Wie wird sich die radikale Rechte im Europäischen Parlament aufteilen?

Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán und die italienische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni. Die derzeitige rechte Fraktion könnte sich in zwei, drei oder sogar vier Fraktionen aufteilen (Bild: Andrew Medichini/Euronews)
Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán und die italienische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni. Die derzeitige rechte Fraktion könnte sich in zwei, drei oder sogar vier Fraktionen aufteilen (Bild: Andrew Medichini/Euronews)

Die rechtsradikalen Parteien im Europäischen Parlament führen in diesen Wochen Verhandlungen, die ihre Position festlegen werden.

Ein Fixpunkt schien die Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformisten (EKR) zu sein. Sie wurde mit 83 Abgeordneten die drittgrößte Fraktion im Europaparlament; auch durch die Aufnahme von fünf Mitgliedern der rumänischen Partei Allianz für die Union der Rumänen (AUR) aufgenommen hatte.

Die für den 26. Juni angesetzte konstituierende Sitzung der EKR-Fraktion wurde jedoch auf den 3. Juli verschoben. "Es wird mehr Zeit für interne Verhandlungen benötigt", heißt es in der offiziellen Pressemitteilung der Fraktion. Parlamentarische Quellen haben jedoch gegenüber Euronews gesagt, dass die Gespräche zwischen den beiden wichtigsten Delegationen der Fraktion laufen: Fratelli d'Italia mit 24 Abgeordneten und der polnischen Recht und Gerechtigkeit (PiS), mit 20 Abgeordneten.

Der wichtigste politische Streitpunkt betrifft die Präsidentschaft der Europäischen Kommission. Laut der zwischen den drei wichtigsten politischen Familien im Parlament – der Volkspartei, den Sozialisten und den Liberalen – ausgehandelten Vereinbarung, bleibt Ursula von der Leyen weiterhin im Amt. Die von Giorgia Meloni geführte Partei könnte die Kandidatur der derzeitigen Präsidentin unter Umständen unterstützen, vielleicht im Gegenzug für eine Vizepräsidentschaft in der Kommission oder einen bedeuteten Posten für eine:n italienischen Kommissar:in. Die polnische Partei hingegen ist entschieden dagegen.

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Generell scheint die EKR im Hinblick auf die nächste Legislaturperiode mit einem Dilemma zu kämpfen: Soll sie die Zusammenarbeit mit der Europäischen Volkspartei verstärken oder im Gegenteil die für die radikale Rechte typischen extremeren Positionen beibehalten? Vor allem, wenn andere rechte Gruppierungen entstehen sollten, wird es für die Volksparteien, die Sozialisten und die Liberalen schwieriger sein, von einer Zusammenarbeit mit der EKR Abstand zu nehmen.

Während einige Delegationen wie die Fratelli d'Italia und die Schwedendemokraten, die Zusammenarbeit eindeutig befürworten, diskutiert die PiS Berichten zufolge noch über ihre interne Linie. Laut parlamentarischen Quellen sind es gerade parteiinterne Meinungsverschiedenheiten, die zur Verschiebung des Treffens geführt haben. Es ist nicht auszuschließen, dass die PiS beschließt, die Europäischen Konservativen und Reformisten zu verlassen, auch wenn dies im Moment nicht die wahrscheinlichste Hypothese zu sein scheint.

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Im Falle eines Austritts aus der EKR hätten die zwanzig polnischen Europaabgeordneten die Qual der Wahl, was ihre politische Positionierung angeht. Eine jüngste Hypothese, die in den Brüsseler Korridoren kursiert, geht von insgesamt vier Fraktionen aus: Den derzeitigen Europäischen Konservativen und Reformisten (83 MdEP) und Identität und Demokratie (58 MdEP) sowie zwei neuen, noch im Entstehen begriffenen Formationen.

Jede Fraktion benötigt mindestens 23 Abgeordnete aus mindestens sieben EU-Mitgliedstaaten, eine schwierige, aber nicht unerreichbare Schwelle. So scheint beispielsweise die Alternative für Deutschland mit ihren 15 Abgeordneten im Parlament auf eine neue Gruppe mit den Polen von Konfederacja und anderen kleineren Partnern zu drängen. Dazu gehören die Spanier von Se Acabò La Fiesta mit drei Abgeordneten und die Rumänen von S.O.S Rumänien mit zwei Abgeordneten. Selbst mit sehr kleinen Delegationen wäre es möglich, die Schwelle der erforderlichen sieben Länder zu erreichen: die beiden Slowaken der Republika-Bewegung, der griechische Abgeordnete von NIKI und der ungarische Abgeordnete von Mi Hazánk Mozgalom.

Sogar der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán scheint in der Lage zu sein, eine eigene Partei mit starker östlicher Ausrichtung zu bilden.

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Neben seiner eigenen Partei, Fidesz, würde diese neue Gruppierung die Slowaken von Smer unter Ministerpräsident Robert Fico umfassen. Fico wurde in der letzten Legislaturperiode von den Sozialisten und Demokraten ausgeschlossen. Außerdem gehören dazu die Tschechen von ANO 2011, die gerade aus Renew Europe ausgetreten sind, sowie die Slowenen von der Slowenischen Demokratischen Partei (SDS), die zuvor die Europäische Volkspartei (EVP) verlassen müssten.

Diese vier Parteien allein würden die erforderliche Mindestzahl an Abgeordneten garantieren, während die Schwelle der Herkunftsländer durch den Beitritt von Abgeordneten anderer Parteien, die derzeit keiner Fraktion angehören, erreicht werden könnte. Es gibt einige Abgeordnete aus Griechenland, Zypern, Bulgarien, Lettland, Litauen, der Tschechischen Republik und der Slowakei, die potenziell beitreten könnten.

Die Aufteilung der radikalen Rechten in verschiedene Fraktionen mildert jedenfalls nicht unbedingt ihre Auswirkungen auf das Gleichgewicht im Parlament. Abgesehen von der Frage des Krieges in der Ukraine und der Debatte über militärische Unterstützung für die Regierung in Kiew sind sich die Kräfte dieses politischen Spektrums im Übrigen ziemlich einig: Sie vertreten eine harte Linie gegen Einwanderung, lehnen die Maßnahmen des Green Deal ab und sind gegen jede weitere Integration der EU, die die Befugnisse der Nationalstaaten beschränken könnte.