Regisseurin Caroline Link über ihre Psychotherapie-Serie: "Kein Gefühl ist verboten"
Oscar-Preisträgerin Caroline Link, Deutschlands wohl erfolgreichste Regisseurin, wendet sich erstmalig dem Fernsehen zu. Ihre außergewöhnliche ZDF-Serie "Safe" beobachtet zwei Kinder- und Jugendpsychotherapeuten bei der Arbeit. Ein faszinierendes Projekt, das "Therapie im TV" durchaus neu erfindet.
Caroline Link war zweimal für den Oscar nominiert. Für "Jenseits der Stille" (1996) sowie "Nirgendwo in Afrika" (2001). Für letzteren Film erhielt sie die begehrteste Trophäe des Kinos dann tatsächlich. Damals konnte sie nicht zur Verleihung nach Los Angeles reisen, weil ihre kleine Tochter erkrankt war. Man muss eben Prioritäten setzen, und die setzte die heute 58-Jährige stets im Sinne der Kinder, die oft auch Protagonisten ihrer Filme waren, wie zuletzt in der Verfilmung der Hape Kerkeling-Biografie "Der Junge muss an die frische Luft" (2018). Mit ihrer achtteiligen TV-Serie "Safe" (ab 8. November, dienstags und mittwochs, 20.15 Uhr, in Doppelfolgen bei ZDFneo oder bereits ab Freitag, 28. Oktober, in der Mediathek) wendet sich Caroline Link nun erstmals dem Fernsehen zu. Beschrieben wird die Arbeit zweier Psychotherapeuten, gespielt von Judith Bohle und Carlo Ljubek, die in ihrer Berliner Praxis vier Patientinnen und Patienten zwischen sechs und 16 Jahren behandeln. Ein Gespräch über das Geheimnis ganz junger "Stars" vor der Kamera und warum wir Kinder im echten Leben oft schlecht behandeln.
teleschau: Serien, die bei Psychotherapien zuschauen, gibt es bereits. "In Treamtment" mit Gabriel Byrne als Analytiker ist das bekannteste Beispiel. Wollten Sie sich an einer deutschen Version probieren?
Caroline Link: "In Treatment" ist toll, und ich habe auch zuletzt die französische Version "In Therapie" gesehen - wenn auch nicht ganz, da mein Französisch zu schlecht ist und ich Synchronfassungen nicht mag. Aber ich denke, dass wir mit "Safe" etwas völlig anderes probiert haben.
teleschau: Weil ihre beiden Therapeuten, die die Serie begleiten, "nur" mit Kindern und Jugendlichen arbeiten?
Caroline Link: Ja, Therapie mit Kindern läuft ja anders ab als mit Erwachsenen. Kinder faszinieren mich. Schon als 17-Jährige auf dem Gymnasium habe ich ein Buch von der amerikanischen Kinderpsychotherapeutin Virginia Axline aus den 70-ern verschlungen: "Dibs. In search of himself". Ein angeblich autistisches Kind wird darin behutsam von einer Therapeutin auf seinem Weg in die Welt begleitet. Das Buch hat mich total gerührt und auch meine Arbeit als Filmemacherin beeinflusst. Ein anderer großer Unterschied zu den genannten Therapie-Serien ist bei "Safe" auch die Methode, die die beiden Therapeuten praktizieren.
"Kinder drücken sich anders aus"
teleschau: Sie meinen, weil die Therapeuten viel laufen lassen?
Caroline Link: Kinder wollen meistens nicht über ihre Sorgen reden, sie drücken sich anders aus. Durchs Spielen, Malen oder Tun. Darin bringen sie sehr deutlich zum Ausdruck, was sie bedrückt. Ich wollte wissen: Was ist denn dann der therapeutische Effekt? Psychologie interessiert jeden Regisseur. Unsere Arbeit ist ja pure Psychologie: beim Schreiben von Drehbüchern, in der Begegnung mit den Schauspielern und dem Team. Wer Filme dreht, muss wissen, was gerade im Raum steht. Auch dann, wenn gerade niemand etwas sagt.
teleschau: Wie kam es zum Serienprojekt?
Caroline Link: Wie gesagt, mein Interesse an der Therapie mit Kindern und Jugendlichen ist sehr alt. Das Buch von Virginia Axline steht immer noch in meinem Regal und hat alle Umzüge mitgemacht. Auch meine Produzentin interessierte sich sehr fürs Thema und brachte mich mit Therapeuten aus ihrem persönlichen Umfeld zusammen. Von ihnen habe ich viel gelernt. Zum Beispiel, dass die Haltung, mit denen wir Kindern begegnen, entscheidend ist für den Therapieerfolg. Obwohl in der Serie viel geredet wird, wollte ich vor allem die Atmosphäre im Therapiezimmer zeigen. Eine Atmosphäre der Wertschätzung und der Zuneigung, die mich total berührt hat. Weil ich finde, dass Kinder von uns oft - und sehr falsch - beurteilt werden.
teleschau: Tatsächlich funktioniert die Serie gar nicht so sehr über die Worte, was bei einer Therapie-Serie in der Tat ungewöhnlich ist ...
Caroline Link: Generell mag ich am Kino, wenn es in einer Szene um mehr geht als das, was gerade gesagt wird. Genau das macht einen wichtigen Teil meiner Faszination für das Medium Film aus. Es geht mir um das Nichtgreifbare, das Feinstoffliche zwischen den Figuren. Man kann in einer Szene übers Wetter oder das Eis, das man isst, sprechen und in Wirklichkeit geht es um Anziehung oder Antipathie. Ich liebe den Subtext als Filmemacherin - aber darin besteht natürlich auch immer ein großes Wagnis. Weil man eben erst im Schneideraum erfährt, ob diese Chemie geklappt hat.
"Wer zuschaut, wird gewissermaßen mit therapiert"
teleschau: Hat es denn bei "Safe" geklappt?
Caroline Link: Ich finde, ja. Man spürt die positive Haltung Kindern gegenüber in allem, was die Therapeuten tun. Ich wollte die Zuschauer mitnehmen in diese Atmosphäre. Wer zuschaut, wird gewissermaßen mittherapiert. Die Idee der personzentrierten Therapie, die wir hier zeigen, ist, dass Kinder - oft zum ersten Mal - erleben, dass sie unabhängig von ihrem Verhalten oder ihrer Leistung gewertschätzt werden. Die Botschaft ist: Ich schätze und mag dich, so wie du bist. Es ist traurig, dass manche Kinder und Jugendliche eine Therapie machen müssen, um so etwas erstmals zu erleben.
teleschau: Verbiegen wir Kinder zu sehr als Erwachsene?
Caroline Link: Vielleicht. Erwachsene verhalten sich eben so, wie sie es von ihren eigenen Eltern gelernt haben. Es geht ja nicht darum, jedes Verhalten gutzuheißen. Wenn Jugendliche beispielsweise gewalttätig sind oder Kinder keine Grenzen akzeptieren. Es geht darum, nicht den Menschen generell zu verurteilen, sondern seine Gefühle von Wut oder Frust zu akzeptieren. Gefühle sind legitim. Kein Gefühl ist verboten. Man schaut sich in der Therapie diese Gefühle gemeinsam an und schaut, woher sie kommen. Alle Menschen, auch Kinder, wollen ihre Gefühle verstehen. Und jeder möchte um seiner selbst willen geliebt werden.
teleschau: Und das führt in der Realität zu welchem Effekt?
Caroline Link: Kinder, die permanent spüren, dass sie - so wie sie sind - nicht gut genug sind, können sich irgendwann selbst nicht mehr leiden. Das führt zu einem geringen Selbstwertgefühl. Irgendwann wird aus diesem Dilemma dann trotziges oder anders auffälliges Verhalten.
"Ein schüchterner Junge kann eher keinen Draufgänger spielen"
teleschau: Sie haben in der Serie mit zwei jugendlichen oder jungen Schauspielern, aber auch mit zwei Kindern gearbeitet, die in der Serie sechs und acht Jahre sind. Wie findet man kleine Kinder, die diese langen Therapieszenen tragen können?
Caroline Link: Zuerst einmal muss man die richtigen Kinder besetzen. Kinder sollten schon ein bisschen was von der Figur die sie darstellen, mitbringen. Ein schüchterner Junge kann also eher keinen Draufgänger spielen. Aber ich erwarte von Kindern nicht, dass sie von sich aus perfekt spielen. Ich bin ja auch noch da und kann ihnen zeigen, wie ich mir eine Szene vorgestellt habe. Ich rede auch mit kleinen Kindern viel über die Figur, die sie spielen, was bei der los ist, warum sie so wütend ist oder so. Am Drehort sind meine Regieanweisungen dann sehr konkret. Ich sage den Kindern sehr genau, was ich von ihnen brauche. Irgendwann verstehen sie, worauf es ankommt und werden immer selbstbewusster.
teleschau: Gibt es denn einen Trick, wie Szenen mit Kindern vor der Kamera gelingen?
Caroline Link: Kinder und Jugendliche spüren sehr genau, ob jemand authentisch, also ehrlich an ihnen interessiert ist. Ich mag Kinder wirklich gern, und sie vertrauen mir, weil ich lustig, liebevoll, aber auch streng sein kann. Wenn die Kamera läuft, rede ich pausenlos mit ihnen. Es ist meine eigene Methode - aber sie funktioniert, weil ich eine gute Beziehung zu den Kindern habe und die spüren das dann, glaube ich, auch beim Drehen.
teleschau: Wie viele Kinder haben Sie für die Rollen vor der Kamera ausprobiert?
Caroline Link: Nicht so viele, weil wir keinen Kinofilm gemacht haben und entsprechend weniger Budget hatten. Meine Kinder-Casterin hat natürlich vorher schon ausgesucht. Für die Rolle der sechsjährigen Ronja habe ich dann, glaube ich, etwa 15 kleine Mädchen gesehen.
"Machen Sie mal so, wie Sie meinen, Frau Link ..."
teleschau: Wie schwierig war es, diese Serie zu realisieren? Es ist ihre erste Arbeit fürs Fernsehen ...
Caroline Link: Ja, das stimmt. Diese Idee konnte man nicht fürs Kino drehen. Aber auch fürs Fernsehen war es nicht leicht. Die meisten Redakteure waren skeptisch. Kindern beim Spielen zuzugucken erschien ihnen wahrscheinlich nicht sehr aufregend (lacht).
teleschau: Was hat die Skeptiker dann überzeugt?
Caroline Link: Irgendwann hat das ZDF gesagt: "Machen Sie mal so, wie Sie meinen, Frau Link ..." Die hatten großes Vertrauen. Drehbücher muss man lesen können, das ist gar nicht so einfach. Es ging mir ja, wie gesagt, um eine spezielle Atmosphäre. Und die steht eben nicht im Drehbuch.
teleschau: Reizt es Sie nach dieser Erfahrung, auch mal eine große und teure Fernsehserie zu realisieren?
Caroline Link: Nein, eigentlich nicht. Serien sind nicht meine Lieblingsdisziplin. Ich sehe mich eher als Sprinterin denn als Marathon-Läuferin. Ich feile lieber an den Details eines Kinofilms als zwei Jahre an acht Folgen einer Serie. Für mich war "Safe" eine Ausnahme, weil ich das Thema so spannend fand. Grundsätzlich bin ich ein Kinofan. Die große Leinwand, die Konzentration im dunklen Saal. Das liebe ich.