Schlecky Silberstein im Interview: "Rechthaben ist der neue Sex"
Seit Jahren mischen Schlecky Silberstein und sein grimmepreisgekröntes "Browser Ballett" das Internet mit derber Satire und Comedy zum Zeitgeschehen auf. Nun schenkt das ZDF der Gruppe sechs 30-Minuten-Kurzfilme zu aktuellen Themen wie "Atomschlag in Deutschland". Ist dieser Humor noch auszuhalten?
Der 42-jährige Christian Maria Brandes, Künstlername Schlecky Silberstein, arbeitet als Autor, Schauspieler und Blogger. Mit seiner Gruppe Browser Ballett drehte er seit 2016 von der ARD geförderte Sketche wie "Rettet die Arier", die bei YouTube an die eine Million Klicks erhalten. Nun wechselt das Browser Ballett - mit neuem Konzept - zum ZDF. In sechs Kurzfilmen nehmen Schlecky Silberstein, Partnerin Christina Schlag und prominente Gäste den Zeitgeist in monothematischen Kurzfilmen von 30 Minuten Länge aufs Korn. Ab Mittwoch, 31. Mai, in der ZDF-Mediathek und ab Samstag, 3. Juni, 19.45 Uhr, bei ZDFneo. Ein Gespräch über den Atomschlag auf Deutschland, die nötige Abschaffung von Social Media und einen für den Satiriker heilsamen Psychiatrie-Aufenthalt.
teleschau: Guten Tag, Herr ...
Schlecky Silberstein: Hallo, hier ist Schlecky!
teleschau: Nennt Sie tatsächlich jemand Schlecky - auch im privaten Umfeld?
Silberstein: Ja, durchaus. Dabei war das mal als Wegwerf-Name gedacht. Nach dem Motto: Wenn ich mal in einen Shitstorm gerate, kann der Name einfach weg. Und meine Kinder können wieder unbesorgt in die Schule gehen.
"Zum Shitstorm gehört ein auch Adressat auf Social Media"
teleschau: Dafür haben Sie den Namen jetzt schon ziemlich lange ...
Silberstein: Ich war auch tatsächlich nicht so schlimm am öffentlichen Pranger bisher, dass ich mir darüber Gedanken machen musste.
teleschau: Was erstaunlich ist, denn Sie produzieren durchaus bissige Satire. Und das im Netz!
Silberstein: Ich glaube, das liegt an der Strategie des Browser Balletts, den Frosch ganz langsam ins heiße Wasser zu tauchen. Einerseits segeln wir schon eine halbe Humor-Ewigkeit hart am Wind. Andererseits ist es so: Wenn du lange genug hart drauf bist, verzeihen dir die Leute auch mehr. Wir wollen ja auch tatsächlich Aufruhr! Und sind dann manchmal fast überrascht, was uns die Leute durchgehen lassen.
teleschau: Jan Böhmermann, ein anderer deutscher Provokateur, badet regelmäßig im Shitstorm. Woran liegt es, ob man massiv Anfeindungen aushalten muss oder eben nicht? Auch Sie zeigen Ihr Gesicht regelmäßig vor der Kamera ...
Silberstein: Ja, aber zum Shitstorm gehört ein auch Adressat auf Social Media, sonst funktioniert es nicht. Ich verzichte seit zwei, drei Jahren auf Social Media Profile, deshalb kann man aus mir keinen Hashtag machen und damit spielen. Es ist maximal möglich, dem Browser Ballett zu sagen: "Richtet dem Schlecky aus, dass ich ihn nicht mag." Sobald man es den Leuten etwas schwieriger macht, einem vor den Koffer zu kacken, ist das ein sehr probates "Tool", um nicht als Mensch angegriffen zu werden.
"Starten mit 'Sondersendung' zum russischen Atomschlag auf Deutschland"
teleschau: Ihr Browser Ballett ist bekannt für derbe Sketche und andere kurze Formate. Nun haben sie sechs monothematische "Langfilme" von 30 Minuten gedreht. Darf man fragen, zu welchen Themen?
Silberstein: Ein paar Themen darf ich schon verraten. Wir starten mit einer "Sondersendung" zum russischen Atomschlag auf Deutschland. Ein fiktives Szenario, das manche als realistisch empfinden, andere weniger. Wir fanden die Grundidee sehr interessant, dass man aus dem Atomschlag eine Sondersendung mit Talkshow macht. Sozusagen ein Talk, der alle angeht. Der großartige Fabian Hinrichs spielt darin übrigens den Talkmaster. Ich glaube sogar, dass eine solche Sendung bei einem echten Atomschlag tatsächlich viele Zuschauer fände. Weil die Menschen erst mal Orientierung suchen, bevor sie in den Keller gehen oder das Land verlassen. Die Folge ist ab dem 31.05. in der ZDF-Mediathek zu finden.
teleschau: Was haben Sie noch im Angebot?
Silberstein: Es gab ja Pläne der Reichsbürger, den Lauterbach zu entführen und einen Staatsstreich zu organisieren. Die spannendsten Details dieses Plans sind gar nicht an die Öffentlichkeit gelangt. Wir haben uns davon inspirieren lassen und einen Film zum völlig verrückten Milieu der Reichsbürger gemacht. Im Gerichtsprozess kommen im Übrigen unglaubliche Dinge zum geplanten Staatsstreich heraus. Unter anderem wollten die einen Fake-Steinmeier installieren. Ein Bundespräsidenten-Double, das eine Erklärung im Fernsehen verlesen sollte. Für einen weiteren Film haben wir uns von den Geschehnissen in Lützerath anregen lassen. Eine Doku über eine Klimademo, die völlig eskaliert und bei der sich schlussendlich alle Beteiligten zu einer Art großem Volksfest treffen: Umweltschützer, Polizei, Politiker, Medien und Influencer.
teleschau: Und die Filme bewegen sich alle im Genre Fake-Doku oder Fake-Fernsehen?
Silberstein: Auch das wollen wir uns offen halten. Wir sind alle große "Black Mirror"-Fans und wollen die ein oder andere Geschichte möglicherweise als gesellschaftliche Dystopie in der Zukunft spielen lassen. Das ist dann eher Fiction. Der Reichsbürger-Film ist auch eher als klassischer Fiction-Film angelegt. Unsere Bandbreite wird also schon in den ersten drei Filmen sehr klar.
"Insgesamt nehmen sich die Leute wahnsinnig wichtig"
teleschau: Wie anstrengend ist es, regelmäßig Humor zu produzieren. Eigentlich soll beim Humor ja alles "leicht" sein. Aber gibt es nicht auch den Druck auf Humoristen, beständig Lustiges abliefern zu müssen?
Silberstein: Ich empfinde den Druck als eher moderat. Uns fällt es eher schwer, ernst zu bleiben. Wir leben ja auch in einer sehr spannenden Zeit, weil einem überall super Rampen für Humor gebaut wurden. Noch nie haben sich die Menschen so ernst genommen wie heute. Das ist natürlich eine tolle Vorlage ...
teleschau: Nehmen sich die Leute heute tatsächlich ernster als früher?
Silberstein: Ja, auf jeden Fall. Jeder Mensch hat ja ein gewisses Sendungsbewusstsein. In der alten Zeit, vor dem Internet, haben die Medien stark kuratiert, was die Menschen so ausgesendet haben. Die Medien haben sozusagen eingeordnet und geglättet, was den Sendungsbewussten so zu Kopf gestiegen ist. Diese Zeiten sind durch Social Media vorbei. Wir kennen die Protagonisten der Zeitgeschichte jetzt viel besser, aber sie geben - meiner Meinung nach - auch viel zu viel von sich preis. Außerdem kämpfen alle so heftig für sich! Ich habe oft das Gefühl, dass Anerkennung noch wichtiger geworden ist als Geld. Früher war man nur vom Geld korrumpiert, heute kommen noch die "Likes" dazu. Insgesamt nehmen sich die Leute wahnsinnig wichtig. Und das gab es in dieser Heftigkeit, glaube ich, noch nicht.
teleschau: Der Mensch ist also eitler geworden?
Silberstein: Oh ja, sehr viel eitler. Rechthaben ist der neue Sex.
"Ich hatte vorher riesige Angst, in eine Psychiatrie zu gehen"
teleschau: Sie haben kürzlich ein Buch mit dem Titel "Das Internet muss weg" veröffentlicht. Wir würde unsere Welt aussehen, wenn das Internet nicht erfunden wäre?
Silberstein: Ich bin nicht naiv und weiß natürlich, dass man die Zeit nicht zurückdrehen kann. Das Internet ist, wenn man es richtig einsetzt, auch eine tolle Sache. Es steht für enorm viel Teilhabe des Einzelnen, auch des benachteiligten Einzelnen, an Gesellschaft und Demokratie. Der Titel "Das Internet muss weg" ist natürlich boulevardesk. Gemeint ist, dass vor allem das Social Media Internet weg muss. Und das erleben wir auch momentan. Facebook wickelt sich gerade selber ab. Es geht jetzt eher um KI. Wir befinden uns ohnehin an einem spannenden Übergang in eine Phase, in der Künstliche Intelligenz viel übernehmen wird. Ohne Social Media wären wir weniger gestresst, hätten mehr Zeit für uns, unsere Familien und Freunde. Wir hätten auch mehr Zeit zur Reflexion.
teleschau: Wir sehr fühlten Sie sich persönlich gestresst?
Silberstein: Ziemlich. Es gab eine Zeit, da hörte ich Stimmen in meinem Kopf, wenn ich ohne Bildschirm oder Kopfhörer aus dem Haus gegangen bin. Da habe ich gemerkt: Das sind meine Gedanken. Es ist doch verrückt, dass man das als verunsichernd empfindet. Wir dröhnen uns so mit Input zu, dass unser Stress-Level einfach gigantisch ist.
teleschau: Sie haben Ihre Depressionen öffentlich gemacht, über die eigene Therapie gesprochen und diesen Prozess ausgesprochen gelobt. Was hat sich seitdem in Ihrem Leben geändert?
Silberstein: Der Ausgangspunkt für diesen Artikel war, dass ich vorher riesige Angst hatte, in eine Psychiatrie zu gehen. Als ich dort war, stellte ich fest, dass es ganz anders ist, als man denkt. Sehr viel besser, hilfreich und positiv. Viele Leute haben schlimme Psychiatrie-Klischees im Kopf, seien sie aus Filmen oder sonst irgendwo her. Die Psychiatrie ist kein Ort, an den man nur geht, wenn man absolut nicht mehr weiter weiß. Im Gegenteil, es ist eine Zuflucht, die auch in einem früheren Stadium hilft.
"Morgens zehn Minuten mit dem Hund kuscheln - das ist unfassbar gut"
teleschau: Was haben Sie in der Psychiatrie gelernt?
Silberstein: Dass Menschen die beste Medizin sind. Ich habe dort viele Leute kennengelernt, die zugewandt waren und sich unterstützt haben. Ich habe versucht, diesen Spirit auch auf das Leben außerhalb der Psychiatrie zu übertragen. Ich umgebe mich jetzt auch gedanklich mehr mit meiner Familie und anderen Leuten, die ich kenne und mag. Ich rede mehr und gehe schneller auf Leute zu. Das sind einfache Dinge, aber sie helfen enorm weiter. Außerdem habe ich mir einen Hund zugelegt. Auch das funktioniert super. Morgens zehn Minuten mit dem Hund kuscheln - das ist unfassbar gut.
teleschau: Also müssen wir mehr echte Menschen in unser Leben holen und weniger virtuelle, vielleicht toxische Kontakte pflegen - schon geht es uns besser?
Silberstein: Ja, so sehe ich das. Natürlich hatten wir jetzt den doppelten "Impact". Einmal den Smartphone-Trend des Schreibens von Textnachrichten anstatt zu reden. Und dann noch eine Pandemie, die den direkten menschlichen Umgang stark einschränkte. Beide Effekte klingen so langsam aus, aber wir merken nun, wie uns das sozial verstümmelt hat. Man muss richtig dagegen arbeiten, mit einem kleinen Schnack auf der Straße, indem man Leute einfach mal in die Augen schaut und anlächelt. Manche sagen dann vielleicht: "Das ist creepy". Aber wenn man es macht, bekommt auch sehr viel positives Feedback. Man braucht dafür auch keine Medikamente.