Schwangerschaft als "Minusgeschäft"? ZDF-Doku zeigt alarmierende Lage im deutschen Sport
Hohe Erwartungen treffen auf miese Förderungen: Der deutsche Sport befindet sich in der Krise. Wie gravierend die Situation ist, wurde nun anhand einer ZDF-Reportage deutlich. Besonders frappierend fallen die Rechnung eines Eiskunstlaufpaares und die Bilanz einer Athletin und Mutter aus.
Deutsche Athletinnen und Athleten freudestrahlend auf dem Podest - dieses Bild geriet bei den letzten Sport-Großveranstaltungen zur Mangelware. Fehlende Unterstützung mittels Förderprogrammen und der alarmierende Nachwuchsschwund sind dabei nur einige der Probleme. Wie groß die Herausforderungen sind, verdeutlicht nun die "sportstudio reportage: Kein Geld, keine Medaillen - was ist uns Spitzensport wert?" (ab sofort in der ZDFmediathek verfügbar).
"Eigentlich sollte es so sein im Leistungssport, dass man sich nur auf seinen Sport konzentriert. Aber das ist schon lange nicht mehr so", beklagen etwa Annika Hocke und Robert Kunkel gegenüber Filmemacherin Amelie Stiefvatter. Nur dank Showauftritten und privater Sponsoren kann das erfolgreiche Eiskunstlaufpaar sein Sportlerleben finanzieren.
Gerade einmal 8,500 Euro an Förderung streicht das Paar jährlich ein - nur ein kleiner Zuschuss angesichts von 70.000 Euro jährlichen Kosten. Obendrein behindern die schlechten Bedingungen in der Heimat sportliche Erfolge. Trainieren müssen Hocke und Kunkel im norditalienischen Bergamo. "Irgendwann überwiegt das Gefühl des Nicht-Gehörtwerdens", schlägt Hocke in der 45-minütigen Dokumentation Alarm.
Innenministerin Nancy Faeser lehnt Interviewanfrage ab
Doch nicht nur Athletinnen und Athleten bemängeln fehlende Wertschätzung, auch auf Trainerebene sieht es kaum besser aus. "Als Bundestrainer kann man es sich nicht erlauben, jedes zweite Jahr ohne Medaille heimzufahren", beschreibt Judo-Bundestrainer Lorenz Trautmann die hohe Erwartungshaltung. Gleichzeitig vertreiben eine mäßige Bezahlung, ein Übermaß an unbezahlten Überstunden und viele befristete Stellen potenzielle Trainer ins Ausland. "Du brauchst Idealisten, und man muss eine Menge Kompromisse machen", bekennt Trautmann.
Wie hoch die finanzielle Belastung ist, macht auch das Beispiel der Marathonläuferin Fabienne Königsstein klar. Drei Wochen Höhentrainingslager in Kenia verschaffen der Läuferin das Rüstzeug für die Saison. Ihr kleines Kind und ihren Ehemann Karsten hat sie mit dabei - allerdings auf eigene Kosten. "Mein Fangnetz waren Karsten und seine Einkünfte. Das Jahr Schwangerschaft war definitiv ein Minusgeschäft für mich", bilanziert Königsstein drastisch. Verlässliche Strukturen im Leistungssport seien Mangelware.
Das gilt auch für die Karriere nach der Karriere. Im Gespräch mit Journalistin Amelie Stiefvatter schildert Kanu-Olympiasieger Ronald Rauhe, er habe "Freunde, die kämpfen mussten, um ein normales Leben zu führen" nach ihrem Karriereende. Er kämpft für "eine Art Rentenpunktesystem" für Leistungssportler und fordert ein Umdenken in der Nachwuchsförderung: "Wenn die Basis wieder stimmt, dann sind wir überhaupt in der Lage, nach Medaillen zu streben." Von der Politik brauche es dafür "Rückgrat". Selbiges ließ Innenministerin Nancy Faeser vermissen: Sie lehnte eine Interviewanfrage der Filmemacher ab.