Rechtliche Hürden und viel Bürokratie - Arbeitslose Ukrainer abschieben? Warum CSU-Mann Dobrindt sich auf dünnem Eis bewegt

Eine aus der Ukraine geflüchtete Familie geht im April 2022 am Grenzübergang Medyka kurz hinter der ukrainischen Grenze auf polnischer Seite zu einem Bus.<span class="copyright">Christoph Soeder/dpa</span>
Eine aus der Ukraine geflüchtete Familie geht im April 2022 am Grenzübergang Medyka kurz hinter der ukrainischen Grenze auf polnischer Seite zu einem Bus.Christoph Soeder/dpa

CSU-Politiker Alexander Dobrindt will arbeitslose Ukrainer abschieben. Mit der Forderung begibt er sich rechtlich aber auf dünnes Eis. Möglicherweise würde man auch die Behörden überfordern, ohne den erwünschten Effekt zu erzielen.

In der Debatte um die geringe Beschäftigungsquote von Ukrainerinnen und Ukrainern in Deutschland hat Alexander Dobrindt einen Vorstoß gewagt . Der CSU-Landesgruppenchef im Bundestag sagte der „Bild am Sonntag“: „Es muss jetzt über zwei Jahre nach Kriegsbeginn der Grundsatz gelten: Arbeitsaufnahme in Deutschland oder Rückkehr in sichere Gebiete der West-Ukraine.“ Ob das rechtlich überhaupt möglich ist und ob dadurch mehr Ukrainer einen Job annehmen würden, ist allerdings fraglich.

 

Warum arbeiten in Deutschland viele Ukrainer nicht?

Dobrindt geht davon aus, dass die Arbeitslosigkeit vieler Ukrainer vor allem in ihrem mangelnden Willen begründet liegt. Das wird deutlich, indem der CSU-Politiker „stärkere Mitwirkungspflichten“ der Flüchtlinge fordert. Grundsätzlich gilt aber: Nicht alle Ukrainerinnen und Ukrainer, die sich in Deutschland aufhalten, können oder müssen arbeiten.

Abgesehen von Kindern und Rentnern gibt es auch viele Geflüchtete, die aufgrund ihres gesundheitlichen Zustandes nicht arbeitsfähig sind. Viele sind durch den Krieg in ihrer Heimat und die Flucht psychisch stark belastet. In manchen Fällen gibt es auch körperliche Kriegsverletzungen, die hierzulande behandelt werden und eine Arbeitsaufnahme verhindern.

Außerdem sind unter den Ukraine-Flüchtlingen viele alleinerziehende Mütter. Weil die Kinderbetreuung zum Beispiel in einer Kita nicht immer sichergestellt werden kann, bleiben sie zu Hause. Auch die Bürokratie bremst manche Ukrainer aus: Wollen sie sich hierzulande selbstständig machen, stehen sie vor komplexen Antragsverfahren. Bei geschützten Jobs wie Arzt, Anwalt oder Steuerberater gestalten sich die Anerkennungsprozesse langwierig.

Umstritten ist, welche Rolle die Sozialleistungen spielen. Während in der Union einige Politiker das Bürgergeld als Faktor ausmachen, spricht zum Beispiel eine Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung „gegen die These von den Sozialleistungen als Hauptanziehungsmoment und für den Arbeitswillen der Flüchtlinge“.

Wären Abschiebung in die West-Ukraine rechtlich möglich?

Dobrindt geht nicht darauf ein, wie sein Vorschlag konkret umgesetzt werden könnte – wohl wissend, dass dafür dicke Bretter gebohrt werden müssten. Denn kurz nach Beginn des russischen Überfalls auf die Ukraine hat die EU erstmals die sogenannte Massenzustrom-Richtlinie angewandt.

Sie sieht einen besonderen Schutzstatus für die Ukrainer vor, jenseits von individuellen Asylverfahren. Die Richtlinie wirkt zwar befristet, doch erst in der vergangenen Woche hat die EU mit Zustimmung der nationalen Regierungen beschlossen, den pauschalen Schutzstatus für Ukrainer bis März 2026 zu verlängern.

„Bis dahin dürfen alle Ukrainer, die bereits in Deutschland leben, bedingungslos hierbleiben. Auch neue Ukrainer dürfen einreisen, ohne dass der Schutzbedarf geprüft wird“, erklärt Daniel Thym, der den Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Europa- und Völkerrecht an der Universität Konstanz leitet. Auch Wiebke Judith, rechtspolitische Sprecherin bei ProAsyl, sieht einen klaren Fall: „Es ist eindeutig, dass niemand in die Ukraine abgeschoben werden kann – schon gar nicht, nur weil die Person aktuell nicht arbeitet.“ Dobrindts Forderung sei daher „an Populismus kaum zu überbieten“.

Ein erneuter EU-Beschluss könne die Dauer des besonderen Schutzstatus für Ukrainer zwar ändern oder die Anwendung der Richtlinie ganz aufheben, erklärt Asylrechtsexperte Thym. Das sei aber „politisch freilich sehr anspruchsvoll“. Es bräuchte eine qualifizierte Mehrheit im Rat der Europäischen Union – es müssten also mindestens 55 Prozent aller Mitgliedsstaaten mit zusammen mindestens 65 Prozent der EU-Bevölkerung zustimmen.

Was würde es bringen, den besonderen Schutzstatus für Ukrainer aufzuheben?

Sollte sich tatsächlich eine qualifizierte Mehrheit in der EU finden, würde auch das nicht einfach Abschiebungen ermöglichen. „Es gibt ein individuelles Recht auf Schutzprüfung“, erklärt Constantin Hruschka vom Max-Planck-Institut für Sozialrecht und Sozialpolitik in München. Die Ukrainer könnten dann auf einer anderen gesetzlichen Grundlage einen Aufenthaltstitel bekommen.

Und genau damit würde man sich ins eigene Fleisch schneiden: „Die Massenzustrom-Richtlinie wurde nie angewendet und war praktisch tot. Sie im Fall der Ukrainer anzuwenden, hatte in erster Linie nicht humanitäre Gründe, sondern man wollte damit die Bürokratie entlasten“, erklärt der Experte.

„Bei der Rücknahme der Richtlinie würde genau der Effekt eintreten, den man damals vermeiden wollte“, so Hruschka – nämlich eine Überforderung der Behörden. In der Union wurde auf genau diesem Umstand im Februar noch von CDU-Innenpolitiker Alexander Throm hingewiesen. Er sagte damals, beim Auslaufen der Richtlinie „müssten mehr als eine Million Ukrainer in unserem Land einen Asylantrag stellen“. Darauf seien die Behörden nicht im Ansatz vorbereitet, „da sie schon jetzt unter den Folgen der Migrations- und Staatsbürgerschaftspolitik der Ampel-Regierung untergehen“.

Kann man das Bürgergeld für Ukrainer streichen, um sie zur Rückkehr zu bewegen?

Weil viele in der Union die hohen Sozialleistungen in Deutschland für einen Fluchtgrund halten, wollen einige Politiker aus CDU und CSU beim Bürgergeld ansetzen. Asylrechtsexperte Hruschka hält das allerdings für schwierig. Man könne die arbeitsunwilligen Ukrainer nicht einfach mit der Streichung des kompletten Bürgergelds sanktionieren, ganz zu schweigen von einem Verlust des Aufenthaltsrechts als Sanktion.

Eine andere Möglichkeit wäre es, den Ukrainern insgesamt kein Bürgergeld mehr zu bezahlen. Dass sie dieses erhalten, ist nämlich nicht explizit in der Massenzustrom-Richtlinie festgelegt, nur dass sie allgemein ein Anrecht auf Sozialleistungen haben. Es war 2022 eine politische Entscheidung gemeinsam von Bund und Ländern – auch den unionsgeführten – den Ukrainern Bürgergeld zu bezahlen.

Theoretisch ließe sich das ändern, würde aber ebenfalls einen enormen Verwaltungsaufwand nach sich ziehen. Hruschka warnt zudem aus grundsätzlichen Erwägungen heraus vor einer Rückabwicklung der Bürgergeld-Entscheidung: „Es wäre schwierig, die Situation über Jahre aufrechtzuerhalten, dass Personen mit einem Aufenthaltstitel gleichgesetzt werden mit zum Beispiel Personen, deren Asylantrag abgelehnt wurde.“ Letztere erhalten heute nur Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz. „Es würde große gerichtliche Auseinandersetzungen darum geben, ob nicht doch Anspruch auf Bürgergeld für aus der Ukraine geflohene Personen besteht“, vermutet Hruschka.

Eine andere in der Union verbreitete Überlegung sieht vor, nur einer bestimmten Gruppe das Bürgergeld vorzuenthalten, nämlich wehrfähigen Männern. Der Parlamentarische Geschäftsführer Thorsten Frei schrieb bei Twitter: „Die Bürgergeld-Zahlungen an die Kriegsflüchtlinge setzen völlig falsche Anreize. Während es für Kiew angesichts des brutalen russischen Angriffs um alles geht, ducken sich hierzulande viele wehrfähige Ukrainer weg.“

Hruschka entgegnet dem: „Es darf keine Gruppe diskriminiert werden, deshalb gibt es dafür keine rechtliche Grundlage.“ Völkerrechtlich gäbe es zudem keine Verpflichtung, der Wehrpflicht nachzukommen. Würde ein ukrainischer Kriegsdienstverweigerer in Deutschland einen Asylantrag stellen, müsste sich Deutschland damit auseinandersetzen, ob die Ukraine diesen Menschen überhaupt die Ausreise verweigern darf. „Diese Debatte sollte man sich nicht ans Bein binden“, rät der Experte.

Wie ist die Lage in der West-Ukraine?

Dobrindt schlägt explizit eine Rückkehr „in sichere Gebiete der West-Ukraine“ vor. Der Landesteil ist zwar deutlich weniger umkämpft als beispielsweise die Städte an der Front wie Charkiw. In der Hauptstadt Kiew oder in Lwiw führen die Menschen aber ein seltsames Doppelleben: Einerseits gibt es unbeschwerte Momente in Cafés und Bars. Andererseits wird der Alltag immer wieder jäh unterbrochen.

Ausgerechnet am Wochenende, als Dobrindts Forderung laut wurde, hat Russland Lwiw und Kiew erneut aus der Luft angegriffen. Immer wieder werden auch im Westen des Landes Gebäude zerstört und Menschen verletzt oder gar getötet. Selbst wenn die Opferzahlen verhältnismäßig gering sind – eine Rückkehr in die West-Ukraine würde für viele Geflüchtete ein Leben in Angst bedeuten.

Für Asylrechtsexperte Hruschka ist die West-Ukraine aktuell kein „Ort des internen Schutzes“, wie es völkerrechtlich heißt. „Den Menschen dort können nicht effektiv geschützt werden, auch wenn die Ukraine selbst das so vermittelt. Russlands Krieg gilt der ganzen Ukraine und beschränkt sich deshalb nicht auf bestimmte Landesteile bei seinen Angriffen.“

Hinzu kommt, dass nicht nur die Sicherheit eingeschränkt ist: Aufgrund der innerukrainischen Fluchtbewegungen ist der Wohnraum im Westen des Landes knapp und teuer. Da auch nur wenige Wohnungen neu gebaut werden, würden die Städte bei einer großen Zahl von Rückkehrern noch mehr unter der Lage ächzen als bisher – eine erhöhte Obdachlosigkeit wäre nicht ausgeschlossen.