Produzentin Tanja Ziegler im Interview: "Ich bin ein Fan davon, den Zuschauern viel zuzumuten"

"Ich kann nur für mich sprechen: Ich erzähle Geschichten, die mir wichtig sind", sagt Tanja Ziegler über ihren Arbeitsansatz. Die legendäre Produktionsfirma Ziegler Film feiert am 27. April ihr 50-jähriges Bestehen. (Bild: Ziegler Film / Guido Werner)
"Ich kann nur für mich sprechen: Ich erzähle Geschichten, die mir wichtig sind", sagt Tanja Ziegler über ihren Arbeitsansatz. Die legendäre Produktionsfirma Ziegler Film feiert am 27. April ihr 50-jähriges Bestehen. (Bild: Ziegler Film / Guido Werner)

Von einem Paradigmenwechsel in der Film- und Fernsehbranche will Produzentin Tanja Ziegler lieber nicht reden. "Diese Macht möchte ich den Streamern gar nicht geben", betont sie im Gespräch zum 50-jährigen Bestehen der Produktionsfirma Ziegler Film: "Ich kann nur für mich sprechen: Ich erzähle Geschichten, die mir wichtig sind."

Sie sei "stolz darauf, dass wir in unserer Branche einen kleinen Fußabdruck hinterlassen haben", sagt Tanja Ziegler (56). Eine Formulierung, die dann etwas doch zu bescheiden klingt, angesichts des Jubiläums, welchem die renommierte Film- und TV-Produzentin dieser Tage entgegensieht. Am 27. April feiert die Produktionsfirma Ziegler Film, die vor 50 Jahren von ihrer Mutter Regina gegründet wurde, ihr 50-jähriges Bestehen. Mehr als 500 Filme und Serien entstanden in der Berliner Fiction-Schmiede, darunter Publikumserfolge und mit hochkarätigen Preisen bedachte Produktionen wie "Weissensee" oder "Die Wölfe". Tanja Ziegler, die im Jahr 2000 als Mitgeschäftsführerin einstieg, spricht im Interview über ihre Lust am Poduzieren und einen Beruf, der viel mit Verantwortung zu tun hat.

teleschau: Seit 50 Jahren, ein halbes Jahrhundert lang, versorgt Ziegler-Film das Land mit Fiction. Sie und Ihre Mutter Regina haben mit hunderten von Produktionen Geschichte geschrieben!

Tanja Ziegler: Danke! Aber ganz so weit würde ich selbst nicht gehen wollen, denn ich finde, es gibt Wichtigeres im Leben als fiktionales Fernsehen. Dennoch bin ich stolz darauf, dass wir in unserer Branche einen kleinen Fußabdruck hinterlassen haben.

teleschau: Sehr bescheiden. Aber Formate wie die Erfolgsserie "Weissensee" oder Ihr jüngster Kinohit "In einem Land, das es nicht mehr gibt" haben auf jeden Fall ihren Beitrag zum gesellschaftlichen Diskurs geleistet ...

Ziegler: Schön, wenn es so wäre. So ein qualitatives Urteil überlasse ich dem Publikum und den Journalisten. Ich rede lieber über unsere Motivation, gute Filme zu machen. Vielleicht hat es nicht immer geklappt, aber es ging uns immer nur darum. Das Besondere ist, dass wir so unterschiedliche Genres bespielen durften. Wir haben uns nie in eine Schublade stecken lassen. Und: Wir sind ein verlässlicher Partner der Sender, aber immer auch mit viel Freude nah am Kino.

teleschau: Mit vielen Produktionen haben Sie enorme Reichweiten erzielt. Spüren Sie als Produzentin auch eine gewisse Verantwortung?

Ziegler: Ja, auf jeden Fall hat die TV-Fiction-Produktion viel mit Verantwortung zu tun. Aber ich empfinde das absolut nicht als Druck - sonst könnte ich auch keinen guten Job machen. Und klar freue ich mich über Kritiker- und Reichweiten-Erfolge.

teleschau: Aber es geht im Fernsehen schon in erster Linie um die Quote?

Ziegler: Zum Teil. Ein Beispiel: "Home Sweet Home", unser erster Theresa Wolff-Thüringenkrimi, hatte bei der Erstausstrahlung im Oktober 2021 im ZDF sieben Millionen Zuschauer und 27 Prozent Marktanteil. Das war eine kleine Sensation, ein super Gefühl ... Unsere Rechnung ist aufgegangen, die Idee und der Cast um Nina Gummich wurden angenommen, und all die Mühen unseres Teams haben sich gelohnt. Also schau ich als Produzentin und Arbeitgeberin schon auch auf die Quote. Bei jeder Produktion steht immer einiges auf dem Spiel.

teleschau: Sie sind seit 2000 in der Geschäftsführung ...

Ziegler: Ja, und es waren 23 sehr intensive Jahre. Ich habe einen Heidenrespekt vor den 50 Jahren, die Regina das jetzt schon geleistet hat.

teleschau: Dann gehen wir mal zurück ins Jahr 1973, als sie die Firma gründete. Da waren Sie sieben Jahre alt.

Ziegler: Ach, für mich als Kind war das erst mal nichts Besonderes. Ich hatte das klassische Programm: Ich ging zur Schule, dann in den Hort, und beim Abendessen wurde noch ein bisschen gesprochen - und dann ab ins Bett. Mir erschien das, was Regina machte, als Kind immer recht mysteriös. Sie war halt viel unterwegs ... Aber mir hat es an nichts gefehlt. Später, mit zwölf oder 13 Jahren, war ich dann oft beim Dreh dabei - meine Ferienerinnerungen haben viel mit Filmsets zu tun.

teleschau: Wie fanden Sie das damals?

Ziegler: Spannend! Und unfassbar langweilig! Beides zugleich (lacht). Die Drehtage bestehen nun mal zum guten Teil aus Warten, das ist kein Klischee. Aber die Filmwelt war schon auch aufregend, da waren einige vor und hinter der Kamera ganz schön wild - interessante Menschen, die mich irritiert, aber sicher auch bereichert haben. Ich hatte Spaß, eine gute Zeit und wurde mit dem Ganzen gut groß - denke ich.

50 Jahre Ziegler Film: Mit mehr als 500 produzierten Filmen und Serien haben Gründerin Regina Ziegler (links) und ihre Tochter Tanja Ziegler mehr als nur einen Fußabdruck in der Branche hinterlassen. (Bild: Ziegler Film / Guido Werner)
50 Jahre Ziegler Film: Mit mehr als 500 produzierten Filmen und Serien haben Gründerin Regina Ziegler (links) und ihre Tochter Tanja Ziegler mehr als nur einen Fußabdruck in der Branche hinterlassen. (Bild: Ziegler Film / Guido Werner)

"Bis ich 21 wurde, wollte ich nicht Filmproduzentin werden"

teleschau: Gab es den einen Moment, in dem Sie für die Branche Feuer gefangen hatten?

Ziegler: Eigentlich nicht, denn bis ich 21 wurde, wollte ich nicht Filmproduzentin werden.

teleschau: Also war Ihre Karriere gar nicht logisch?

Ziegler: Nein. Ich hatte mich am Anfang regelrecht dagegen gewehrt, damals brannte ich fürs Theater und wollte im Kostümbereich Fuß fassen. Vielleicht hatte ich vor dem Produzieren auch zu viel Respekt. Oder sagen wir es anders: Ich habe etwas Zeit gebraucht, um meine Talente zu entdecken (lacht).

teleschau: Was macht Sie zu einer guten Produzentin?

Ziegler: Ich kann gut organisieren, und ich spreche gerne mit Menschen. Ich brauche den Kontakt, ich liebe es, zu kommunizieren.

teleschau: Was fasziniert Sie an dem Beruf?

Ziegler: Ich liebe das Wechselspiel zwischen Kreativität und Organisation. Für mich geht es vor allem darum, Menschen zu verbinden und Geschichten zu erzählen. Außerdem ist es sehr spannend, die Entwicklung von der ersten Idee bis hin zur Ausstrahlung eines Films mitzuerleben. Und irgendwann hatte ich gelernt, dass es kaum Grenzen gibt, dass ich fast alles erzählen darf, was ich spannend finde, dass wir das Leben in seiner ganzen Unterschiedlichkeit und Komplexität erzählen können. Seitdem hat mich dieser Beruf nicht mehr losgelassen. Erst habe ich als freie Produktionsassistentin gearbeitet, nach dem Mauerfall studierte ich an HFF Babelsberg, und mit einem Kollegen haben wir während des Studiums die Produktionsfirma Luzi Film gegründet. Und dann kam Regina auf mich zu und bot mir die gleichberechtige Geschäftsführung an. Genau zum richtigen Zeitpunkt - für uns beide.

teleschau: Damals gaben die Männer auch in diesem Geschäft den Ton an. Wie haben Sie die Fernsehbranche damals erlebt?

Ziegler: 2000 hatte sich bereits einiges verändert, die Entscheidungen wurden längst nicht nur von Männern getroffen, wie in den drei Jahrzehnten zuvor, in denen Regina das aufgebaut hat. Außerdem bin ich selbstbewusst genug, mich, wenn ich herausgefordert werde, durchzusetzen. Aber ehrlich: Im ersten halben Jahr habe ich echt schlecht geschlafen.

teleschau: Weshalb?

Ziegler: Es war am Anfang nicht ganz einfach, mit den vielfältigen Aufgaben, mit denen ich plötzlich konfrontiert war, aber man wächst mit seinen Herausforderungen.

teleschau: Was umtrieb Sie seinerzeit am meisten?

Ziegler: Die große Budgetverantwortung. Es ging ständig darum, Entscheidungen zu treffen, an denen viel Geld hing. Ich bin durch diese Zeit aber gut durchgekommen.

teleschau: Hatten Sie und Regina Ziegler von Anfang an eine klare Aufgabenteilung?

Ziegler: Ja, das war unsere Verabredung. Es gibt keinen Film, den wir zusammen erarbeitet, aufgestellt oder produziert haben. Klare Vorgaben - nur so hat das mit Mutter und Tochter über so eine lange Strecke funktionieren können.

teleschau: Hatten Sie es früher schwerer als heute, wenn Sie ein Projekt beim Sender gepitcht haben?

Ziegler: Eigentlich nicht. Klar, alle kannten den Namen, und sicher gab es am Anfang diesen Blick: "Jetzt kommt da auch noch Tanja Ziegler!" Aber mich beeinflusst nicht, was andere von mir halten. Und das hat sich über die Jahre nicht geändert: Du musst eine passende Idee haben, den Partner überzeugen, dass du diese Idee auch finanzieren und produzieren kannst. Dann läuft es.

teleschau: Sie stehen dem Ganzen erstaunlich cool gegenüber.

Ziegler: Natürlich - nur entspannt kann man offenbleiben, unter Stress entstehen keine guten Ideen. Dass die Produktion von Filmen immer eine große finanzielle Herausforderung ist, ist selbsterklärend. Da geht es zum Beispiel auch um Auslandsverkäufe, und natürlich spielen auch Auszeichnungen eine Rolle.

Am Freitag, 21. April, zeigt das ZDF um 00.30 Uhr Regina Zieglers ersten Film von 1973: "Ich dachte, ich wäre tot" (Szene mit Ingrid Bzik, Y Sa Lo und Alexander Bzik). (Bild: ZDF / Regina Ziegler-Film)
Am Freitag, 21. April, zeigt das ZDF um 00.30 Uhr Regina Zieglers ersten Film von 1973: "Ich dachte, ich wäre tot" (Szene mit Ingrid Bzik, Y Sa Lo und Alexander Bzik). (Bild: ZDF / Regina Ziegler-Film)

"Es gab schon immer die Möglichkeit, besondere Filme zu produzieren"

teleschau: Aelrun Goettes jüngster Kinofilm "In einem Land, das es nicht mehr gibt" wurde gleich dreimal für den Deutschen Filmpreis nominiert.

Ziegler: Ein wirklich schöner Erfolg - auch wenn wir leider keine Nominierung als besten Film bekommen haben.

teleschau: Der auch von der Kritik gelobte Film blendet in das letzte Jahr der DDR, und er erzählt von "starken Ostweibern", wie die "Süddeutsche Zeitung" schrieb ... Der Film blendet nach wahren Begebenheiten auf die Modewelt der DDR. Warum war Ihnen dieses Kapitel ein Anliegen?

Ziegler: Was mir an dem Film vor allem gefällt, ist, dass er so universell ist: Er erzählt von starken Frauen, richtig - aber ob das jetzt die tollen Frauen aus dem Osten oder Westen sind, das sollte - mehr als drei Jahrzehnte nach der Wende - eigentlich total schnuppe sein, oder? Andererseits kann es auch nicht schaden, wenn wir durch unseren Film einen kleinen Beitrag zum innerdeutschen Verständnis leisten konnten.

teleschau: Mit dem von Sabin Tambrea verkörperten Freigeist Rudi gibt es in "In einem Land, das es nicht mehr gibt" auch eine starke queere Rolle. Was heute wie selbstverständlich scheint, war vor einem Jahrzehnt nicht ohne Weiteres denkbar ... Was hat sich geändert?

Ziegler: Die Geschichten, die erzählt werden. Wir haben uns beispielsweise bei der Folge von "Theresa Wolff - Der schönste Tag" dem Thema Geschlechtsanpassung genähert. Ja, es hat sich einiges getan, aber ob man von einem Paradigmenwechsel reden kann, weiß ich nicht. Ich kann nur für mich sprechen: Ich erzähle Geschichten, die mir wichtig sind. Man muss beharrlich bleiben, dann kriegt man die irgendwann auch auf die Leinwand oder den Bildschirm. Wirklich beeindruckt hat mich hingegen, was Regina und das Team von "Weissensee" in unserer Branche 2010 erreicht haben: Die Produktion hat das serielle Erzählen von historischen Stoffen hierzulande ganz neu definiert und für viele andere serielle Geschichten den Weg bereitet.

teleschau: Viele in der Branche schwärmen gerade davon, dass, erst in der jüngeren Vergangenheit angetrieben von Netflix und Co., ein völlig neues Klima der Freiheit entstanden ist ...

Ziegler: Diese Macht möchte ich den Streamern gar nicht geben. Ich finde es super, dass es sie gibt, und natürlich wurden Türen zu neuen Themenwelten geöffnet. Unserem Publikum kann man auch mehr zumuten als vor 15 Jahren. Aber, ganz ehrlich - ich bin schon immer ein Fan davon, den Zuschauern viel zuzumuten (lacht) - und es gab in Deutschland schon immer die Möglichkeit, besondere Filme zu produzieren.

teleschau: Also hat sich gar nicht so viel geändert?

Ziegler: Doch, auf jeden Fall. Es geht um die Herangehensweise an Stoffe, um die Inhalte, das Globale sozusagen, und nicht mehr um die überflüssigen Debatten, wie zum Beispiel ein Kostüm auszusehen hat. Das war früher sehr ermüdend. Heute erlebe ich Redakteur:innen, die uns Produzent:innen vertrauen und einfach mal machen lassen.

teleschau: Was außerhalb Berlins wohl nicht so bekannt ist: Sie und Regina Ziegler betreiben in der Charlottenburger Bleibtreustraße das Programmkino "Filmkunst66". Ab 20. April läuft dort eine Retrospektive-Reihe zum "Ziegler-Film"-Jubiläum" ...

Ziegler: Ja, wir werden eine Woche lang ein Potpourri an Ziegler-Kinofilmen zeigen. Die Einnahmen gehen zu 100 Prozent an die Berliner Tafel e. V.. Und wir werden auch zu mancher Vorstellung anwesend sein und zum jeweiligen Film mit dem Publikum sprechen. Darauf freue ich mich ganz besonders.

(Am Freitag, 21. April, zeigt das ZDF um 00.30 Uhr Regina Zieglers ersten Film von 1973: "Ich dachte, ich wäre tot". Am selben Tag steht ab 10 Uhr in der ZDFmediathek ein Interview von Regina Ziegler mit dem Schauspieler Pasquale Aleardi bereit. Sie lässt durchblicken, dass das große Jubiläum für sie noch lange kein Grund ist, kürzerzutreten: "Produzieren ist - neben meiner Familie - mein Leben. Warum sollte ich mein Leben reduzieren", erklärt die 79-Jährige in dem Beitrag.)

Das Personal der ersten Staffel "Weissensee", die am 14. September 2010 Premiere im Ersten feierte: Falk (Jörg Hartmann, dritter von links) mit Ehefrau Vera (Anna Loos, links) und Sohn Roman (Jonas Hämmerle, zweiter von links), Hans (Uwe Kockisch, Mitte) und seine Frau Marlene (Ruth Reinecke, vierte von links), Martin (Florian Lukas, dritter von rechts) mit seiner Tochter Lisa (Chantal Hourticolon, vierte von rechts). Dazu Julia Hausmann (Hannah Herzsprung, zweite von rechts) mit ihrer Mutter Dunja Hausmann (Katrin Sass). (Bild: MDR / Julia Terjung)