Schulung für Busfahrer: Plötzlich Rentner

Die Essener Verkehrsgesellschaft lässt ihre Angestellten altern. In Simulationsanzügen lernen sie, wie schwer das Ein- und Aussteigen mit 80 fällt.

Der Bus hat schon wieder Verspätung. Eben ist noch eine ältere Dame zugestiegen. Umständlich kramt sie im Portemonnaie, fingert mühsam ein paar Münzen heraus. Der Zeitplan drängt, schon klopft der Fahrer ungeduldig aufs Lenkrad. Schneller geht es deshalb nicht.

Situationen wie diese gibt es im Straßenverkehr täglich. Ältere Menschen brauchen mehr Zeit, um in Bussen einen Fahrschein zu lösen, um ein- und auszusteigen. Die Essener Verkehrsgesellschaft Evag hat sich etwas Besonderes einfallen lassen, um ihrer Fahrer dafür zu sensibilisieren. Seit vergangenem Jahr gehört zur beruflichen Weiterbildung auch ein Alters-Simulationsanzug. Er besteht aus Gewichten an Armen, Brust und Beinen, einer Brille, die die Sicht verschlechtert, sowie Ohrenschützern, die Geräusche dämpfen. Wer ihn trägt, hat plötzlich mit den Gebrechen eines über 80-Jährigen zu kämpfen.

„Die Kollegen sind immer ganz erstaunt, wie unangenehm sich das Alter anfühlt“, sagt Karl-Heinz Füssel, der Leiter der Evag-Fahrschule. Der Ganzkörperanzug macht die Fahrer mehrere Kilos schwerer. Er simuliert, wie es sich anfühlt, wenn die Muskeln abgebaut haben und das Gehen schwerer fällt.

Die Fahrgäste werden immer älter

„Das Tragen des Anzugs ist natürlich freiwillig, viele haben am Anfang Hemmungen“, sagt Füssel. Als besonders unangenehm beschreibt er das Training mit dem Reizstromgerät. Mit zitternden Fingern muss ein Fahrschein gelöst werden. Außerdem üben die Busfahrer mit Rollstuhl und Rollator, wie es ist, wenn die Bewegungsfreiheit eingeschränkt ist.

Bis Ende 2020 sollen alle Angestellten der Verkehrsgesellschaft geschult werden. Nicht nur die Busfahrer sind an der Reihe, sondern jeder, der Kundenkontakt hat. „Man kann sich leichter in jemanden hineinversetzen, wenn man weiß, wie er sich fühlt“, sagt Pressesprecher Nils Hoffmann. Ältere Fahrgäste sind eine wichtige Zielgruppe der Verkehrsgesellschaft. Jeder fünfte Abo-Kunde ist mittlerweile über 60 Jahre alt.

Klar ist auch: Mit mehr Verständnis allein ist es nicht getan. Damit Busfahrer sich nicht entscheiden müssen, ob sie Rücksicht auf ältere Fahrgäste nehmen oder lieber den Fahrplan einhalten, sind auch andere Maßnahmen nötig. Dazu gehört etwa das Erhöhen von Bordsteinen, um das Einsteigen zu erleichtern. Aber auch Zeitplan und Taktung müssen angepasst werden, wenn zu einer Tageszeit besonders viele Ältere unterwegs sind. (clu)

Foto: Alterssimulationsanzug GERT, Produkt + Projekt

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