Schafft das sonnenverwöhnte Nordmazedonien die Energiewende?
Trotz des Versprechens, das erste kohlefreie Land auf dem Westbalkan zu werden, hat Nordmazedonien das Datum für die Schließung seiner Kohlekraftwerke mehrmals verschoben. Immer häufiger tauchten deshalb in jüngster Zeit Zweifel auf, ob es das Land wirklich Ernst meint mit der vollmundig angekündigten Energiewende. Doch bei der Klimakonferenz COP28 in Dubai sorgte Nordmazedonien jetzt für eine kleine Sensation... Klicken Sie auf das Video oben, um die Reportage zu sehen.
Eine dicke, dunkle Rauchwolke steigt ständig aus dem Kohlekraftwerk in Bitola auf. In Nordmazedonien gibt es zwei Uralt-Kohlekraftwerke - REK Bitola und REK Oslomej. 47 Prozent der Elektrizität des Landes werden durch die Verbrennung von schmutziger Braunkohle erzeugt, die aus riesigen Tagebauen in der Nähe der vor über 40 Jahren errichteten Kohlekraftwerke gewonnen wird. Der Brennwert der Braunkohle ist derart schlecht, dass oft mit aufgesprühtem Schweröl nachgeholfen werden muss.
Außerdem gehen die mit Tagebautechnik zugänglichen Kohlereserven zu Neige. Jetzt schon muss das wirtschaftsschwache Nordmazedonien für teures Geld, teilweise sogar über Kredite finanziert, Kohle aus Nachbarländern einführen und Importstrom nachkaufen. Sonst wäre es bereits vor Jahresfrist dunkel und kalt geworden im Land...
Laut Pece Matevski, Direktor des Kohlekraftwerks Bitola, soll eine weitere Kohlemine eröffnet werden, Zivojno: "Wir werden also in den kommenden 30 Jahren genug Kohle haben, um das Kraftwerk am Laufen zu halten", erklärte Matevski gegenüber Euronews. Wer 2023 und 30 zusammenzählt, kommt auf das Jahr 2053! Im Ernst? Das widerspräche sämtlichen offiziellen Strategien, Ausstiegsplänen, Transformationsankündigungen der Regierung, Absprachen mit internationalen Kreditgebern...
Andere Quellen erwähnen 2033 oder 2035 als Ausstiegsdatum, in der öffentlichen Debatte kursieren die unterschiedlichsten Gerüchte, Spekulationen, Behauptungen und Versprechungen, weshalb man vom Interview mit dem Top-Manager des Kohlemeilers Bitola, Hauptenergieproduzent des Landes, eine klare Ansage erwarten könnte. Doch auch auf hartnäckiges Nachfragen des Euronews-Reporters vor Ort hin, mochte Matevski das in der offiziellen nordmazedonischen Energiestrategie genannte Ausstiegsdatum 2030 nicht vor laufender Kamera bestätigen.
Kohleausstieg von 2027 auf 2030 verschoben
Eigentlich wollte Nordmazedonien bis 2027 aus der Kohle aussteigen. Doch die Energiekrise hat das 2-Millionen-Einwohner-Land zum Umdenken bewogen. Der Kohleausstieg soll nun bis 2030 erfolgen.
In der Hauptstadt Skopje arbeitet Nevena Smilevska bei der NGO CEE Bankwatch Network für die Energiewende. Sie ist besorgt, dass weitere Verzögerungen den möglichen Beitritt des Landes zur Europäischen Union gefährden könnten.
"Der Termin für die Abschaltung muss 2030 bleiben. Es ist sehr unwahrscheinlich, dass man uns erlauben wird, den europäischen Green Deal zu ignorieren", erklärt sie.
"Wenn wir der EU beitreten, müssen wir die Kohle-Kraftwerke vor dem Beitritt abschalten", fügt sie hinzu. Die Entscheidung der Regierung, nun auf Erdgas als "Brückentechnologie" zu setzen, verurteilt Smilevska. Dadurch würden immense Investitionssummen auf Jahre hin fehlgeleitet, Geld, das dann anderswo fehle.
Höchste SO2-Emissionen auf dem Westbalkan
Das Kohlekraftwerk in Bitola hatte 2022 die höchsten Schwefeldioxid (SO2)- und Staubemissionen auf dem Westbalkan. 111.000 Tonnen SO2 wurden ausgestoßen - 17 Mal mehr als erlaubt.
Dabei bietet das Land mit durchschnittlich 280 Sonnentagen ideale Bedingungen für die Gewinnung von Solarenergie. 120 Kilometer von Skopje entfernt, im ältesten Kohlekraftwerk Nordmazedoniens, in Oslomej, soll sich die Energieerzeugung ändern. Auf dem Braunkohletagebau werden Solarkraftwerke errichtet. Das Ziel ist, 120 MW Kohlestromkapazität durch 120 MW Sonnenstromkapazität zu ersetzen.
Der Direktor des Kohlekraftwerks Oslomej, Nexhbudin Nuredini, macht sich "Sorgen über den sozialen Aspekt der Energiewende, denn das Solarkraftwerk benötigt nicht viele Arbeitskräfte." Beim sozialen Aspekt habe man "richtiggehend Angst", meint Nuredini im Gespräch mit Euronews vor Ort. "Wenn wir keine Lösung finden, müssen wir alle von hier wegziehen, die Hälfte der Einwohner ist eh schon weggezogen aus der Stadt Kičevo, da gibt es nicht viele Fabriken mit Arbeitsplätzen."
Und auch drüben, auf dem Riesenfeld voller Sonnenkollektoren, kann Solarmanager Arsouski trotz freundlichen Lächelns nicht alle Sorgenfalten verbergen. Einerseits sieht das erste 10 MW Pilot-Projekt super aus und ist technisch voll funktionsfähig. Es wurde auch schon von aus Skopje angereisten Politikern eingeweiht. Aber es produziert keinen Strom! PV-Manager Arsouski wartet seit nunmehr anderthalb Jahren darauf, den Schalter umlegen und seinen schönen Strom ins Netz einspeisen zu dürfen. Aber...
"Wir warten noch auf einige Genehmigungen der Behörden", sagt Manager Cedomir Arsouski vage und setzt ein leicht gequältes Lächeln auf.
Schafft es Nordmazedonien mit der Energie-Wende?
Doch die jüngste Einigung auf der Klimakonferenz COP28 in Dubai könnte die Energiewende in Nordmazedonien beschleunigen.
Internationale Geldgeber haben angekündigt, einen drei Milliarden Euro schweren Plan zu finanzieren, um die Kohlekraftwerke des Landes bis 2030 komplett abzuschalten und durch Solar-, Wasser-, Wind- und Gaskraftwerke zu ersetzen. Ziel ist es, durch den Einsatz von 1,7 Gigawatt erneuerbarer Energien und die Vervielfachung der Energiespeicherkapazitäten bei gleichzeitigem Ausbau der Netzanbindung einen "gerechten Übergang" zu gewährleisten. Auf gut Deutsch: jetzt soll endlich Ernst gemacht werden mit einem sozialverträglichen Strukturwandel.
Wird Nord-Mazedonien diesmal sein Nachhaltigkeits-Ziel erreichen? Mit sagenhaften 280 Sonnentagen im Jahr ist Nord-Mazedonien eines der sonnenreichsten Länder Europas.
Sollte es das Land tatsächlich schaffen, so wie jetzt bei der Klimakonferenz angekündigt, bis 2030 aus der Kohle auszusteigen, wäre Nord-Mazedonien ein Vorbild für die gesamte Westbalkanregion – und darüber hinaus...