Scharfe Rechtskurve: Welchen Einfluss haben Ultranationalisten auf Wahlausgang in der Türkei?

Wenige Tage vor der Stichwahl in der Türkei buhlen die beiden Kandidaten Erdogan und Kilicdaroglu um die Stimmen derjenigen, die für den drittplatzierten Ultranationalisten Sinan Ogan abgestimmt haben. Können die rechten Parteien mit ihrer Anti-Flüchtlings-Rhetorik wirklich zum Königsmacher werden?

In der ersten Runde der türkischen Präsidentschaftswahlen erhielt Sinan Ogan nur 5% der Stimmen. Doch diese könnten in der bevorstehenden Stichwahl das Zünglein an der Waage sein: Entweder zugunsten von Präsident Recep Tayyip Erdogan, oder seinem Herausforderer dem Oppositionskandidaten Kemal Kılıçdaroğlu.

Um die Gunst von Ogans Wählern zu gewinnen, hat Kılıçdaroğlu den Ton gehörig verschärft, vor allem gegenüber den Millionen von syrischen Flüchltlingen, die in der Türkei leben.

"Flüchtlinge nach Hause schicken. Punkt"

Auf einer Wahlkampfveranstaltung am 18. Mai in Ankara, versprach Kilicdaroglu seinen Ahängern: "Ich kündige es hier an: Ich werde alle Flüchtlinge nach Hause schicken, sobald ich an die Macht komme, Punkt."

Für den Türkei-Experte und Politikwissenschaftler ist das ein klarer Abkehr von der bisherigen Wahlkampfrhetorik in Kilicdaroglus Wahlbündnis:

"Monatelang haben sie über Inklusion, Integration und Unterschiede gesprochen, und dass sie jeden willkommen heißen, dass jeder sich an ihren Tisch setzen kann und so weiter und so fort... Und jetzt, innerhalb von weniger als zehn Tage, haben der Kandidat der CHP und seine Partei einen scharfen Rechtsruck vollzogen".

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Sinan Ogan mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan - AP/AP

Ogan empfiehlt Erdogan

Verlorene Liebensmüh' - denn Anfang dieser Woche hat der ultranationalistische Ogan, der in der ersten Runde den dritten Platz erhalten hat, seine Wahl getroffen:

"Ich erkläre, dass wir den Kandidaten der Volksallianz, Recep Tayyip Erdogan, in der zweiten Runde der Wahlen unterstützen werden. Ich fordere die Wähler, die im ersten Wahlgang für uns gestimmt haben, auf, Erdogan im zweiten Wahlgang zu unterstützen".

Kann sich Erdogan also jetzt siegessicher wähnen? Nicht ganz. Der parteilose Ogan war in der ersten Runde für das ultranationalistische ATA-Wahlbündnis angetreten. Nun hat sein ehemaliger Verbündeter, der Rechtspopulist Ümit Ozdag, seinerseits beschlossen, die Opposition und Kilicdaroglu zu unterstützen.

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Kemal Kilicdaroglu (rechts) und Ümit Ozdag - Alp Eren Kaya/AP

"Unbekanntes Terrain"

Dennoch kann sich Özdag nicht sicher sein, dass die rechtsextreme Wählerschaft seiner Wahlempfehlung folgen wird.

"Wir befinden uns auf unbekanntem Terrain", sagt PolitikwissenschaftlerSinan Ciddi. "Wir haben noch nie die politische Dynamik einer Stichwahl erlebt. Ich habe daher den Eindruck, dass wir den Wert dieser beiden kleinen rechten Parteien vielleicht überschätzen."

Wie auch immer die Wahl am Sonntag ausgeht, eines steht fest: Den Rechtsextemen ist es jedenfalls im Wahlkampf gelungen, ihre Themen ganz oben auf die Agenda zu setzen.

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