ohne Beipackzettel und ohne Erklärung. Aber interessanter finde ich einen anderen Aspekt.

Welchen denn?

Auf romantische Art und Weise präsentieren wir mit den beiden Alben Diversität. Man kann sich entscheiden, man muss sich aber nicht entscheiden. Man kann ein Album besser finden als das andere, muss man aber nicht. Wir haben richtig aus dem Vollen geschöpft, uns bewusst nicht limitiert. In der modernen Musik klingt alles so gleich, die Musik selbst wird immer computergenerierter, und sehr viele gute Sachen werden ein bisschen verdrängt. Uns macht es Spaß und es ist uns wichtig, dem etwas entgegenzuhalten, was originell und verspielt ist.

Sind „Vernissage My Heart“ und „Mea Culpa“ Zwillinge?

Ja. Sie sind gleichzeitig geboren, aber nicht eineiig. Irgendwann hatten wir einen Haufen Material und merkten, wie zwei sehr unterschiedliche Platten ein Gesicht bekamen. „Mea Culpa“ ist extrem nach innen gerichtet und beschäftigt sich mit dem Ich, das nach Liebe sucht und verloren ist in seiner Einsamkeit. „Vernissage My Heart“ öffnet die Arme und ist viel gesellschaftlicher, es ist ein „Wir- und ein Freunde-Album“.

Einige der „Mea Culpa“-Songs wie „Taxt Taxi“ sind wirklich sehr intim.

Ich bin selbst überrascht, wie privat das geworden ist. Meine Bandkollegen checkten noch früher als ich, dass da einiges aus meinem Liebesleben drinsteckt.

Welches ziemlich bewegt zu sein scheint.

Na ja, ich schleppe schon einige kleine Pakete mit mir herum. Und ohne es bewusst zu wollen, habe ich mir die Seele vom Leib geschrieben. Jetzt fühle ich mich ein bisschen geheilt.

Musikalisch orientiert sich „Mea Culpa“ an softem R&B vom Stile Frank Oceans, „Vernissage My Heart“ dagegen ist lauter, mit mehr Gitarren und geht mehr Richtung Prince oder Beastie Boys.

Der Vibe der „Vernissage“-Platte ist die Hoffnung. Es geht um Utopien, um Hippie-Themen, um eine grundlegende Funkiness.

Die Lieder heißen „Frisbee“ oder „Kids im Park“.

Genau. „Ich fühl mich Frisbee“ ist so ein Satz, der uns morgens beim Frühstück in Kroatien einfiel. Wir hatten uns dort ein Haus gemietet, um Songs zu schreiben und aufzunehmen. Die Gitarren dröhnten durch den Garten, wir haben draußen gekocht und uns immer wieder neckisch in den Swimming Pool reingeworfen. Das war schon sehr perfekt.

Und die Nachbarn?

Haben das alles sehr wohlwollend aufgenommen. Der Vermieter war ein Progessive-Rock-Fan, er konnte weder deutsch noch englisch und meinte immer nur „progressive perfect“.

Ist „Frisbee“ ein Song, der glücklich macht?

Das gefällt mir. Genau. Frech und positiv und wunderschön und naiv. Und ein bisschen Medizin, denn der Song löst einfach schöne Gefühle aus.

Habt ihr über die Zeile „Ihr Busen hüpft, wenn sie den Frisbee catcht“ diskutiert?

Ja. Die Frage „Darf ich das als Künstler in meiner Position sagen?“ stellte sich schon. Aber ich wollte das unbedingt singen, das Wort „Busen“ hat so eine gewisse Komik und Zärtlichkeit. Ein Rapper hätte ja wohl ein ganz anderes Wort benutzt. Für mich war das notwendig so, ich kann es gar nicht erklären. Ich bin ein Feminist, der das Wort „Busen“ singt.

Heutzutage muss man unheimlich aufpassen, was man sagt und tut, wie man sich anzieht oder sich auf Instagram präsentiert. Nervt es, immer korrekt sein zu müssen?

Natürlich will man kein Arschloch sein, aber für einen Künstler ist es schon krass anstrengend, alle aktuellen Debatten immer im Blick zu haben. Man will sich ja in seiner eigenen Frechheit und Freiheit auch noch wiederfinden. Ich werde immer wieder konfrontiert mit Vorwürfen bezüglich meiner Kleidung oder meiner Frisur, und das von Menschen, die sich für links und weltoffen halten. Manchmal entdeckst du extrem konservative Züge an Leuten, die das Konservative weit von sich weg weisen würden. Mich macht es zum Beispiel traurig, wenn Kendrick Lamar sagt, Weiße sollen seine Songs nicht mitsingen. Was soll das? Mir tut das weh. Ich kämpfe mein ganzes Leben dafür, dass wir diese kulturellen Schranken öffnen und das Trennende ablegen.

Steht das „Frisbee“ nur für ein unbeschwertes Sommerlebensgefühl?

Es gibt noch eine weitere Ebene. „Frisbee“ als Metapher für Drogen. „Alle meine Freunde spielen Frisbee heute Nacht“. Ich bin kein absoluter Antidrogenmann, aber in unserer und noch stärker in der nachfolgenden Generation herrscht eine unglaubliche Naivität, was Drogen angeht. Das ist spannend zu beobachten. Gerade Pillen und Amphetamine spielen eine große Rolle.

Um Freiheit, nämlich um die Freiheit, mit dem Cabrio durch ein grenzenloses Europa zu brausen, geht es in „Europa 22“. Wofür steht die Zahl?

Auch das ist ein Lied über Hoffnungen und Utopien. Und deine Frage ist exakt die Frage, die ich aufwerfen wollte. Das kann ein Ablaufdatum sein, oder auch ein Ziel. Ich schätze ein Leben ohne Grenzen, ich will, dass das bleibt. Meine Generation ist in dem Wissen aufgewachsen, dass Europa wirklich eins ist und zusammengehört. Diese Gewissheit wird seit geraumer Zeit erschüttert. Wir jedoch wollen dieses Geschenk „Europa“ nicht hergeben, das sich unsere Eltern und Großeltern erarbeitet haben. Europa ist und bleibt meine Hoffnung.

Also doch ein politischer Song?

In dem Fall ja. Ich wollte so ein großes Thema behandeln, allerdings so, dass es mehr oder weniger poetisch bleibt.

„Ich hab Gefühle“ klingt mit seinem mächtigen Refrain mal wieder nach Hit. Absicht?

Hin und wieder ein Hit tut uns schon gut (lacht). Ich denke, das ist einer der größten Refrains, die ich je gesungen habe. Ein fetter Gospel. In diesem Song geht es wieder um das Gefühl der „digitalen Tristesse“, das sich durch beide Alben zieht. Die sozialen Medien sind Realität und doch lassen sie dich oft etwas leer zurück. Dieses ständige „Bin ich wichtig, was denken die anderen?“ kann einen mürbe machen. Auch ich versuche Social Media zu verstehen, sonst könnte ich nicht humorvoll darüber singen. Doch wenn ich in einem Café sitze, beobachte ich lieber eine Stunde lang das Pärchen gegenüber als in mein Handy zu schauen.

In „Mr. Supercool“ singst du „Bello Bello, komm mit mir“. Ist das so etwas wie dein homosexuelles Coming Out?

Wer weiß. Vielleicht ist es ein Song über schwule Verführung, vielleicht verlasse ich auch den männlichen Körper und singe aus der Position einer Frau heraus. Auch ein Mann ist ein facettenreiches Wesen, und in so einem Lied nimmt meine Männlichkeit eben eine feminine oder auch queere Form an. Im Deutschen hört man einen solchen Song nie, im Englischen selten, vielleicht mal bei Prince. Und manchen Leuten ist die „Bello“-Zeile sicher zu viel, aber das ist okay.

Du hältst es also offen, ob du die homosexuelle Perspektive einnimmst?

Ja, genau. Die Mädels sollen von mir träumen, und die Boys sollen von mir träumen (lacht).

Ende Mai spielt ihr zwei Open-Air-Konzerte vor dem Schloss Schönbrunn in Wien. Insgesamt 30.000 Menschen werden erwartet Der bisherige Höhepunkt eurer Karriere?

Wir freuen uns wahnsinnig darauf. In Österreich geht eigentlich nichts mehr darüber. Klar, es gibt größeren kommerziellen Erfolg, noch krassere Hits und vielleicht mal eine Show im Fußballstadion. Aber wenn es um Coolness und Stil geht, dann ist Schönbrunn wirklich das Allergrößte. Dort spielen zu dürfen, ist schon ein legendäres Gefühl.

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Gegen wen oder was würdest du denn protestieren?

Da ich immer schon Musik gemacht habe und es Bilderbuch ja bereits gibt, seit ich 15 bin, konnte ich meine Energie, meine Freude und meinen Ärger immer schon in meine Songs einbringen. Aber wenn es wirklich mal hart auf hart kommen sollte, werde ich mir eine Milchpackung kaufen, sie vorne leicht öffnen und auf jemanden werfen, der sie verdient hat.

Süß.

Man wird besudelt. Aber oft ist es besser, jemanden zu besudeln als zu verletzen.

Wer hätte deine Milch verdient?

Aus dem Fenster würde ich mich jetzt noch nicht lehnen. Ob ich jetzt einen Politiker nehme oder einen österreichischen Popstar – mal sehen, in der Frage bleibe ich unberechenbar. Die Leute, die sich mit Bilderbuch auseinandersetzen, kennen meine Haltung und die ungefähre Richtung, in die ich zielen würde.

Wann wäre der Zeitpunkt gekommen, an dem du politisch wirst?

Ich bin im Dezember 30 geworden. Ich habe also noch genug Zeit, um die Reife zu erreichen, mit der ich in meiner Funktion als Sänger noch ein bisschen weitergehe.

Wie fühlen sich das Leben an mit 30?

Nicht anders als vorher. Wenn ich zurückschaue auf die letzten zehn Jahre, dann bin ich ziemlich glücklich. Ich möchte weitermachen wie bisher. Alt fühle ich mich noch überhaupt nicht. Das einzige, was ich bis zu meinem 30. Geburtstag erreichen wollte, war, eine neue Platte rauszubringen. Sozusagen als Geschenk an mich.

Habt ihr deshalb „Mea Culpa“ unangekündigt und über Nacht Mitte Dezember digital veröffentlicht, bevor ihr das Album jetzt, zusammen mit „Vernissage My Heart“, auch als CD und auf Vinyl erhältlich ist?

Ja, auch. Außerdem wollten wir die neuen Medien nutzen und einfach mal neue Musik unkommentiert in den Raum stellen, ohne Beipackzettel und ohne Erklärung. Aber interessanter finde ich einen anderen Aspekt.

Welchen denn?

Auf romantische Art und Weise präsentieren wir mit den beiden Alben Diversität. Man kann sich entscheiden, man muss sich aber nicht entscheiden. Man kann ein Album besser finden als das andere, muss man aber nicht. Wir haben richtig aus dem Vollen geschöpft, uns bewusst nicht limitiert. In der modernen Musik klingt alles so gleich, die Musik selbst wird immer computergenerierter, und sehr viele gute Sachen werden ein bisschen verdrängt. Uns macht es Spaß und es ist uns wichtig, dem etwas entgegenzuhalten, was originell und verspielt ist.

Sind „Vernissage My Heart“ und „Mea Culpa“ Zwillinge?

Ja. Sie sind gleichzeitig geboren, aber nicht eineiig. Irgendwann hatten wir einen Haufen Material und merkten, wie zwei sehr unterschiedliche Platten ein Gesicht bekamen. „Mea Culpa“ ist extrem nach innen gerichtet und beschäftigt sich mit dem Ich, das nach Liebe sucht und verloren ist in seiner Einsamkeit. „Vernissage My Heart“ öffnet die Arme und ist viel gesellschaftlicher, es ist ein „Wir- und ein Freunde-Album“.

Einige der „Mea Culpa“-Songs wie „Taxt Taxi“ sind wirklich sehr intim.

Ich bin selbst überrascht, wie privat das geworden ist. Meine Bandkollegen checkten noch früher als ich, dass da einiges aus meinem Liebesleben drinsteckt.

Welches ziemlich bewegt zu sein scheint.

Na ja, ich schleppe schon einige kleine Pakete mit mir herum. Und ohne es bewusst zu wollen, habe ich mir die Seele vom Leib geschrieben. Jetzt fühle ich mich ein bisschen geheilt.

Musikalisch orientiert sich „Mea Culpa“ an softem R&B vom Stile Frank Oceans, „Vernissage My Heart“ dagegen ist lauter, mit mehr Gitarren und geht mehr Richtung Prince oder Beastie Boys.

Der Vibe der „Vernissage“-Platte ist die Hoffnung. Es geht um Utopien, um Hippie-Themen, um eine grundlegende Funkiness.

Die Lieder heißen „Frisbee“ oder „Kids im Park“.

Genau. „Ich fühl mich Frisbee“ ist so ein Satz, der uns morgens beim Frühstück in Kroatien einfiel. Wir hatten uns dort ein Haus gemietet, um Songs zu schreiben und aufzunehmen. Die Gitarren dröhnten durch den Garten, wir haben draußen gekocht und uns immer wieder neckisch in den Swimming Pool reingeworfen. Das war schon sehr perfekt.

Und die Nachbarn?

Haben das alles sehr wohlwollend aufgenommen. Der Vermieter war ein Progessive-Rock-Fan, er konnte weder deutsch noch englisch und meinte immer nur „progressive perfect“.

Ist „Frisbee“ ein Song, der glücklich macht?

Das gefällt mir. Genau. Frech und positiv und wunderschön und naiv. Und ein bisschen Medizin, denn der Song löst einfach schöne Gefühle aus.

Habt ihr über die Zeile „Ihr Busen hüpft, wenn sie den Frisbee catcht“ diskutiert?

Ja. Die Frage „Darf ich das als Künstler in meiner Position sagen?“ stellte sich schon. Aber ich wollte das unbedingt singen, das Wort „Busen“ hat so eine gewisse Komik und Zärtlichkeit. Ein Rapper hätte ja wohl ein ganz anderes Wort benutzt. Für mich war das notwendig so, ich kann es gar nicht erklären. Ich bin ein Feminist, der das Wort „Busen“ singt.

Heutzutage muss man unheimlich aufpassen, was man sagt und tut, wie man sich anzieht oder sich auf Instagram präsentiert. Nervt es, immer korrekt sein zu müssen?

Natürlich will man kein Arschloch sein, aber für einen Künstler ist es schon krass anstrengend, alle aktuellen Debatten immer im Blick zu haben. Man will sich ja in seiner eigenen Frechheit und Freiheit auch noch wiederfinden. Ich werde immer wieder konfrontiert mit Vorwürfen bezüglich meiner Kleidung oder meiner Frisur, und das von Menschen, die sich für links und weltoffen halten. Manchmal entdeckst du extrem konservative Züge an Leuten, die das Konservative weit von sich weg weisen würden. Mich macht es zum Beispiel traurig, wenn Kendrick Lamar sagt, Weiße sollen seine Songs nicht mitsingen. Was soll das? Mir tut das weh. Ich kämpfe mein ganzes Leben dafür, dass wir diese kulturellen Schranken öffnen und das Trennende ablegen.

Steht das „Frisbee“ nur für ein unbeschwertes Sommerlebensgefühl?

Es gibt noch eine weitere Ebene. „Frisbee“ als Metapher für Drogen. „Alle meine Freunde spielen Frisbee heute Nacht“. Ich bin kein absoluter Antidrogenmann, aber in unserer und noch stärker in der nachfolgenden Generation herrscht eine unglaubliche Naivität, was Drogen angeht. Das ist spannend zu beobachten. Gerade Pillen und Amphetamine spielen eine große Rolle.

Um Freiheit, nämlich um die Freiheit, mit dem Cabrio durch ein grenzenloses Europa zu brausen, geht es in „Europa 22“. Wofür steht die Zahl?

Auch das ist ein Lied über Hoffnungen und Utopien. Und deine Frage ist exakt die Frage, die ich aufwerfen wollte. Das kann ein Ablaufdatum sein, oder auch ein Ziel. Ich schätze ein Leben ohne Grenzen, ich will, dass das bleibt. Meine Generation ist in dem Wissen aufgewachsen, dass Europa wirklich eins ist und zusammengehört. Diese Gewissheit wird seit geraumer Zeit erschüttert. Wir jedoch wollen dieses Geschenk „Europa“ nicht hergeben, das sich unsere Eltern und Großeltern erarbeitet haben. Europa ist und bleibt meine Hoffnung.

Also doch ein politischer Song?

In dem Fall ja. Ich wollte so ein großes Thema behandeln, allerdings so, dass es mehr oder weniger poetisch bleibt.

„Ich hab Gefühle“ klingt mit seinem mächtigen Refrain mal wieder nach Hit. Absicht?

Hin und wieder ein Hit tut uns schon gut (lacht). Ich denke, das ist einer der größten Refrains, die ich je gesungen habe. Ein fetter Gospel. In diesem Song geht es wieder um das Gefühl der „digitalen Tristesse“, das sich durch beide Alben zieht. Die sozialen Medien sind Realität und doch lassen sie dich oft etwas leer zurück. Dieses ständige „Bin ich wichtig, was denken die anderen?“ kann einen mürbe machen. Auch ich versuche Social Media zu verstehen, sonst könnte ich nicht humorvoll darüber singen. Doch wenn ich in einem Café sitze, beobachte ich lieber eine Stunde lang das Pärchen gegenüber als in mein Handy zu schauen.

In „Mr. Supercool“ singst du „Bello Bello, komm mit mir“. Ist das so etwas wie dein homosexuelles Coming Out?

Wer weiß. Vielleicht ist es ein Song über schwule Verführung, vielleicht verlasse ich auch den männlichen Körper und singe aus der Position einer Frau heraus. Auch ein Mann ist ein facettenreiches Wesen, und in so einem Lied nimmt meine Männlichkeit eben eine feminine oder auch queere Form an. Im Deutschen hört man einen solchen Song nie, im Englischen selten, vielleicht mal bei Prince. Und manchen Leuten ist die „Bello“-Zeile sicher zu viel, aber das ist okay.

Du hältst es also offen, ob du die homosexuelle Perspektive einnimmst?

Ja, genau. Die Mädels sollen von mir träumen, und die Boys sollen von mir träumen (lacht).

Ende Mai spielt ihr zwei Open-Air-Konzerte vor dem Schloss Schönbrunn in Wien. Insgesamt 30.000 Menschen werden erwartet Der bisherige Höhepunkt eurer Karriere?

Wir freuen uns wahnsinnig darauf. In Österreich geht eigentlich nichts mehr darüber. Klar, es gibt größeren kommerziellen Erfolg, noch krassere Hits und vielleicht mal eine Show im Fußballstadion. Aber wenn es um Coolness und Stil geht, dann ist Schönbrunn wirklich das Allergrößte. Dort spielen zu dürfen, ist schon ein legendäres Gefühl.

]{{}}=

Österreichs beste Band versteht es, immer wieder zu verblüffen. Sänger Maurice Ernst und seine drei Kumpels, die aus Kremsmünster stammen und seit Jahren in Wien leben, veröffentlichen nun gleich zwei Alben auf einmal, die unterschiedlicher kaum sein könnten. Das bereits seit Dezember digital erhältliche „Mea Culpa“ ist eine melancholische Daheimhörplatte, das ungleich fetzigere „Vernissage My Heart“ lässt die Frühlingsgefühle sprießen. Und mit „Frisbee“ und „Ich hab Gefühle“ sind auf „Vernissage“ allermindestens wieder zwei Sommersonnepophits dabei, die sich vor jungen Klassikern wie „Maschin“ oder „Bungalow“ nicht zu verstecken brauchen. Wir unterhielten uns mit Maurice Ernst im Berlin-Kreuzberger Hotel „Orania“.

Berliner Morgenpost: Maurice, das „Orania“ ist in Berlin umstritten. Manche verteufeln es als eine Art Mahnmal der Gentrifizierung und werfen Farbbeutel und ähnliches gegen die Wände.

Maurice Ernst: Ich habe davon gehört, aber man kann hier wirklich sehr gemütlich sitzen und sein. Als Tourist halte ich mich besser aus solchen Auseinandersetzungen raus.

Gegen wen oder was würdest du denn protestieren?

Da ich immer schon Musik gemacht habe und es Bilderbuch ja bereits gibt, seit ich 15 bin, konnte ich meine Energie, meine Freude und meinen Ärger immer schon in meine Songs einbringen. Aber wenn es wirklich mal hart auf hart kommen sollte, werde ich mir eine Milchpackung kaufen, sie vorne leicht öffnen und auf jemanden werfen, der sie verdient hat.

Süß.

Man wird besudelt. Aber oft ist es besser, jemanden zu besudeln als zu verletzen.

Wer hätte deine Milch verdient?

Aus dem Fenster würde ich mich jetzt noch nicht lehnen. Ob ich jetzt einen Politiker nehme oder einen österreichischen Popstar – mal sehen, in der Frage bleibe ich unberechenbar. Die Leute, die sich mit Bilderbuch auseinandersetzen, kennen meine Haltung und die ungefähre Richtung, in die ich zielen würde.

Wann wäre der Zeitpunkt gekommen, an dem du politisch wirst?

Ich bin im Dezember 30 geworden. Ich habe also noch genug Zeit, um die Reife zu erreichen, mit der ich in meiner Funktion als Sänger noch ein bisschen weitergehe.

Wie fühlen sich das Leben an mit 30?

Nicht anders als vorher. Wenn ich zurückschaue auf die letzten zehn Jahre, dann bin ich ziemlich glücklich. Ich möchte weitermachen wie bisher. Alt fühle ich mich noch überhaupt nicht. Das einzige, was ich bis zu meinem 30. Geburtstag erreichen wollte, war, eine neue Platte rauszubringen. Sozusagen als Geschenk an mich.

Habt ihr deshalb „Mea Culpa“ unangekündigt und über Nacht Mitte Dezember digital veröffentlicht, bevor ihr das Album jetzt, zusammen mit „Vernissage My Heart“, auch als CD und auf Vinyl erhältlich ist?

Ja, auch. Außerdem wollten wir die neuen Medien nutzen und einfach mal neue Musik unkommentiert in den Raum stellen, ohne Beipackzettel und ohne Erklärung. Aber interessanter finde ich einen anderen Aspekt.

Welchen denn?

Auf romantische Art und Weise präsentieren wir mit den beiden Alben Diversität. Man kann sich entscheiden, man muss sich aber nicht entscheiden. Man kann ein Album besser finden als das andere, muss man aber nicht. Wir haben richtig aus dem Vollen geschöpft, uns bewusst nicht limitiert. In der modernen Musik klingt alles so gleich, die Musik selbst wird immer computergenerierter, und sehr viele gute Sachen werden ein bisschen verdrängt. Uns macht es Spaß und es ist uns wichtig, dem etwas entgegenzuhalten, was originell und verspielt ist.

Sind „Vernissage My Heart“ und „Mea Culpa“ Zwillinge?

Ja. Sie sind gleichzeitig geboren, aber nicht eineiig. Irgendwann hatten wir einen Haufen Material und merkten, wie zwei sehr unterschiedliche Platten ein Gesicht bekamen. „Mea Culpa“ ist extrem nach innen gerichtet und beschäftigt sich mit dem Ich, das nach Liebe sucht und verloren ist in seiner Einsamkeit. „Vernissage My Heart“ öffnet die Arme und ist viel gesellschaftlicher, es ist ein „Wir- und ein Freunde-Album“.

Einige der „Mea Culpa“-Songs wie „Taxt Taxi“ sind wirklich sehr intim.

Ich bin selbst überrascht, wie privat das geworden ist. Meine Bandkollegen checkten noch früher als ich, dass da einiges aus meinem Liebesleben drinsteckt.

Welches ziemlich bewegt zu sein scheint.

Na ja, ich schleppe schon einige kleine Pakete mit mir herum. Und ohne es bewusst zu wollen, habe ich mir die Seele vom Leib geschrieben. Jetzt fühle ich mich ein bisschen geheilt.

Musikalisch orientiert sich „Mea Culpa“ an softem R&B vom Stile Frank Oceans, „Vernissage My Heart“ dagegen ist lauter, mit mehr Gitarren und geht mehr Richtung Prince oder Beastie Boys.

Der Vibe der „Vernissage“-Platte ist die Hoffnung. Es geht um Utopien, um Hippie-Themen, um eine grundlegende Funkiness.

Die Lieder heißen „Frisbee“ oder „Kids im Park“.

Genau. „Ich fühl mich Frisbee“ ist so ein Satz, der uns morgens beim Frühstück in Kroatien einfiel. Wir hatten uns dort ein Haus gemietet, um Songs zu schreiben und aufzunehmen. Die Gitarren dröhnten durch den Garten, wir haben draußen gekocht und uns immer wieder neckisch in den Swimming Pool reingeworfen. Das war schon sehr perfekt.

Und die Nachbarn?

Haben das alles sehr wohlwollend aufgenommen. Der Vermieter war ein Progessive-Rock-Fan, er konnte weder deutsch noch englisch und meinte immer nur „progressive perfect“.

Ist „Frisbee“ ein Song, der glücklich macht?

Das gefällt mir. Genau. Frech und positiv und wunderschön und naiv. Und ein bisschen Medizin, denn der Song löst einfach schöne Gefühle aus.

Habt ihr über die Zeile „Ihr Busen hüpft, wenn sie den Frisbee catcht“ diskutiert?

Ja. Die Frage „Darf ich das als Künstler in meiner Position sagen?“ stellte sich schon. Aber ich wollte das unbedingt singen, das Wort „Busen“ hat so eine gewisse Komik und Zärtlichkeit. Ein Rapper hätte ja wohl ein ganz anderes Wort benutzt. Für mich war das notwendig so, ich kann es gar nicht erklären. Ich bin ein Feminist, der das Wort „Busen“ singt.

Heutzutage muss man unheimlich aufpassen, was man sagt und tut, wie man sich anzieht oder sich auf Instagram präsentiert. Nervt es, immer korrekt sein zu müssen?

Natürlich will man kein Arschloch sein, aber für einen Künstler ist es schon krass anstrengend, alle aktuellen Debatten immer im Blick zu haben. Man will sich ja in seiner eigenen Frechheit und Freiheit auch noch wiederfinden. Ich werde immer wieder konfrontiert mit Vorwürfen bezüglich meiner Kleidung oder meiner Frisur, und das von Menschen, die sich für links und weltoffen halten. Manchmal entdeckst du extrem konservative Züge an Leuten, die das Konservative weit von sich weg weisen würden. Mich macht es zum Beispiel traurig, wenn Kendrick Lamar sagt, Weiße sollen seine Songs nicht mitsingen. Was soll das? Mir tut das weh. Ich kämpfe mein ganzes Leben dafür, dass wir diese kulturellen Schranken öffnen und das Trennende ablegen.

Steht das „Frisbee“ nur für ein unbeschwertes Sommerlebensgefühl?

Es gibt noch eine weitere Ebene. „Frisbee“ als Metapher für Drogen. „Alle meine Freunde spielen Frisbee heute Nacht“. Ich bin kein absoluter Antidrogenmann, aber in unserer und noch stärker in der nachfolgenden Generation herrscht eine unglaubliche Naivität, was Drogen angeht. Das ist spannend zu beobachten. Gerade Pillen und Amphetamine spielen eine große Rolle.

Um Freiheit, nämlich um die Freiheit, mit dem Cabrio durch ein grenzenloses Europa zu brausen, geht es in „Europa 22“. Wofür steht die Zahl?

Auch das ist ein Lied über Hoffnungen und Utopien. Und deine Frage ist exakt die Frage, die ich aufwerfen wollte. Das kann ein Ablaufdatum sein, oder auch ein Ziel. Ich schätze ein Leben ohne Grenzen, ich will, dass das bleibt. Meine Generation ist in dem Wissen aufgewachsen, dass Europa wirklich eins ist und zusammengehört. Diese Gewissheit wird seit geraumer Zeit erschüttert. Wir jedoch wollen dieses Geschenk „Europa“ nicht hergeben, das sich unsere Eltern und Großeltern erarbeitet haben. Europa ist und bleibt meine Hoffnung.

Also doch ein politischer Song?

In dem Fall ja. Ich wollte so ein großes Thema behandeln, allerdings so, dass es mehr oder weniger poetisch bleibt.

„Ich hab Gefühle“ klingt mit seinem mächtigen Refrain mal wieder nach Hit. Absicht?

Hin und wieder ein Hit tut uns schon gut (lacht). Ich denke, das ist einer der größten Refrains, die ich je gesungen habe. Ein fetter Gospel. In diesem Song geht es wieder um das Gefühl der „digitalen Tristesse“, das sich durch beide Alben zieht. Die sozialen Medien sind Realität und doch lassen sie dich oft etwas leer zurück. Dieses ständige „Bin ich wichtig, was denken die anderen?“ kann einen mürbe machen. Auch ich versuche Social Media zu verstehen, sonst könnte ich nicht humorvoll darüber singen. Doch wenn ich in einem Café sitze, beobachte ich lieber eine Stunde lang das Pärchen gegenüber als in mein Handy zu schauen.

In „Mr. Supercool“ singst du „Bello Bello, komm mit mir“. Ist das so etwas wie dein homosexuelles Coming Out?

Wer weiß. Vielleicht ist es ein Song über schwule Verführung, vielleicht verlasse ich auch den männlichen Körper und singe aus der Position einer Frau heraus. Auch ein Mann ist ein facettenreiches Wesen, und in so einem Lied nimmt meine Männlichkeit eben eine feminine oder auch queere Form an. Im Deutschen hört man einen solchen Song nie, im Englischen selten, vielleicht mal bei Prince. Und manchen Leuten ist die „Bello“-Zeile sicher zu viel, aber das ist okay.

Du hältst es also offen, ob du die homosexuelle Perspektive einnimmst?

Ja, genau. Die Mädels sollen von mir träumen, und die Boys sollen von mir träumen (lacht).

Ende Mai spielt ihr zwei Open-Air-Konzerte vor dem Schloss Schönbrunn in Wien. Insgesamt 30.000 Menschen werden erwartet Der bisherige Höhepunkt eurer Karriere?

Wir freuen uns wahnsinnig darauf. In Österreich geht eigentlich nichts mehr darüber. Klar, es gibt größeren kommerziellen Erfolg, noch krassere Hits und vielleicht mal eine Show im Fußballstadion. Aber wenn es um Coolness und Stil geht, dann ist Schönbrunn wirklich das Allergrößte. Dort spielen zu dürfen, ist schon ein legendäres Gefühl.

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Österreichs beste Band versteht es, immer wieder zu verblüffen. Sänger Maurice Ernst und seine drei Kumpels, die aus Kremsmünster stammen und seit Jahren in Wien leben, veröffentlichen nun gleich zwei Alben auf einmal, die unterschiedlicher kaum sein könnten. Das bereits seit Dezember digital erhältliche „Mea Culpa“ ist eine melancholische Daheimhörplatte, das ungleich fetzigere „Vernissage My Heart“ lässt die Frühlingsgefühle sprießen. Und mit „Frisbee“ und „Ich hab Gefühle“ sind auf „Vernissage“ allermindestens wieder zwei Sommersonnepophits dabei, die sich vor jungen Klassikern wie „Maschin“ oder „Bungalow“ nicht zu verstecken brauchen. Wir unterhielten uns mit Maurice Ernst im Berlin-Kreuzberger Hotel „Orania“.

Berliner Morgenpost: Maurice, das „Orania“ ist in Berlin umstritten. Manche verteufeln es als eine Art Mahnmal der Gentrifizierung und werfen Farbbeutel und ähnliches gegen die Wände.

Maurice Ernst: Ich habe davon gehört, aber man kann hier wirklich sehr gemütlich sitzen und sein. Als Tourist halte ich mich besser aus solchen Auseinandersetzungen raus.

Gegen wen oder was würdest du denn protestieren?

Da ich immer schon Musik gemacht habe und es Bilderbuch ja bereits gibt, seit ich 15 bin, konnte ich meine Energie, meine Freude und meinen Ärger immer schon in meine Songs einbringen. Aber wenn es wirklich mal hart auf hart kommen sollte, werde ich mir eine Milchpackung kaufen, sie vorne leicht öffnen und auf jemanden werfen, der sie verdient hat.

Süß.

Man wird besudelt. Ab...

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