"Reden ist essenziell in jeder Situation"

Mal nicht als "Polizeiruf"-Kommissarin oder strenge Tanzschulen-Besitzerin im TV zu sehen: Claudia Michelsen spielt im ARD-Drama "Auf dem Grund" eine ehemalige Topathletin und Schwimmtrainerin, der ihr Leben zu entgleiten droht. (Bild: NDR / Hager Moss Film GmbH / Marion von der Mehden)
Mal nicht als "Polizeiruf"-Kommissarin oder strenge Tanzschulen-Besitzerin im TV zu sehen: Claudia Michelsen spielt im ARD-Drama "Auf dem Grund" eine ehemalige Topathletin und Schwimmtrainerin, der ihr Leben zu entgleiten droht. (Bild: NDR / Hager Moss Film GmbH / Marion von der Mehden)

Im spannenden Familiendrama "Auf dem Grund" spielen die ARD-Sonntagskrimi-Kommissarinnen Claudia Michelsen und Karin Hanczewski Schwestern in einer dysfunktionalen Familie. Claudia Michelsen im Gespräch über die Sinnlosigkeit des Jammerns über die eigene Biografie und über die Zukunft ihrer Parade-Rollen.

Claudia Michelsen, 53, ist eine der gefragtesten Schauspielerinnen Deutschlands. Im Magdeburger "Polizeiruf 110" ermittelt sie nach dem Weggang von Sylvester Groth und Matthias Matschke jetzt allein. In den historischen "Ku'damm"-Filmen des ZDF, in denen sie eine Tanzschulenbesitzerin in der Westberliner Nachkriegszeit spielte, überzeugte sie als gestrenge Mutter. Doch selbst Stars wie Claudia Michelsen müssen in Deutschland überdurchschnittlich oft in Krimis oder Historienfilmen antreten, weil das öffentlich-rechtliche Publikum offenbar nach solchen Stoffen verlangt. Im ARD-Drama "Auf dem Grund" (Mittwoch, 23. März, 20.15 Uhr) kann die Mutter zweier Töchter nun einmal eine ganz normale Frau in der Gegenwart spielen. Und eine Leiche gibt es auch nicht. Doch was heißt schon "normale Frau"? Der Film erzählt von einer dysfunktionalen Familie und davon, wie traumatische Ereignisse das gesamte spätere Leben im Würgegriff halten.

teleschau: "Auf dem Grund" ist ein Film, über den man eigentlich nicht reden kann. Es geht um ein Geheimnis, das erst am Ende gelüftet wird ...

Claudia Michelsen: Letztendlich geht es um Traumata, die unser gesamtes Leben beeinflussen können, weil in diesem Falle unserer Hauptfigur seit ihrer Kindheit etwas verschwiegen wurde, man über ein einschneidendes Erlebnis einfach nicht gesprochen hat.

Claudia Michelsen wurde 1969 in Dresden geboren. Sie lernte das Handwerk an der Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch. (Bild: 2021 Isa Foltin / Getty Images)
Claudia Michelsen wurde 1969 in Dresden geboren. Sie lernte das Handwerk an der Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch. (Bild: 2021 Isa Foltin / Getty Images)

"Verständnis für die Situation eines anderen Menschen hilft immer"

teleschau: Die Spannung des Films besteht darin, dass man einer äußerst angespannten Mutter-Tochter-Beziehung zusieht. Und man will wissen: Was ist da schiefgelaufen? Gibt es in vielen Familien ein solches Geheimnis?

Claudia Michelsen: Das müsste man Psychologen oder Familientherapeuten fragen. Aber ich vermute, dass es in vielen Familien Dinge gibt, über die lieber geschwiegen wird. Wenn wir komplexer, systemischer mit den Geschichten der Eltern oder Großeltern umgehen würden, könnte man eine Menge Konflikte verhindern oder auflösen - und damit dann auch den eigenen Kindern ein anderes Leben ermöglichen.

teleschau: Was meinen Sie mit "komplexer umgehen"?

Claudia Michelsen: Zum Beispiel, dass wir den Anderen mehr im Kontext seiner Zeit, seiner Prägung oder Erziehung betrachten sollten. Ich bekomme oft Reaktionen zu Caterina Schöllack aus den "Kudamm"-Filmen. Da heißt es oft: was für eine strenge, unbarmherzige und schreckliche Mutter! Dabei hat mich das "Böse oder Dunkle" an dieser Frau eher weniger interessiert, eher doch das "Warum ist sie, wie sie ist und was hat sie dazu gebracht, so zu sein?" Sie ist eine Frau der Nachkriegszeit, eine alleinerziehende Mutter, die ihre Töchter ohne Mann aufgezogen hat. Diese Frauen mussten Vater, Mutter, Versorger, Richtungsgeber - alles in einem sein. Das ließ diese Frauen oft verhärtet wirken, aber wahrscheinlich war diese Art der preußischen Disziplin Lebensretter in diesen Zeiten. Eine Disziplin, die sie auch sich selbst auferlegt haben.

teleschau: Aber hilft denn diese Einsicht, wenn man unter solchen Eltern gelitten hat?

Claudia Michelsen: Verständnis für die Situation eines anderen Menschen hilft immer. Vor allem, wenn man sich an ihm wie an "Vater oder Mutter" abarbeitet. "Verständnis" meine ich in dem Sinne, dass man sich in die Geschichte und Umstände eines anderen Lebens hineinversetzen kann. Es hilft uns zumindest, das eigene Handeln und Sein besser zu verstehen. Damit man sich nicht ein Leben lang nur mit der eigenen Vergangenheit beschäftigen muss, was ich für fatal halte, gilt es die Dinge aus der Vergangenheit, die einen behindern, zu bearbeiten, aufzulösen, damit man endlich in seinem Heute und Morgen ankommen darf. Klingt alles leichter, als es ist.

Schwimmtrainerin Anne (Claudia Michelsen) beobachtet ihre Schützlinge im Wasser - oder ist sie in Gedanken ganz woanders? (Bild: NDR / Hager Moss Film GmbH / Marion von der Mehden)
Schwimmtrainerin Anne (Claudia Michelsen) beobachtet ihre Schützlinge im Wasser - oder ist sie in Gedanken ganz woanders? (Bild: NDR / Hager Moss Film GmbH / Marion von der Mehden)

"Eltern sein muss man auch erst lernen" ...

teleschau: Lässt sich die Schuld von Eltern oder eigene Schuld immer auflösen, indem man darüber spricht?

Claudia Michelsen: Ich halte insgesamt wenig vom Konzept Schuld, weil es uns Menschen nicht weiterbringt. Es sei denn, die Schuld ist wirklich groß - zum Beispiel bei Gewalttaten - da ist ein Verzeihen schwierig. Wenn es hingegen um "kleinere" Vergehen geht, bringen uns Schuldzuweisungen nicht weiter. Aber reden ist essenziell in jeder Situation. Kommunizieren, aussprechen, bedeutet für mich Bewegung und vielleicht im besten Sinne dann auch eine Art Auflösung der Konflikte, die ein anderes Miteinander wieder zulassen können.

teleschau: Gehen wir zu hart mit den eigenen Eltern um?

Claudia Michelsen: Ich glaube, Eltern wollen immer das Beste für ihre Kinder, nach bestem Wissen, Gewissen und Können. Das soll jetzt kein Freifahrtschein für jegliches elterliches Fehlverhalten sein. Alle Eltern machen Fehler, wirklich alle. Aber in der Regel wollen Eltern ihre Kinder schützen, davon gehe ich aus. "Eltern sein" muss man auch erst lernen, und ich denke, die Sichtweise auf die eigenen Eltern, ändert sich erst, wenn man selbst Kinder bekommen hat.

teleschau: Sie haben Ihre Kriegsmutter aus der "Ku'damm"-Filmreihe erwähnt. Prägt die Zeit, in der man aufwächst, die eigene Persönlichkeit mehr, als viele glauben?

Claudia Michelsen: Ja, das denke ich. Ich war wie viele andere fasziniert von den "Kriegskinder" und "Kriegsenkel"-Büchern Sabine Bodes. Da könnte man jetzt fast schon das Buch "Kriegsurenkel" nachschieben, denn ein Krieg setzt sich in der Familiengeschichte über mehrere Generationen fort. Deshalb sind diese Erlebnisse so maßgebend über Generationen. Auch die Corona-Pandemie wird sich im Verhalten von Generationen niederschlagen.

Zwei ARD-Kommissarinnen mal ohne Krimi, aber trotzdem spannend: Karin Hanczewski (links) und Claudia Michelsen spielen ein Schwesternpaar im ARD-Drama "Auf dem Grund", das sich mit seiner schwierigen Familiengeschichte auseinandersetzen muss. (Bild: NDR / Hager Moss Film GmbH / Marion von der Mehden)
Zwei ARD-Kommissarinnen mal ohne Krimi, aber trotzdem spannend: Karin Hanczewski (links) und Claudia Michelsen spielen ein Schwesternpaar im ARD-Drama "Auf dem Grund", das sich mit seiner schwierigen Familiengeschichte auseinandersetzen muss. (Bild: NDR / Hager Moss Film GmbH / Marion von der Mehden)

Über die Macht der Gewohnheit ...

teleschau: "Auf dem Grund" ist einer der seltenen Fernsehfilme im Öffentlich-Rechtlichen, in dem es weder um Mord noch um etwas Historisches geht. Freut man sich darüber, als Schauspielerin?

Claudia Michelsen: (lacht): Ich sehe das nicht so eng mit den "Krimis" und dem "zu viel Historischem". Es gibt für beides ein großes Bedürfnis bei den Zuschauerinnen und Zuschauern - und ich habe Freude an beidem. Wichtig ist doch einzig und allein die Geschichte. Letzten Sommer habe ich einen Film über eine Gehörlosen-Familie gedreht. Also noch etwas ohne Historienkontext oder Mord. Aber, es stimmt schon: Diese Stoffe haben es schwerer, realisiert zu werden.

teleschau: Woran liegt das?

Claudia Michelsen: Vielleicht auch an der Macht der Gewohnheit, Menschen wollen nach einem langen Arbeitstag in gewohnten Strukturen entspannen. Dazu kann eine andere Zeit oder Welt zählen, in die man sich fallen lässt - oder auch der bekannte Kommissar, die Kommissarin, denen man bei der Aufklärung eines Mordes zusieht. Ich weiß es nicht.

teleschau: Haben die öffentlich-rechtlichen Programme nicht auch eine Verpflichtung, den Horizont zu erweitern und andere Dinge auszuprobieren. Filme und Serien, die aus dem bekannten Terrain heraustreten?

Claudia Michelsen: Ja, durchaus. Und ich finde auch, dass dies mehr und mehr geschieht. Allein die Improvisationsserie von Jan Georg Schütte "Das Begräbnis", die gerade lief und immer noch in der ARD Mediathek zu finden ist, war eine so herrlich andere Erfahrung. Das Publikum hat das gefeiert und dankbar angenommen. Mutig auch von der ARD. Im Magdeburger "Polizeiruf" gehen wir ja auch ziemlich mutig nach vorn, auch auf die Gefahr hin, dass es dann mal nicht funktioniert.

teleschau: Bei Ihrem "Polizeiruf" gab es diverse Umbesetzungen, was Ihren Ermittlungspartner betrifft. Werden Sie da weiter alleine ermitteln?

Claudia Michelsen: Es waren gar nicht so viele "Umbesetzungen", wie Sie das nennen. Es gab verschiedenste Gründe, und solche Wechsel passieren die ganze Zeit, auch beim "Tatort" und anderen Reihen. Axel Milberg spielt auch schon mit der dritten Partnerin, wenn ich richtig gezählt habe. Da ist einfach Bewegung drin, ist ja im Leben oft auch nicht anders. Aber um die Frage zu beantworten: Ja, es geht mit mir alleine weiter, und so alleine bin ich ja auch gar nicht. Ich habe den wunderbaren Felix Vörtler und Pablo Grant an meiner Seite. Und dazu kommt, dass die eigentlichen Hauptdarsteller die Geschichten und ihre Figuren sind.

teleschau: Und Ihre "Ku'damm"-Reihe? Ist die nach drei mal drei Filmen abgeschlossen?

Claudia Michelsen: Ich weiß gar nicht, ob ich das schon laut sagen darf, aber es gibt Ideen, wie es vielleicht weitergehen könnte - und die lesen wir gerade. Wir sind also im Gespräch.

Enorm schwierige Mutter-Tochter-Beziehung: Anne (Claudia Michelsen, rechts) will wissen, was ihre Mutter (Eleonore Weisgerber) nicht aussprechen will oder kann. (Bild: NDR / Hager Moss Film GmbH / Marion von der Mehden)
Enorm schwierige Mutter-Tochter-Beziehung: Anne (Claudia Michelsen, rechts) will wissen, was ihre Mutter (Eleonore Weisgerber) nicht aussprechen will oder kann. (Bild: NDR / Hager Moss Film GmbH / Marion von der Mehden)