Risiko China: So teuer wäre eine Abkopplung für Deutschland, und so ließen sich Kosten kleinhalten, laut einer neuen Studie des IfW
China ist für Deutschland ein wichtiger Wirtschaftspartner. Doch das kommunistisch regierte Land gilt zunehmend auch als Rivale. Seit Russlands Angriff auf die Ukraine werden Chinas Drohungen gegen Taiwan ernst genommen. Chinas radikale Corona-Lockdowns haben Deutschlands Abhängigkeit von deutlich gemacht. Einige Unternehmen, aber auch die Bundesregierung versucht, diese Abhängigkeit zu verringern – von Rohstoffen, Zulieferungen und von China als Markt. Aber kann Deutschland auch ohne China?
Was wäre, wenn Deutschland sich komplett abkoppelte, entweder schnell und radikal, etwa nach einem Angriff Chinas auf Taiwan, oder langsam und geplant? Dieser Frage ist ein Team von Ökonomen unter Leitung des neuen Präsidenten des Kiel Institut für Weltwirtschaft, Moritz Schularick, nachgegangen. Ergebnis: Die Abkopplung von China wäre sehr teuer, aber zu überstehen. Deutschland würde erheblich Wohlstand und Wachstum verlieren, könnte dies aber verkraften.
Im Falle eines abrupten Handelsstopps mit China würde Deutschlands Wirtschaftsleistung um rund fünf Prozent einbrechen. „Der Schock ist vergleichbar mit dem nach der Finanzkrise oder der Corona-Krise“, urteilt das Forscherteam. Auch dauerhaft würde eine Kopplung von China dann jährlich rund 1,5 Prozent seiner Wirtschaftskraft kosten. Würden Deutschland die Handelsbeziehungen mit China schrittweise und behutsam zurückfahren, würden die hohen Anfangskosten vermieden.
„Der Handel mit China bringt uns Wohlstand und ist kurzfristig praktisch nicht zu ersetzen. Ein Bruch hätte hohe Kosten für Deutschland, dennoch besitzt unser Land gesamtwirtschaftlich genug Widerstandskraft, um selbst solch ein extremes Szenario zu überstehen“, urteilt Schularick.
China-Studie knüpft an Abhängigkeit von Russlands Gas an
Die Studie knüpft an eine ähnliche Rechnung an, mit der Schularick im Frühjahr 2022 heftige Debatten ausgelöst hatte. Nach Russlands Überfall auf die Ukraine war sein Team zu dem Ergebnis gekommen, dass Deutschland von sich aus auf russisches Gas verzichten könne. Die Folge wäre zwar eine Rezession gewesen, die Deutschland aber hätte verkraften können. Kanzler Olaf Scholz (SPD) hatte die Ökonomen im Fernsehen abgekanzelt. Er könne nicht irgendwelchen mathematischen Berechnungen folgen. Später hatte Russland von sich aus die Gaslieferungen nach Deutschland eingestellt. Die wirtschaftlichen Folgen lagen in Nähe der Prognosen von Schularick, der damals noch an der Universität Bonn lehrte.
Methodisch orientieren sich die Berechnungen zu China an der Studie zur Abkoppelung Deutschlands von russischem Gas. In der China-Studie modelliert die Forschungsgruppe einen Zerfall der Weltwirtschaft in verfeindete Handelsblöcke. Ein Block umfasst die USA, die Europäische Union und die übrigen G7-Staaten Kanada und Japan. Der andere Block umfasst China „mit seinen Verbündeten, insbesondere Russland“. Alle direkten Handelsbeziehungen zwischen den beiden Blöcken werden gekappt. Daneben gibt es noch eine Gruppe neutraler Staaten, etwa Brasilien, Indonesien oder die Türkei, mit denen beide Blöcke weiterhin Handel treiben.
Ein solcher Zerfall hätte für Deutschland erhebliche Wohlstandsverluste zur Folge, vor allem wenn er abrupt eintritt (Cold-Turkey-Szenario, übersetzt: kalter Entzug). Deutschlands Wirtschaftsleistung bricht den Berechnungen zufolge dann im ersten Jahr um bis zu fünf Prozent ein. Wenn sich die Wirtschaft auf die neue Realität eingestellt und alternative Handelsbeziehungen organisiert hat, liege der Wohlstandsverlust dauerhaft bei rund 1,5 Prozent jährlich.
Schularick selbst stellt den Zusammenhang zwischen seinen Studien zu China und Russland her: „Die deutsche Politik hat sich bei der Frage, ob sich Deutschland einen Lieferstopp russischer Energie leisten kann, von Interessensgruppen mit überzogenen Warnungen verunsichern lassen“, sagt er. „Unsere aktuellen Berechnungen sollen der Politik im Umgang mit China wissenschaftliche Fakten als Entscheidungsgrundlage liefern, wenn es etwa um die Frage geht, mit welchen ökonomischen Maßnahmen Deutschland oder die EU etwa auf eine Invasion Chinas in Taiwan reagieren soll oder kann“.
Chinas Wirtschaft: Wichtig, nicht überlebenswichtig
Der Wohlstandsverlust, also die Kosten einer Abkopplung von China, könne deutlich verringert werden, wenn dies schrittweise und geplant erfolge. Die Ökonomen untersuchen dabei ein Zurückfahren der Handelsbeziehungen bis zum Handelsstopp nach drei Jahren. Langfristig hätte dies dann aber ähnliche Folgen eines Wohlstandsverlustes von jährlich rund 1,5 Prozent der Wirtschaftsleistung. Der starke Einbruch in den ersten Monaten und Jahren würde aber vermieden.
Ein sogenanntes De-Risking-Szenario, in dem sich die deutsche Wirtschaft nur teilweise von China löst, Risiken verringert, die Handelsbeziehungen aber aufrechterhält, würde langfristig Wohlstandseinbußen von jährlich rund einem halben Prozent nach sich ziehen.
Interessant auch: In allen Szenarien seien die Kosten für China in Relation zur Wirtschaftskraft um rund 60 Prozent höher als für Deutschland.
„Jede Entkopplung der deutsch-chinesischen Handelsbeziehungen ist für Deutschland mit Kosten verbunden“, sagt Julian Hinz. Der Handelsforscher am IfW Kiel ist der federführende Autor der Studie. Die recht geringen Kosten einer teilweisen Entkopplung könnten „als Versicherungsprämie gegen einen schmerzhaften Wirtschaftseinbruch verstanden werden, der eintritt, wenn die Verflechtung eng bleibt und abrupt endet“, so Hinz.
„Ob und wie stark sich Deutschland vom Handel mit China lösen will, ist eine politische Entscheidung“, sagte Hinz. „Sie ist vor allem mit der Frage verbunden, ob die geoökonomische Verhandlungsposition des Westens und Deutschlands durch enge Handelsverbindungen mit China gestärkt oder geschwächt wird.“
Die Autoren betonen eine Reihe von Einschränkungen der Modellrechnungen. So hänge das Ergebnis entscheidend davon ab, wie schnell Deutschland neue Handelsverbindungen organisieren kann. Außerdem erfassen die Modellrechnungen nicht alle konjunkturellen Verstärkungseffekte. Die Autoren betonen aber, dass dies an den grundsätzlichen Schlussfolgerungen der Studie nichts ändert.
Das Ifo-Institut hatte vor rund einem Jahr ebenfalls die Effekte berechnet, sollte Deutschland die Wirtschaftsbeziehungen zu autokratisch regierten Ländern wie China abbrechen. In unterschiedlichen Szenarien kommt Ifo zu Einbußen in vergleichbaren Größenordnungen.