Putzfrau sorgt für berührende Momente bei Markus Lanz

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Man muss Markus Lanz und seiner Redaktion hoch anrechnen, dass sie immer wieder Menschen einladen, die aus einer Welt kommen, die nichts gemein hat mit den Showbühnen von Pop und Politik; Menschen, die nicht über rote Teppiche spazieren, sondern die Linoleumböden darunter wischen. Am späten Abend, wenn die meisten Zuschauer den Tag harmonisch ausklingen, sich vielleicht bei einem Glas Wein berieseln lassen wollen, spricht Lanz auch über Krankheiten, Krisen, Katastrophen. Gestern beispielweise.

Kurz vor Mitternacht saß Susanne Neumann im Studio. Die Putzfrau aus Gelsenkirchen war einen Tag zuvor Gast auf einer Konferenz der SPD in Berlin gewesen und hatte sich einen Schlagabtausch mit Parteichef Sigmar Gabriel geliefert. SPD-Mitglied Neumann, die 36 Jahre als Putzfrau gearbeitet hat, erzählte dem Politiker vor laufenden Fernsehkameras davon, dass in ihrer Branche nur noch befristete Arbeitsverträge geschlossen werden, dass befristet Beschäftigte oft keinen Mietvertrag bekommen und fragte Gabriel: „Warum soll ich eine Partei wählen, die mir das alles eingebrockt hat?“

Der SPD-Vorsitzende schwadronierte von „Sachzwängen“ und „Kompromissen“ in einer Koalition, die üblichen Plattitüden eben. „Was soll ich denn machen?“, fragte der Vizekanzler schließlich die Putzfrau. „Wenn dir das eine Reinigungskraft sagen könnte, wie du das hinkriegt“, antworte Susanne Neumann schlagfertig. Man findet das Video im Netz.

Am Dienstagabend durfte Susanne Neumann bei Lanz ausführlicher ihr Leben schildern. Eigentlich wollte sie Dekorateurin werden, doch eine frühe Schwangerschaft beendete diesen Traum. Zwei Kinder zog sie allein groß. „Ich habe das ganze Leben malocht, dem Staat keinen Cent gekostet, jetzt habe ich Krebs und bekomme monatlich 725 Euro brutto Rente – davon kann ich nicht leben und nicht sterben“, erzählte Neumann ohne jeden Pathos. Miete und Strom bezahle sie selbst, ihr Auto musste sie verkaufen.

Wie viele Menschen in ihrer Lage schaut Susanne Neumann mit einem völlig unsentimentalen Realismus auf die Welt. Für Palaver hat jemand, der eine Familie mit Vollzeit-Putzjob durchbringen musste, keine Zeit. „Ich habe bei Gabriel nichts anderes gesagt, als sonst auch und auf einmal heißt es: Oh Gott, die sagt was. Dabei wussten die Menschen das alles auch vorher“, sagte Neumann.

Die übrigen Gäste und das Publikum waren sichtlich beeindruckt von der sympathischen Frau. So wirkten der Journalist Ulrich Kienzle und der Schauspieler Peter Lohmeyer („Das Wunder von Bern“) betroffen als Susanne Neumann berichtete, dass Kolleginnen mit 70 noch putzen, weil die Rente nicht reicht.

Leider schmiss Lanz, der – das sei hier noch mal betont – lobenswerter Weise solche Themen anpackt, nur mit Phrasen um sich. Der Moderator schwafelte von einer „Zwischenwelt“, über die man „nicht gerne redet“ und erklärte: „Man weiß aber, dass es diese Menschen gibt.“ Was meint Lanz damit? Welche „Zwischenwelt“? Neumanns Schicksal betrifft Verkäuferinnen, Kassiererinnen, Kellnerinnen und jede Menge anderer Menschen. Wenn Lanz distanziert von „diesen Menschen“ spricht, wird klar, dass manche Journalisten meilenwert entfernt sind vom Leben von Millionen Mitbürgern. Dabei gäbe es viele Fragen an Susanne Neumann. Was erhofft sie sich von der SPD? Wie schafft sie es, nicht zu resignieren? Würde sie vielleicht selbst in die Politik wollen?

Lanz leitete lieber über zu den nächsten Gästen. ZDF-Mann Kienzle philosophierte über Beziehungsprobleme, seine Frau bedauerte, dass sie oft alleine Fahrstuhl fahren müsse. Peter Lohmeyer klagte, dass er immer erst um zwei Uhr morgens ins Bett gehe und dann davon träume, dass Schalke Meister wird und Catherine Shepherd lies uns an den Startschwierigkeiten einer Schriftstellerin teilhaben. Auch das sind Probleme. (fb)

Bild: ZDF