Randy Newman zum 80.: Er beherrscht alles, außer Zuversicht

Der Eindruck täuscht: Randy Newman blickt auf seine Heimat keinesfalls durch die rosarote Brille. (Bild: Warner)
Der Eindruck täuscht: Randy Newman blickt auf seine Heimat keinesfalls durch die rosarote Brille. (Bild: Warner)

Er schrieb Welthits für andere ("You Can Leave Your Hat On") und für Trickfilmregisseure. Dazu durchschaute er Putin schneller als die deutsche Außenpolitik. Das wahre Genie Randy Newmans aber strahlt nirgendwo heller als in seinen süffig-sarkastischen Meisterwerken der 70er-Jahre.

Das Sympathische an Randy Newman: Im Normalfall sieht der Kalifornier auch nicht anders aus als all die intellektuellen Minderleister aus dem Mittleren Westen, die er in seinen Songs so gerne aufs Korn nimmt. Der Vorteil, der sich ergibt: Wer könnte einem älteren Herrn in Jeans, Turnschuhen und zeltartigen Hemden mit Blümchenmuster etwas übel nehmen? Womöglich ein Nachteil: So recht scheint nicht jedem klar zu sein, dass am 28. November einer der allergrößten Songwriter der Musikgeschichte das 80. Lebensjahr vollendet.

Randy Newman erkennt bei sich selbst eine andere Mitschuld am Unterlaufen des Legendenradars. "Drei Studioalben in 20 Jahren: Das ist unentschuldbar", beichtete Amerikas sarkastischer Chronist vor gut zehn Jahren in einem Interview. Aber man muss ihn verstehen: Als mit den 70er-Jahren auch sein kommerzielles Zwischenhoch endete, beschloss Newman, seine kreativen Aktivitäten stärker auf den gesicherten Broterwerb auszurichten. Zum Dank hat man ihm 2002 seinen ersten Filmkomponisten-Oscar überreicht und 2011 den zweiten hinterher - für den Titelsong zu einem Trickfilm ("Toy Story 3") über animiertes Spielzeug.

Randy Newmann veröffentlichte sein Debütalbum 1968. In den 70er-Jahren war der Kalifornier kreativ und kommerziell im Zenit. (Bild: Tony Newman)
Randy Newmann veröffentlichte sein Debütalbum 1968. In den 70er-Jahren war der Kalifornier kreativ und kommerziell im Zenit. (Bild: Tony Newman)

Der Partygast, den keiner eingeladen hat

Vielleicht unterschätzt man ja die gutmütige Seite des fünffachen Vaters, der übrigens aus einer Filmkomponisten-Dynastie stammt. Aber man kennt den kongenialen Kalifornier halt zuvorderst als bitterbösen Tastenonkel und Schmähgeschichtenerzähler. Niemand hat Amerika, seine Träume, seine Paranoia und seine Religion genüsslicher und offenbarungsreicher seziert als der Arztsohn aus Los Angeles.

Zunächst als Auftragsschreiber für Interpretinnen wie Dusty Springfield und Peggy Lee. Ab 1968 dann unter eigenem Namen, aber stets mit einer ironischen Distanz zu allen anderen und sich selbst. Wie ein gut gelaunter Partygast, bei dem erst im Laufe des Abends auffällt, dass ihn keiner eingeladen hat.

Nirgendwo lässt sich diese Methode besser beobachten als auf "Sail Away" (1972), dem Newman-Klassiker schlechthin. Der meisterliche Melodienbauer und Arrangeur schießt sich hier auf ein konzises Songformat von zwei bis drei Minuten ein, in das er seine bitterbösen Rollenspiele ökonomisch verpackt.

Giftige Spitzen, freundlich verpackt: Randy Newman ätzt mit gloriosem Humor gegen politische Barbarei und kulturelle Infamie. (Bild: Warner)
Giftige Spitzen, freundlich verpackt: Randy Newman ätzt mit gloriosem Humor gegen politische Barbarei und kulturelle Infamie. (Bild: Warner)

Randy Newman nimmt den Eklat um das "alte Europa" vorweg

Im berühmten Titelstück schlüpft Newman in die Rolle eines amerikanischen Sklavenhändlers, der ahnungslosen Afrikanern Milch und Honig verspricht. In "Political Science" nimmt er prophetisch die Rede vom "alten Europa" vorweg, die mehr als 30 Jahre später aus dem Mund des US-Außenministers zum diplomatischen Eklat wird. "God's Song" ist die definitive Abrechnung nicht der Menschen mit Gott, sondern umgekehrt: "How we laugh up here in heaven at the prayers you offer me / That's why I love mankind".

Die 70er-Jahre sind Newmans Jahrzehnt. Nur zwei Jahre nach "Sail Away" gelingt ihm mit "Good Old Boys" ein brillantes Konzeptalbum über den amerikanischen Süden, in dem er Teile seiner Kindheit verbrachte.

Newman ätzt unverfroren gegen die "Rednecks" ("We don't know our ass from a hole in the ground"), ironisiert die Grässlichkeit des Kaffs "Birmingham" ("The greatest city in Alabam'") und deutet die historische Flut in "Louisiana 1927" als Anklage gegen den Norden aus dem Blickwinkel des Bürgerkriegstraumas ("They're tryin' to wash us away"). Newman spielt hierzu verschwenderisch orchestrierte Südstaaten-Musik - New Orleans Soul, Rag Time Shuffle und Nashville-Country -, was die Schärfe seiner Gemeinheiten nur potenziert.

Bei den Oscar-Verleihungen (hier im Jahr 2020) ist Randy Newman Stammgast. Seine Filmsongs waren vielfach nominiert und wurden zweimal ausgezeichnet. (Bild: 2020 Getty Images/Kevin Winter)
Bei den Oscar-Verleihungen (hier im Jahr 2020) ist Randy Newman Stammgast. Seine Filmsongs waren vielfach nominiert und wurden zweimal ausgezeichnet. (Bild: 2020 Getty Images/Kevin Winter)

Skandal um die Hitsingle "Short People"

Mit "Little Criminals" steht Randy Newman 1977 kommerziell im Zenit. Zu verdanken hat er dies auch dem Skandal um die unverhoffte Hitsingle "Short People", deren offenkundige ironische Anlage nicht bei jedem ankam. Der erhabenste Moment der Platte ist jedoch das erschütternde "In Germany Before The War". Wohl angeregt durch seine damalige, aus Düsseldorf stammende Ehefrau, blickt Newman durch die Augen eines Düsseldorfer Kindermörders aus dem Jahr 1934: "Im looking at the river, but I'm thinking of the sea / We lie beneath the autumn sky / My little golden girl and I / And she lies very still" - gespenstisch.

Mit dem etwas zerfahrenen Nachfolger "Born Again" (1979) ließ sich der Erfolg nicht aufrechterhalten. Dank "Half A Man" enthält die Platte immerhin einen halben Hit. Newman zog die Konsequenzen und verdiente seinen Unterhalt ab den 80er-Jahren mit Filmmusik, unter anderem für die Hollywood-Produktionen "Ragtime" (1981), "Toy Story" (1995) und "Seabiscuit" (2003). Nach 15 ergebnislosen Nominierungen erhielt er schließlich 2002 den Oscar für den besten Filmsong: "If I Didn't Have You" aus dem Animationsfilm "Die Monster AG".

Dennoch, die goldenen Newman-Jahre waren ab 1980 vorbei. Veröffentlichte Randy Newman in den 70er-Jahren insgesamt sechs, allesamt essenzielle Alben, waren es in den 80-ern bloß noch zwei: "Trouble In Paradise" (1983) und "Land Of Dreams" (1988). In den 90-ern folgte der einigermaßen verunglückte Musical-Entwurf "Faust" (1995) und das allerdings triumphale "Bad Love" von 1999. Der alte Grantler raunt hier einige seiner steinerweichenden Schmachtfetzen ("I Miss You", "Every Time It Rains") sowie die unerwartete, schwierige, aber brillante Heimatreflexion "My Country".

Randy Newman 2010 bei seinem Stern auf dem Hollywood Walk of Fame: Zwei "Toy Story"-Figuren kamen als Ehrengäste. (Bild: 2010 Getty Images/Jason Merritt)
Randy Newman 2010 bei seinem Stern auf dem Hollywood Walk of Fame: Zwei "Toy Story"-Figuren kamen als Ehrengäste. (Bild: 2010 Getty Images/Jason Merritt)

Randy Newman 2017: "Der Krieg, den Putin in der Ukraine führt, ist im Westen schon fast vergessen"

Weitere neun Jahre später, 2008, ließ Newmann "Harps And Angels" erklingen, der Freiheit des Altersnarren sind hier auch humoristisch keine Grenzen mehr gesetzt. Bei "Dark Matter" (2017) verdichtet sich die Ausdruckskunst des Alleskönners zu keiner konzisen Form mehr. Haften bleibt indes ein irrwitziges Songungetüm namens "Putin", in dem der russische Präsident dafür gepriesen wird, ein Kernkraftwerk mit der linken Gehirnhälfte steuern zu können. Ferner erwägt der Newman-Despot einen Angriffskrieg auf die Mittelmeerregion - der touristischen Reize wegen.

Wenn man heute die Interviews liest, die der Musiker zur Albumveröffentlichung gab, entsteht schon wieder ein dicker Nostradamusklos im Hals. "Der Krieg, den Putin in der Ukraine führt, ist im Westen schon fast vergessen", spricht Newman im Jahr 2017 im Gespräch mit dem "Tagesspiegel" einen Satz, der im Gewahrsein der Gegenwart des Jahres 2023 böse nachhallt.

In diesem Sinne ist von Randy Newman auch jenseits des 80. Lebensjahres noch viel zu erwarten. Nur eben kein Optimismus. "Ich kann jede Art von Musik schreiben", behauptet der Amerikaner im "Tagesspiegel"-Interview. Er "würde sogar ein Lied über einen albanischen Schäfer hinbekommen, der vom Schnee in den Bergen festgehalten wird". Aber eine zur Völkerverständigung ermunternde Zeile wie "We Shall Overcome"? Randy Newman: "Mit dieser Zuversicht? Niemals."