Der schlafende Riese erwacht

Der VfB Stuttgart ist DIE Überraschung der aktuellen Bundesliga-Saison. Nachdem in der vergangenen Spielzeit der Klassenerhalt erst in der Relegation gesichert wurde, kämpft die Mannschaft von Trainer Sebastian Hoeneß nun um die Champions-League-Teilnahme. Aber kann sich der fünfmalige Deutsche Meister auch mittel- und langfristig in der Spitzengruppe der Bundesliga halten?

Die wichtigste Personalie für eine erfolgreiche Zukunft hat der Klub bereits geklärt: Coach Sebastian Hoeneß verlängerte seinen Vertrag bis 2027. Zuletzt kamen Spekulationen auf, wonach der 41-Jährige Nachfolger von Thomas Tuchel beim FC Bayern werden könnte. Mit der Verlängerung wurde diesbezüglich für Sicherheit gesorgt.

„Es war ein wichtiges Zeichen nach innen und außen, dass wir die ganzen Diskussionen, die da aufkamen, mal erledigt haben“, erklärte Stuttgarts Vorstandvorsitzender Alexander Wehrle im STAHLWERK Doppelpass. Er fügte hinzu: „Es ist auch wichtig für die Planung. Die Spieler, die zu uns kommen werden, wollen wissen, wer der Cheftrainer ist.“

Hoeneß haucht Stuttgart neues Leben ein

Hoeneß übernahm die Stuttgarter im April vergangenen Jahres acht Spieltage vor Saisonende. Zum damaligen Zeitpunkt war der VfB das Schlusslicht der Liga und die Zeichen standen auf Abstieg. Doch der Coach hauchte seinem Team neues Leben ein und schaffte es mit einer Bilanz von vier Siegen, drei Remis und nur einer Niederlage, den Verein in die Relegation zu führen. In dieser gewannen die Cannstatter beide Partien souverän gegen den HSV und durften den Klassenerhalt feiern.

Im Sommer verlor der VfB mit Wataru Endo (FC Liverpool), Borna Sosa (Ajax Amsterdam) und Konstantinos Mavropanos (West Ham United) drei wichtige Stammspieler. Im Vorfeld der aktuellen Saison war für viele Experten klar, dass es für Stuttgart wieder nur um den Klassenerhalt gehen werde. Auch Wehrle wäre mit einer „ruhigen Saison“ zufrieden gewesen, in der „man vielleicht zwei, drei Spieltage vor Ende die 40 Punkte hat“.

Neuzugänge schlagen voll ein

Doch Hoeneß formte mit den bereits vorhanden Akteuren und den Neuzugängen Maximilian Mittelstädt (Hertha BSC), Angelo Stiller (TSG Hoffenheim), Alexander Nübel (Leihe, FC Bayern) und Deniz Undav (Leihe, Brighton & Hove Albion) eine spielstarke Mannschaft. Dazu entwickelte sich Stürmer Serhou Guirassy zu einem der besten Angreifer in Europa.

Nach dem 25. Spieltag ist Stuttgart Tabellendritter und hat sieben Punkte Vorsprung auf den Europa-League-Rang. Guirassy trug 21 Tore und drei Vorlagen bei. Sturmpartner Undav steht zudem bei 14 Treffern sowie fünf Assists. Darüber hinaus haben sich neben Undav auch Kapitän Waldemar Anton, Linksverteidiger Mittelstädt sowie Flügelspieler Chris Führich in den Fokus der deutschen Nationalmannschaft gespielt. Zusammengefasst: Hoeneß formte aus dem Kader eine Top-Mannschaft und hat viele Spieler auf das nächste Leistungsniveau gebracht.

Dennoch versuchte der Vorstandsvorsitzende im STAHLWERK Doppelpass, auf die Euphoriebremse zu treten: „Es heißt jetzt, fokussiert zu bleiben und sich nicht von irgendwelchen Wunschszenarien ablenken zu lassen. Wir wissen, wo wir herkommen und dass wir die letzten neun Spiele voll fokussiert angehen müssen.“

Fragezeichen hinter Guirassy und Undav

Doch wie nachhaltig kann die aktuelle Mannschaft auch in den nächsten Jahren entwickelt werden? Wichtig wäre diesbezüglich zunächst, dass Guirassy gehalten werden kann. Doch der Toptorjäger steht laut Medienberichten bei internationalen Topklubs auf dem Zettel. „Die Fans lieben ihn“, stellte Wehrle fest und fügte bezüglich eines Verbleibs hinzu: „Ich bin optimistisch. Serhou weiß, was er bei uns hat. Er ist der Unterschiedsspieler.“ Zudem ergänzte der 49-Jährige: „Ich bin zuversichtlich, dass er, wenn wir uns international qualifizieren sollten, vielleicht Lust hat, noch eine Saison bei uns zu spielen.“

Des Weiteren enden die Leihen von Torwart Nübel sowie Undav. Beim deutschen Angreifer hat der VfB nach SPORT1-Informationen eine Kaufoption von 20 Millionen Euro. Wehrle meinte: „Wir sind mit ihm und seinem Berater im Gespräch. Er hat eine tolle Quote und ist auch für die Mannschaft ein ganz wichtiger Punkt, auch in der Kabine.“ Der VfB-Boss zeigte sich „schwäbisch verhalten optimistisch“, dass der 27-Jährige auch in der kommenden Saison für sie auflaufen werde. Wichtig hierbei ist auch, dass der Stürmer zuletzt auch öffentlich gesagt hat, dass sich eine Zukunft beim VfB vorstellen könne.

Stuttgart möchte keine verrückten Dinge machen

Bei Nübel hat Stuttgart keine Kaufoption. Wie seine Zukunft gestaltet wird, hänge am FC Bayern, meinte Wehrle. „Wir würden sehr gerne mit ihm weiterarbeiten. Die Nübel-Rufe, wenn er eine Flanke abfängt, sind legendär. Aber erstmal müssen es Alex und der Bayern es klären.“ Nübels Vertrag beim deutschen Rekordmeister läuft noch bis 2025. Dementsprechend liegt es am FC Bayern, ob er Nübel im Sommer verkaufen möchte oder nicht.

So oder so: Die Stuttgarter Verantwortlichen müssen im Sommer Geld in die Hand nehmen, damit zum einen der aktuelle Kader beisammen bleibt und dieser zum anderen mit Neuzugängen verstärkt wird. „Es ist für uns eine Herausforderung. Wir wollen in der nächsten Saison wettbewerbsfähig sein und brauchen einen breiteren Kader“, erklärte Wehrle.

Durch eine mögliche Qualifikation für die Champions League, an der der Deutsche Meister von 2007 seit 14 Jahren nicht mehr teilgenommen hatte, und die folgende Vorrunde würde der Klub laut Wehle einen Umsatz von 40 Millionen Euro machen.

Zudem ist für die finanzielle Unterstützung nach Mercedes Benz mit Porsche auch der zweite große Autokonzern aus der Region als Investor beim VfB eingestiegen. Die Sternenmarke erwarb vor sieben Jahren für 41,75 Millionen Euro 11,75 Prozent der Profiabteilung. Im vergangenen Jahr sicherte sich Porsche für insgesamt 100 Millionen Euro weitere zehn Prozent.

Doch der VfB-Boss machte zudem deutlich, dass der Verein Teile der möglichen Sondereinnahmen durch die Qualifikation für einen europäischen Wettbewerb auch investieren werde. „Aber nur so, dass wir für eine Folgespielzeit, wo wir eventuell nicht mehr europäisch dabei sind, auch ein ordentliches Ergebnis erzielen. Diese Balance müssen wir einhalten“, betonte Wehrle.

Auch er weiß, dass im Tagesgeschäft Profifußball langfristige Ambitionen nur schwer umzusetzen sind. Die sportlichen und wirtschaftlichen Voraussetzungen dafür sind in Stuttgart aber schon lange nicht mehr so gut gewesen wie jetzt. Der schlafende Riese VfB Stuttgart scheint erwacht zu sein.