Scholz zieht mit der Forderung nach 15 Euro Mindestlohn in den Wahlkampf: Das können Folgen für Preise, Jobs und Bürgergeld sein
Mit der Erhöhung des Mindestlohns hat Olaf Scholz gute Erfahrung gemacht. Sehr gute sogar. Vor der Bundestagswahl 2021 versprach Scholz von knallroten Wahlplakaten: „Jetzt 12 Euro Mindestlohn wählen". Das war damals ein Aufschlag um 25 Prozent. Scholz gewann die Wahl. Damit war klar, dass der Mindestlohn von nun an zum Spielball in Wahlkämpfen werden würde. Die nächste Bundestagswahl ist turnusgemäß zwar erst 2025. Doch wer weiß schon, ob die Ampel bis dahin hält. Scholz legte seinen Wahlkampf-Hit sicherheitshalber schon einmal neu auf. Der Mindestlohn müsse auf 15 Euro je Stunde steigen, forderte der SPD-Kanzler im „Stern". Das sind erneut gut 20 Prozent mehr als der aktuelle Mindestlohn von 12,41 Euro.
Die Forderung ist doppelt bedeutsam, wirtschaftlich und politisch. Der gesetzliche Mindestlohn war 2015 eingeführt worden, mit damals 8,50 Euro brutto je Stunde. Er soll Beschäftigte zusätzlich zu tariflichen Mindestlöhnen gegen Lohndrückerei schützen. Von Beginn an gab es Warnungen, der Mindestlohn werde zum Spielball der Politik, die Unabhängigkeit der Tarifpartner bei der Lohnfindung werde leiden.
Im Gesetz wurde daher festgelegt, dass der Mindestlohn nicht von der Regierung, sondern von einer Kommission aus Arbeitgebern und Gewerkschaften gesetzt wird. Doch auf Scholz Wahlsieg folgte der Sündenfall: Die Ampel setzte sich über das Gesetz hinweg und Scholz Wahlversprechen durch. Sie versprach aber, dass der politische Eingriff in den Mindestlohn eine Ausnahme bleibe. Das Versprechen hielt - absehbar - nicht lange.
Der Zugriff auf den Mindestlohn ist für Politiker einfach zu verlockend. Seine Forderung verband Scholz denn auch mit einer Attacke auf die Tarifkommission. Sie hatte zuletzt beschlossen, den Mindestlohn bis Anfang 2025 nur auf 12,82 zu erhöhen. Die Arbeitgeber hatten sich gegen eine stärkere Erhöhung gesperrt. Den Ausschlag gab aber die Präsidentin der Kommission, Christiane Schönefeld. Die frühere Vorständin der Bundesagentur für Arbeit steht der SPD nahe.
„Die Arbeitgeber haben nur auf einer Mini-Anpassung beharrt“, polterte Scholz nun. Außerdem hätten sie mit der Tradition gebrochen, einvernehmlich mit den Gewerkschaften zu entscheiden, so der Kanzler.
Politikern aus dem linken Spektrum ist das alles zu viel Tarifautonomie. Eine gesetzliche Lohnuntergrenze von 15 Euro haben zuvor auch Vertreter von Linken, Grünen und Gewerkschaften gefordert. Damit alle mit ihrem Einkommen auskommen können, sei ein gesetzlicher Mindestlohn noch in diesem Jahr von 14 Euro und im nächsten Jahr von 15 Euro geboten, sagte die Grünen-Politikerin Katrin Göring-Eckardt.
Erhöhung des Mindestlohns: Lohnender Sündenfall
Doch die Sache hat einen Haken. Die Regierung kann den Mindestlohn zwar erhöhen. Zahlen müssen ihn aber andere: Verbraucher über höhere Preise oder ein kleineres Angebot an Waren und Dienstleistungen. Firmen über höhere Kosten und sinkende Gewinne. Beschäftigte über ein höheres Risiko, ihren Job zu verlieren oder arbeitslos zu bleiben.
Löhne und Gehälter gehören zu den wichtigsten Preisen jeder Volkswirtschaft. Sind sie falsch gesetzt, geht Wohlstand verloren. In marktwirtschaftlich verfassten Gesellschaften wird ihre Festlegung daher der Politik entzogen und den Sozialpartnern überlassen, also Unternehmen und Arbeitgebern auf der einen, sowie Beschäftigten und Gewerkschaften auf der anderen Seite. In Deutschland hat die Tarifautonomie sogar Verfassungsrang und ist im Artikel 9 des Grundgesetzes garantiert.
Von einem höheren Mindestlohn profitieren alle, deren Arbeitgeber sich die höheren Löhne leisten können. Wer aber keinen Job für mindestens 15 Euro Stundenlohn findet, darf auch für 14,50 Euro nicht arbeiten, sondern wird arbeitslos. Statt mit eigener Arbeit den Lebensunterhalt zu verdienen, sind Betroffene dann auf die Fürsorge des Staates angewiesen, etwa das Bürgergeld. Stiege der Mindestlohn dürfte die Forderung nach einem höheren Bürgergeld nicht lange auf sich warten lassen. Beide Größen entwickelten sich meist im Gleichschritt, ermittelten Studien wie des Instituts der deutschen Wirtschaft.
Scholz weist solche Warnungen zurück und verbucht die Erhöhung des Mindestlohnes 2022 als Erfolg: „Damit haben wir die größte Gehaltsverbesserung seit Jahren für Beschäftigte im Niedriglohnsektor geschaffen“, sagte er dem „Stern“. Alle Warnungen vor Jobverlusten hätten sich als haltlos erwiesen.
Daran ist vieles wahr. So bestätigen es zahlreiche Studien. Negative Beschäftigungseffekte des gesetzlichen Mindestlohnes sind bisher nicht auszumachen. Die Einkommen der unteren Lohngruppen sind besonders stark gestiegen, auch direkt oberhalb des Mindestlohnes. In der Folge ist der Unterschied zwischen unteren und oberen Einkommen kleiner geworden, ermittelte das Statistische Bundesamt.
15 Euro Mindestlohn? In Europa ohne Beispiel
Ein Grund liegt darin, dass auf dem Arbeitsmarkt als Folge des demografischen Wandels in Deutschland Arbeitskräfte knapp sind. Das treibt insgesamt die Löhne und Gehälter - und damit die Preise. Der anhaltende Lohndruck ist ein wichtiger Faktor bei der Inflation geworden.
Aktuell aber steht mit der schwachen deutschen Wirtschaft auch der Arbeitsmarkt auf der Kippe. Die Arbeitslosigkeit steigt. Wer arbeitslos wird, hat es derzeit schwer einen neuen Job zu finden. Steigt der Mindestlohn dafür von 12,41 auf 15 Euro, wird dies für viele Menschen zumindest nicht einfacher.
Steigt der gesetzliche Mindestlohn, haben Unternehmen im Grunde vier Möglichkeiten, darauf zu reagieren. Erstens: Sie können niedrigere Gewinne in Kauf nehmen. Voraussetzung ist, dass sie überhaupt Gewinn machen. Zweitens: Sie können die Preise erhöhen. Voraussetzung ist, dass sie dies am Markt durchsetzen können. Drittens: Sie können versuchen, die Produktivität zu erhöhen, auch in dem sie Arbeitskräfte durch Technik ersetzen. oder ihnen mehr abverlangen.
Viertens: Firmen können unrentables Geschäft aufgeben, oder auch das gesamte Unternehmen. Größeren Unternehmen bleibt zudem die Abwanderung in Deutschland, wo sie ohnehin auch hohe Energiekosten und bürokratische Lasten beklagen. Schon jetzt ist der Mindestlohn in Deutschland der zweithöchste in Europa - nur in Luxemburg ist er höher.
Die SPD und Gewerkschaften berufen sich mit ihrer Forderung nach einem höheren Mindestlohn auch auf die europäische Mindestlohnrichtlinie. Stefan Körzell, DGB-Mitglied der Mindestlohnkommission: "Die Richtlinie nennt 60 Prozent vom mittleren Einkommen von Vollzeitbeschäftigten als Maßstab, im Moment entspricht das knapp über 14 Euro." Die Regelungen der Mindestlohnrichtlinie der EU sind allerdings nicht bindend und nicht so eindeutig. Was genau sie vorsieht lest ihr hier.
Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger, aber auch die FDP warnen die SPD vor einem neuen Wortbruch beim Mindestlohn. „Wenn jemand einen Tabubruch begeht, dann der Bundeskanzler. Er hat zugesagt, nicht mehr in die Arbeit der Mindestlohnkommission eingreifen zu wollen", sagte Dulger. Für die Wirtschaft, die Arbeitsplatzsicherheit und die Tarifautonomie sei es "brandgefährlich, aus wahlkampftaktischen Gründen den Druck auf die Mindestlohnkommission stetig zu erhöhen.
FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai betonte, die Politik habe sich aus der Festlegung des Mindestlohns herauszuhalten. "Willkürliche staatliche Eingriffe stören das Vertrauen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern und schaden unserem Land", sagte Djir-Sarai dem "Stern".
"Die SPD steigt bereits jetzt in den Wahlkampf über den Mindestlohn ein", warnte SPD-Vize Karl-Josef Laumann. Er plädierte aber für eine Reform: "Wir brauchen einen neuen Mechanismus für eine faire Lohnuntergrenze." Er schlug eine Kopplung des Mindestlohns an die Entwicklung des mittleren Lohns vor. Ob das die Politik in davon abhalten könnte, in künftigen Wahlkämpen trotzdem eine stärkere Erhöhung des Mindestlohnes zu versprechen?
Entscheidung über Mindestlohn im Wahlkampf
Turnusgemäß berät die Mindestlohnkommission erst Mitte 2025 über die nächsten Erhöhungsschritte. "Ihr Beschluss fällt damit unmittelbar in die Hochphase des nächsten Bundestagswahlkampfes, wird also hochpolitisiert sein," hieß es vom Deutschen Gewerkschaftsbundes DGB